Digitale Preisbildung

Dem Kunden dicht auf der Spur?

10. Juli 2017
von Börsenblatt
Apple-User zahlen mehr beim Onlinekauf, die Kundenkarte fungiert als Spion, individuelle Rabatte sorgen für unterschiedliche Preise beim Online-Shopping. Über gegenwärtige und zukünftige Strategien der Online-Händler bei der Suche nach Käufern.

Früher stellte sich beim Einkauf die Frage Wo kaufe ich? Heute heißt es Wann kaufe ich wo? Denn das gehört inzwischen zu den Alltagserfahrungen beim Internet-Shopping: Die Preise zahlloser Artikel ändern sich täglich, manchmal stündlich oder sogar noch häufiger. Allein Amazon nimmt schätzungsweise 2,5 bis 3 Millionen Preisänderungen vor – und zwar täglich! Und der Internetriese ist nicht der einzige Anbieter, der mit sogenannten dynamischen Preisen arbeitet. Das neudeutsch dynamic pricing genannte Vorgehen der Online-Anbieter ist längst nicht mehr die Ausnahme, sondern die Regel. Die Preisbildung im Netz haben weitgehend Algorithmen übernommen, die dazu auf eine Unzahl von Daten zurückgreifen. Welche Daten dabei berücksichtigt und wie sie gewichtet werden – das zählt (nicht nur) bei Amazon zu den bestgehüteten Geheimnissen. Ähnlich wie die Rezepte von Coca-Cola, Maggi oder Jägermeister. Bei Amazon verweist man lediglich darauf, dass die Preisbildung von internen und externen Faktoren beeinflusst wird. Beispielsweise vom Einkaufspreis und den Preisangeboten der Konkurrenz. Doch es ist ein offenes Geheimnis, dass Onlineshops bei ihrer Preisbildung auch andere Faktoren einbeziehen. Den Zeitpunkt des Einkaufs, also die Jahreszeit, den Monat, ja sogar Tag oder Nacht. Suchanfragen und bisherige Kundenkäufe. Das Wetter und die Schulferien sowie zahlreiche andere Kriterien.

In der analogen Welt war die dynamische Preisbildung ja nicht unbekannt. Tankstellen haben seit eh und je ihre Benzinpreise an Wochentage, Uhrzeiten, den Berufs- und Ferienverkehr sowie Standortfaktoren zu ihren Gunsten angepasst. Auch von Reisebuchungen kennt man das seit Jahrzehnten. Je später man sich für eine Buchung entscheidet, umso teurer kann die Reise werden. (Last Minute-Angebote waren eine Ausnahme, die nicht gegen die Regel verstieß und lediglich aktuelle Überkapazitäten auf den Markt brachte.) Heute umfasst die dynamische Preisbildung fast die gesamte Warenwelt.

Zahlen Apple-User mehr?

Seit Jahren hält sich das Gerücht, dass beispielsweise von Apple-Usern, denen man eine stärkere Kaufkraft als Nutzern von Windows-Geräten unterstellt, höhere Preise abverlangt werden. Doch ist dem wirklich so? Gibt es inzwischen ein personal pricing, das die Kaufkraft der Konsumenten in die Preisbildung einbezieht und zu unterschiedlichen Preisen zum gleichen Zeitpunkt führt? Nachgewiesen ist, dass bei Pauschalreisen tatsächlich personenabhängige Preise aufgerufen wurden. Dies scheint aber damit zusammen zu hängen, dass der kaufkräftigeren Klientel lediglich bessere Hotels angeboten worden sind – obwohl die gleiche Pauschalreise auch mit einer preiswerteren Unterkunft buchbar gewesen wäre.

