Test und Funktionsüberblick

Vero – Ein neues Netzwerk mit Potential

9. März 2018
von Börsenblatt
Seit 14 Tagen ist das Netzwerk Vero, das sich selbst als »true social« bezeichnet, deutschlandweit Gegenstand des digitalen Diskurses. Die Social-Media-App will sich neben Facebook und Instagram global als neues Netzwerk etablieren. Vero erlebt in Deutschland gerade einen Hype, der die Server des Betreibers zum kollabieren brachte. Was sind Anspruch, Ziel und Funktionen von Vero? Ein Testbericht.

Ein Artikel über Vero sollte hier schon vor zehn Tagen erscheinen. Aber die völlig überlasteten Server des Netzwerkes erlaubten keinen gründlichen Test. Posts konnten nur manchmal hochgeladen werden, Verbindungen brachen plötzlich ab, manche Features funktionierten gar nicht, die Verbindung war insgesamt höchst instabil. Seit einigen Tagen läuft Vero stabil. Nach einem längeren Testbesuch bei Vero habe ich so einigermaßen verstanden, was Vero will und wie es funktioniert.

Die Idee und der Anspruch

Der Name Vero steht für »Wahrheit«, entsprechend dazu lautet das prägnante Motto »true social«. Vero verzichtet komplett auf Werbung und im Unterschied zu Facebook, Instagram & Co. erscheinen alle Posts in echter chronologischer Reihenfolge. Sie werden nicht von Algorithmen gesteuert. Vero entscheidet also nicht, wem welcher Post angezeigt wird – und wem nicht. »Wir kuratieren nicht, wir manipulieren nicht, wir fügen keine Werbung ein, wir halten keine Posts zurück«, lautet das Selbstverständnis des Netzwerks, dessen Entwicklung von dem libanesischen Milliardär Ayman Hariri finanziert wurde. Die Werbefreiheit der App garantiert auch, dass weder Unternehmen noch selbsternannte Influenzer ihre Sichtbarkeit durch bezahlte Postings erhöhen können.

Die App wurde bereits 2016 gelauncht und kursierte zunächst als Geheimtipp unter Early-Adaptern, überwiegend Künstlerinnen und Künstler – oder solche, die sich dafür halten. Weil sich inzwischen viele Nutzer sozialer Netzwerke von deren Algorithmen bevormundet fühlen, erlebt Vero derzeit weltweit einen Hype, der zu einem sprunghaften Anstieg der Nutzerzahlen führt.

Das Design

Nicht nur auf den ersten Blick überzeugt Vero mit einem chicen, modernen und klar strukturierten Design. Dagegen erscheint Facebook heute mit seinen unzähligen Features und ungebeten aufpoppenden Fenstern als typographische Gerümpeltotale. Instagram kommt zwar viel aufgeräumter als Facebook daher, wirkt neben Vero allerdings schon etwas altbacken, nicht auf der Höhe der Zeit. Nun ist das Design eines Netzwerkes zwar nicht der alles entscheidende Nutzungsfaktor, aber es macht einfach Spaß, sich durch die verschiedenen Funktionen von Vero zu bewegen.

Die Funktionen

Bei Vero kann grundsätzlich kein reiner Text erscheinen. Jedes Posting muss vielmehr mit einem medialen Inhalt gefüllt werden. Man kann in den Kategorien Kamera, Link, Musik, Film/TV, Buch (!) oder Ort posten. Für Fotos steht ein kleines Bildbearbeitungsprogramm zur Verfügung, das zwar nicht sensationell ist, aber völlig ausreichend, um beispielsweise Nachtfotos für die Bildschirmdarstellung auf Handys zu optimieren.

