re:publica 2017

Von einer Blogger-Konferenz zum kritischen Forum der digitalisierten Gesellschaft

11. Mai 2017
von Börsenblatt
Die elfte re:publica hat nicht nur alle Teilnehmer- und Besucherrekorde gebrochen, sie fungierte vor allem als kritischer Impulsgeber für unsere Gesellschaft, in der die Digitalisierung inzwischen so gut wie alle Lebensbereiche erfasst hat – was sich in dem vielfältigen Mammutprogramm der Konferenz widerspiegelte.

Noch beeindruckender als die über 9.000 TeilnehmerInnen aus über 70 Ländern und ein über 500 Stunden reichendes Programm auf nunmehr 20 Bühnen war die thematische Breite der Veranstaltung rund um die Fragen einer digitalisierten Gesellschaft. Von der Subkonferenz sub:marine zum Thema Meere und Ozeane über digitale Bildung und re:health bis hin zu den großen Themen der re:publica, Presse- und Kommunikationsfreiheit, Hate Speech und Fake News, reichte die Bandbreite der von mir geschätzt etwa 600 Sessions.

Nach dem »Welcome everybody« und den »Opening Keynotes« brillierte Carolin Emcke auf der Hauptbühne am ersten Tag der re:publica mit ihrer Reflexion über das Konferenzmotto LOVE OUT LOUD. Die Friedenspreisträgerin des Deutschen Buchhandels haderte ein wenig mit dessen imperativem Gestus und verwies auf die Unverfügbarkeit der Liebe, die sich nicht erzwingen, beenden oder verordnen lässt. Sie möchte trotz LOUD auch leise sein dürfen, sich keinem neuen, selbst keinem positivem Imperativ unterwerfen. Trotz dieser Einwände sieht sie das Motto als willkommene Aufforderung zum Widerstand gegen den Hass. Aber: »Wer dem Hass mit Hass begegnet, hat sich schon verformen lassen«. Carolin Emcke will von Andersdenkenden nicht geliebt, sondern respektiert oder wenigstens höflich ignoriert werden. Es ist völlig unmöglich, hier die Fülle ihrer Gedankenführungen und sezierenden Analysen auch nur anzudeuten. In wenigen Tagen wird ihr Vortrag auf der Homepage der re:publica anzusehen sein – dies sei jedem dringend anempfohlen!

Die vielfach ausgezeichnete Meeresbiologin und Tiefseeforscherin Antje Boetius beeindruckte das Publikum mit ihren Ausführungen zu den digitalen Möglichkeiten der Erforschung der Tiefsee – von der wir viel weniger wissen als von der Oberfläche des Mondes. In ihr leben etwa vier Millionen Arten, sie ist jedoch erst zu etwa 0,1% erforscht. Antje Boetius zeigte Videos mit schier unglaublich geformten Fischen und Audiogramme von Tönen, mit denen Fische in der Tiefsee untereinander kommunizieren. Digitale Technologien helfen heute diese Signale zu empfangen, zu speichern und auszuwerten. Leider hatte Antje Boetius nur 30 Minuten Zeit für ihre Ausführungen. Vielleicht können wir ihr ja im nächsten Jahr auf der Bühne 1 zuhören.

Digitale Bildung

Der Chaos Computer Club (CCC) stellte in einer Session seine Initiative zur digitalen Bildung vor. Angesichts unzureichender Angebote im Schulunterricht führt der CCC Workshops für Kinder, Jugendliche, Eltern und Lehrer durch und hat kürzlich fünf Forderungen für eine zeitgemäße digitale Bildung formuliert:

Ausführliche Begründungen dieser Forderungen können auf der Homepage des CCC hier gelesen werden.

Die Polizei goes Social Media

Immerhin auf der zweitgrößten Bühne der re:publica präsentierten Kriminologen und einschlägig Bewanderte unter dem Titel »Wir hab’n Polizei« die Chancen und Herausforderungen beim Einsatz sozialer Medien in der Polizeiarbeit – ohne Murren im Publikum hervorzurufen! Die Polizei in Deutschland, so war zu lernen, bespielt inzwischen über 200 verschiedene Accounts auf Facebook, Twitter & Co. Thomas-Gabriel Rüdiger von der Fachhochschule Polizei Brandenburg erläuterte, dass diese Zahl in Holland um das Zehnfache höher liegt. Dort haben inzwischen sogar einzelne Polizisten Accounts angelegt. Man möchte sich das in Deutschland ehrlich gesagt kaum vorstellen – wenn jeder nachbarlichen Krach gleich dem »zuständigen« Beamten per Facebook aufgehalst wird.

Ich habe für meinen kleinen Rundgang durch das Angebot der re:publica 2017 bewusst ein paar Randthemen aufgenommen, um die unglaubliche Vielfalt der Konferenz herauszustellen. Über die oben schon erwähnten »großen« Themen dieses Jahres ist ja bereits viel berichtet worden. Und unsere Branche? werden jetzt vielleicht einige fragen. Tja. Themen aus der Welt von Fernsehen und Radio, Journalismus und Video, Streaming, Game und Music gab es zu Hauf. Das Buch als Medium (egal in welchem Ausgabeformat) spielte, wie im vergangenen Jahr, so gut wie keine Rolle. Aber vielleicht liegt das ja auch daran, dass wir keine passenden Vorschläge eingereicht haben.