Goodreads, LovelyBooks & Co.

Über Buchempfehlungsmaschinen

8. Oktober 2015
von Börsenblatt
Buchempfehlungsmaschinen haben ihre Stärken und Schwächen, also Tücken. Unser Autor Alexander Plaum ist ein Fan von elektronischen Empfehlungssystemen und äußert sich zum Stand der Dinge.

Was haben LovelyBooks, Watchareadin und Reliwa gemeinsam? Sie können Goodreads leider nicht das Wasser reichen – obwohl das technisch kein Problem wäre. Der Platzhirsch Goodreads wiederum interessiert sich nur marginal für deutschsprachige Literatur.

Am liebsten menschlich

Ich bin ein großer Fan von Empfehlungssystemen. Das gilt besonders für den Literaturbereich. Mein Lieblingssystem ist kundenfreundlich, gut informiert – und humanoid. Es verbringt sein Arbeitsleben als sogenannter Buchhändler oder Bibliothekar in einem Büchertempel. Wenn ich ihm beispielsweise mitteile, dass ich in der Kategorie zeitgenössische amerikanische Belletristik unter dem Buchstaben »A« die Romane von Paul Auster gerne mag, dann empfiehlt es mir (bei vernünftiger Konfiguration), unter dem Buchstaben »B« den Output von T.C. Boyle zu lesen. Und mit etwas Glück berichtet es noch von seinen Lieblingsfiguren in den Werken beider Autoren. Leider haben die menschlichen Empfehlungssysteme zwei entscheidende Nachteile: Sie sind selten vor 9 Uhr oder nach 20 Uhr anzutreffen (also in meiner Premiumlesezeit) – und sie scheinen vielerorts vom Aussterben bedroht zu sein.

Goodreads: Tatsächlich sehr gut, für hiesige Leser aber nur bedingt brauchbar

Eine Lösung für das Problem hält – wie in vielen Fällen – das Internet parat. Dort gibt es seit Mitte/Ende der 00er Jahre verschiedene Buchplattformen, auf denen man seinen Bestandskatalog pflegen und (idealerweise) neue Lektüretipps an Land ziehen kann. Der Platzhirsch unter ihnen heißt ohne wenn und aber: Goodreads. Im Geschäft sind die Gründer Otis und Elisabeth Chandler bereit seit 2006, 2013 wurde an Amazon verkauft, die Nutzerzahlen liegen im höheren zweistelligen Millionenbereich, die Features können sich sehen lassen. Vor allem das eingebaute Empfehlungsysteme ist ein Kracher: Hat man die Datenbank mit ein paar Dutzend Titeln gefüttert und begibt sich auf die Unterseite »Recommendations/Based on Your Read Shelf«, scheint fast jeder Tipp ein Volltreffer zu sein. Anlässlich meines Australienaufenhalts vor einem Jahr las ich die Klassiker My Brother Jack und Picnic At Hanging Rock. Goodreads hält seitdem sehr genaue (und gute) Down-Under-Literaturtipps für mich bereit – wiederum auf einer speziellen Page. Ich möchte jetzt nicht weiter mit Beispielen langweilen und schlage vor, das System einfach mal zu testen. Es lohnt sich.

Leider gibt es einen entscheidenden Nachteil: Trotz kleiner Verbesserungen ist Goodreads weiterhin stark auf den nordamerikanischen bzw. internationalen Markt fixiert. Deswegen fehlen viele deutschsprachige Titel (und können somit gar nicht empfohlen werden), oder sie tauchen exklusiv als Übersetzung auf (wodurch sie schwerer auffindbar sind), oder sie haben in ihrer Originalsprache kaum Bewertungen (was wiederum Auswirkungen auf alle möglichen Features hat). Ins Deutsche übersetzte Titel fristen ebenfalls ein Schattendasein, da die englische Fassung natürlich international viel dominanter ist. Für dieses Problem gibt es leider noch keine Lösung - womit wir langsam zum Kern dieses Beitrags vordringen.

Lovelybooks, Watchareadin’ und Reliwa: Sozial und sympathisch, aber kaum effizient

Seit geraumer Zeit frage ich mich, warum die deutschsprachigen Plattformen in Sachen automatisierter Buchempfehlung so extrem hinterherhinken. Bei Lovelybooks wird man nach dem Einloggen zwar nach seinen Lieblingsgenres gefragt und darf auch ein paar aktuelle bzw. besonders berühmte Bücher bewerten – große Auswirkungen scheint das Ganze aber nicht zu haben, die Datenbankpflege ist außerdem umständlich. Auf meiner Bücherseite prangen noch immer Empfehlungen von Fantasy-, Erotik- oder gar Fantasy-Erotik-Schinken. Nützliche Tipps gibt’s hier höchstens im Community-Bereich – aber dann kann ich auch gleich wieder Literaturblogs und Feuilletons lesen (mit im Schnitt hochwertigeren Beiträgen).
Watchareadin scheint nur bei sehr bekannten Büchern »ähnliche Titel« zu verweisen, wobei hier die Algorithmen arg doof sind. An dieser Stelle doch noch ein Beispiel, weil’s lustig ist: Unter Salingers Der Fänger im Roggen spuckt das System aktuell Steinbecks Von Mäusen und Menschen, Lees Wer die Nachtigall stört und Goldings Herr der Fliegen aus (wow, Klassiker!) – sowie zwei andere Ausgaben von Der Fänger im Roggen (tatsächlich ähnlich). Die an sich sympathisch-praktische Mini-Plattform Reliwa bietet in Sachen Empfehlungen lediglich eine Bücher-Top-10 sowie eine Auflistung beliebter Autoren und häufig genutzter Tags – womit ich wenig anfangen kann.

Ran an die Büchermassen, liebe IT-Ingenieure!

Ein ordentliches System à la Goodreads zu bauen wäre keine Rocket Science. Data-Mining-Technologien sind weit fortgeschritten, clevere Webentwickler gibt es en masse. Davon abgesehen gibt es sicher ökonomische Gründe, Goodreads nicht (irgendwann) den ganzen Kuchen zu überlassen. Es gibt ca. 100 Millionen Menschen, die mit Deutsch als Muttersprache aufwachsen und mindestens 50 Millionen Fremdsprachler. Der deutschsprachige Buchmarkt gehört noch immer zu den größten der Welt (je nach Rechnung Rang 3 bis 5, Spitzenreiter sind USA/UK und China). Automatisierte Empfehlungen sind derweil aus dem Marketing-Welt nicht mehr wegzudenken: »Kunden, die diesen Artikel gekauft haben, kauften auch …« Wann also kommt die richtig tolle Buchempfehlungsmaschine für DE/AT/CH?

P.S.: Im Filmbereich hat Moviepilot unlängst bewiesen, wie ein ordentliches Recommender-System für den deutschsprachigen Markt aussehen kann.