Eine Kunstausstellung zu Big Data

Poetics and Politics of Data

5. Juli 2015
von Börsenblatt
Rezensionen von Ausstellungen werden hier wohl eher selten zu finden sein. Die Performance »Poetics and Politics of Data« ist jedoch so großartig, dass sie auf BookBytes besprochen werden muss …

Nur noch bis zum 30. August 2015 ist die Ausstellung »Poetics and Politics of Data« im Haus der elektronischen Künste Basel zu sehen, und wer in der Nähe wohnt oder es anderweitig einrichten kann ist gut beraten, sich diese inspirierte Performance anzuschauen. Sie präsentiert 13 Installationen, die sich technisch versiert, phantasievoll und kritisch mit unterschiedlichen Aspekten der gegenwärtigen Netzwelt auseinandersetzen. Auf fünf Werke soll hier kurz eingegangen werden. Da die Möglichkeiten der visuellen Wiedergabe von Fotos aus der Ausstellung auf diesem Blog (noch) nicht in ausreichendem Maß gegeben sind, habe ich ein paar interessante Visuals auf einem befreundeten Blog gepostet. Den Link dahin finden Sie am Ende dieses Artikels.

Christopher Baker (*1979): »Hello World! or: How I Learned to Stop Listening and Love the Noise« (2008)

Für seine audio-visuelle Mehrkanal-Installation (Foto siehe Header) hat der Künstler aus Chicago über 5.000 Videotagebücher aus aller Welt in einem monumentalen Bildschirm vereint. Alle gezeigten Videoblogs sind YouTube entnommen. Durch die gleichzeitige Wiedergabe der Clips entsteht nicht nur ein flirrender Screen, ein an Bruegel erinnerndes Wimmelbild des Netzzeitalters, sondern auch ein irritierender Klangteppich, der zusammen mit dem visuellen Eindruck zu einer (wohl beabsichtigten) Überforderung der Sinne des Betrachters führt, die eine eigene Faszination entfaltet.

Marc Lee (*1969): »Pic-me« (2014)

Der Medien- und Computerkünstler aus Luzern wählte für seinen Live-Stream Foto-Posts vom sozialen Netzwerk Instagram aus, die mit dem Hashtag #me versehen sind. Unmittelbar nach dem Erscheinen der Posts auf einer Projektionsfläche taucht wesentlich größer via Google-Earth die Weltkugel auf, schnell wird in einem Flug über die Kontinente der exakte Aufenthaltsort des Senders herangezoomt. Man erkennt sehr genau, von welchem Ort das Foto auf Instagram gepostet wurde. In Echtzeit!

RYBN: »ADM8« (2011)

Hinter dem Kürzel RYBN steckt eine künstlerische Forschungsplattform, die 2000 im Netz gegründet wurde und von Paris, Montreal, Berlin und Brüssel aus arbeitet. Bei ADM8 handelt es sich um ein Langzeitprojekt, das – 2011 begonnen – vermutlich noch sehr lange andauern wird. Die Konzeptkünstler haben dazu ein Computerprogramm entwickelt, das sich aus verschiedenen Softwaremodulen zusammensetzt und wie die sogenannten Trading-Roboter der realen Finanzwelt unzählige Wirtschaftsdaten sammelt, analysiert und verwertet, mit Online-Brokern kommuniziert und in rasender Geschwindigkeit Aktien international kauft und verkauft. ADM8 (Anti-Data-Mining Version 8.0) ist ein mit einem Startkapital von 10.000,- US-Dollar ausgestatteter Data-Mining-Algorithmus, der so lange arbeiten soll, bis seine liquiden Mittel aufgebraucht sind. Und das kann noch lange dauern. Auf einer dunklen Präsentationsfläche erhält man in Echtzeit detaillierte Informationen zu den finanziellen Transaktionen des Programms, das völlig unbeeinflusst von seinen Machern läuft. Am Tag meines Besuches der Ausstellung spekulierte ADM8 bereits seit 1.402 Tagen und hatte seitdem einen Verlust von etwa € 800,- eingefahren – wäre also bestimmt noch optimierbar.

Ellie Harrison (*1979): »Timelines« (2006)

Die in London geborene und in Glasgow arbeitende Künstlerin hat einen Monat lang akribisch notiert, was sie in dieser Zeit 24 Stunden Tag und Nacht alles getan (oder nicht getan) hat und dies in 28 Farben und 17 Tätigkeits-Kategorien großformatig visualisiert. Ihr Beitrag zum Thema Datenstatistik sieht nicht nur hochinteressant aus, er lädt auch zur genauen Betrachtung ein. Von dem Ergebnis ihrer Selbstbeobachtung geht eine merkwürdige Faszination aus, die in unserem Zeitalter des »Quantified Self« massenkompatibel geworden ist.

MONIKER: »All The Minutes« (2014)

Das in Amsterdam beheimatete Interaktions-Mediendesignstudio MONIKER wurde 2012 von Luna Maurer, Jonathan Puckey und Roel Wouters gegründet. MONIKER zeigt als raumfüllende Videoinstallation etwa 4 Sekunden lang zufällig ausgewählte, aktuelle Twitterfeeds, die mit einer Zeitangabe (beispielsweise »It’s 5:47 pm«) beginnen. Der kontinuierliche Strom von Posts wird vom Sekundenticken einer Uhr begleitet und gibt den Blick auf sehr private (oder eben nicht mehr private) Äußerungen von Usern aus aller Welt frei. MONIKER nennen diese Mitteilungen »Bekenntnisse des Unvollkommenen«. Unter »Alltheminutes.com« kann man sich dieses Projekt auch im Netz anschauen.

Zu dieser beachtlichen Ausstellung ist ein sehr lesenswerter Katalog mit zahlreichen Abbildungen und Essays im Christoph Merian Verlag erschienen.

Einige visuelle Eindrücke von den kurz beschriebenen Installationen können hier betrachtet werden: Berliner Buchhändler Club. Viel Spaß dabei!