Bleiben wir bei dem Apple-Beispiel. Was sagt es denn über das Kaufverhalten aus, dass Apple-User mehr Geld für Rechner, Smartphones und Tablets ausgeben als die Nutzer anderer Geräte? Dass sie auch generell höhere Preise akzeptieren? Oder dass sie nur bereit sind, für eine bessere Performance digitaler Devices tiefer in die Tasche zu greifen? Der Ökonom Michael Schleusener, der  für den Sachverständigenrat für Verbraucherfragen beim Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz eine Expertise unter dem Titel »Personalisierte Preisdifferenzierung im Online-Handel« verfasst hat, nannte in diesem Zusammenhang in einem Artikel der FAS vom 18. Juni 2017 das Beispiel eines Porsche Cayenne-Fahrers, der zum Einkauf in den Supermarkt fährt: »Das sagt nur etwas über die Zahlungsbereitschaft beim Autokauf aus.« Im übrigen kommt sein Gutachten zu dem Ergebnis, dass »die Umsetzung [personalisierter Preise] noch nicht prioritär [ist] oder durch Angst vor Kundenboykotts bei Bekanntwerden gescheut wird«. Andere Untersuchungen in Amerika und Europa kommen zu einem ähnlichen Ergebnis. Personal pricing befindet sich demnach noch in den Kinderschuhen. Denn derzeit reagieren die Kunden ablehnend auf personalisierte Preise, wie eine Umfrage des nordrhein-westfälischen Verbraucherministeriums ergab. Demnach lehnen 91 Prozent der Deutschen Personal pricing ab. Allerdings vermutete der Geschäftsführer des Kölner Instituts für Handelsforschung Kai Hudets schon vor zwei Jahren, dass zumindest bei einigen Online-Anbietern Daten über das frühere Kaufverhalten von Kunden in die Preisbildung einfließen. »Ich würde mich sehr wundern, wenn die großen Online-Händler nicht mit individualisierten Preisen experimentieren. Schließlich sind diese Unternehmen extrem datengetrieben«. Dennoch wies der Marketing-Experte Martin Fassnacht von der Wirtschaftshochschule WHU in Vallendar/Koblenz zur gleichen Zeit darauf hin, dass individualisierte Preise für die Unternehmen eine erhebliche Gefahr darstellen können: »Die Kunden bekommen es früher oder später mit und es verärgert sie. Verschiedene Preise zum selben Zeitpunkt für dasselbe Produkt verletzt ihr Gefühl für Fairness«.

Zahlreiche Online-Händler greifen deshalb immer häufiger zu einem anderen Instrument, um ihre datengestützten Kundenkenntnisse profitabel umzusetzen, ohne ihre Preisgestaltung zu differenzieren: individuelle Rabatte, etwa in Form von Gutscheinen. Damit können weniger kaufkräftige Kundengruppen angesprochen werden, ohne den Preis selbst zu splitten. Online-Händler sprechen in diesem Zusammenhang lieber von individuellen Rabatten statt von personalisierten Preisen. Das kommt bei den Kunden zwar besser an, läuft aber letztlich auf das gleiche hinaus.

Quo vadis Preisbildung?

Auch wenn das personal pricing noch nicht gesellschaftsfähig zu sein scheint – an personalisierte Werbung haben wir uns längst gewöhnt, sogenannte Vergleichsportale, die sich über Vermittlungsprovisionen, Werbung und über den Verkauf von Daten finanzieren, verzeichnen wachsende Zugriffsraten und eines haben wir gelernt: Was machbar ist, wird irgendwann auch eingesetzt. In der Schweiz hat Coop im vergangenen Jahr personalisierte Preise und Rabatte eingeführt. Die Neue Zürcher Zeitung zitierte im Oktober den Pricing-Experten des Unternehmens Boris Schuler: »Selbstlernende Algorithmen berechnen die Preisakzeptanz der Verbraucher für jeden Artikel – in jedem Webshop oder jeder Filiale – dynamisch zu jeder Zeit und unter Berücksichtigung des Wettbewerbsumfelds«. Als das bekannt wurde gab es einen öffentlichen Aufschrei und der Konzern ruderte zurück. Sein Sprecher Urs Meier erklärte: »Es war ein beschränkter Versuch. Das machen wir so nicht mehr.« Zumindest »auf absehbare Zeit«, schränkte er ein. Warten wir es ab.