Der linke Screenshot zeigt die Startseite von Vero, also die eigene Timeline mit den eigenen Posts und denen der Follower. Die grün unterlegte Fläche rechts neben der Wolke und über dem Foto zeigt an, wie öffentlich das Posting ist. Man kann jedes Posting einzeln entweder für enge Freunde, Freunde, Bekannte oder Follower freischalten, oder für einzelne dieser vier Gruppen. Die drei Punkte rechts unterhalb des Fotos eröffnen die Möglichkeit den Post noch einmal zu bearbeiten oder wieder zu löschen. Die Funktion »Post bearbeiten« ermöglicht beispielsweise die Kopie angegebener Hashtags, um sie beim Posten ähnlich gearteter Fotos nicht noch einmal neu eingeben zu müssen.

In der obersten Menüleiste befindet sich rechts neben der Schaltfläche »Vero« zunächst das Lupensymbol, also die Suchfunktion. Wenn man in das Suchfeld tippt kann man sehr komfortabel Personen, Hashtags, Fotos, Videos, Links, Musik, Filme, TV, Bücher und Orte suchen. Rechts daneben (linker Screenshot) findet man seinen Verbindungs- und Vernetzungsstatus sowie die Anzahl seiner Posts und Anfragen – und den Zugang zu seinen Einstellungen. Daneben befindet sich ein Ordner, in dem man die verschiedenen Kategorien des Netzwerks (Fotos, Bücher usw.) aufrufen und entsprechend getagte Posts anschauen kann. Unter dem Glockensymbol daneben werden Mitteilungen angezeigt. Ihnen kann man entnehmen, wer einem jetzt folgt, wem welcher Post gefällt, wer Vero neu beigetreten ist usw. Hinter dem letzten Symbol in dieser Reihe verbigt sich die Chatfunktion des Netzwerks.

Ein neues Posting erstellt man mit dem Plus-Zeichen am unteren Bildschirmrand der Startseite. Zunächst entscheidet man sich für eine bestimmte Medienkategorie, also ob man ein Foto, ein Buch usw. posten möchte. Man kann in den verschiedenen Kategorien nach konkreten Medieninhalten (beispielsweise Film, linker Screenshot) suchen. Die Serie »Electric Dreams« wurde sofort gefunden und kann kommentiert werden. Auch dazu gibt es verschiedene vorgegebene Möglichkeiten: »Sehe ich an«, »Habe ich gesehen«, »Möchte ich sehen«, »Empfehle ich« und »Empfehle ich nicht«. (In der Kategorie Bücher fehlt merkwürdigerweise die Voreinstellung »Habe ich gelesen«.)

Fazit zu den Funktionen von Vero

Die App ist übersichtlich und klar strukturiert designed, aus Anwendersicht konzipiert und weitgehend intuitiv bedienbar. Ihre Voreinstellungen und Vorgaben sind sinnvoll bedacht und grenzen die Kreativität ihrer Nutzer kaum ein. Da Vero aber werbefrei ist und die Daten seiner User nicht monetarisieren möchte, bleiben zur Einschätzung der zukünftigen Chancen des Netzwerkes bis dato zwei wesentliche Fragen offen. Steckt ein erfolgversprechendes Geschäftsmodell dahinter und wird es Vero gelingen, die kritische Masse von Nutzern zu generieren, die aus ökonomischer Sicht zwingend notwendig ist?

Das Geschäftsmodell

»Als abonnentenbasierter Service sind unsere Nutzer unsere Kunden und nicht das Produkt, das wir an Werbetreibende verkaufen«, verspricht Vero. Die erste Million Menschen, die sich bei Vero einfinden, werden die App dauerhaft kostenlos nutzen können. Alle späteren User sollen für die Nutzung des Netzwerkes eine »kleine jährliche Gebühr zahlen«. Genaueres dazu ist derzeit nicht zu erfahren.

Weiter ist es möglich, digitalen Content via Vero zu kaufen. Das Netzwerk kassiert dabei von den Verkäufern eine Transaktionsgebühr. Ob diese beiden Einnahmepositionen den notwendigen Umsatz bringen werden, kann heute wohl noch niemand sagen.

Die kritische Nutzermasse

In den vergangenen Jahren hat es immer wieder Versuche gegeben, eine wirkliche Alternative zu Facebook anzubieten. Bisher sind alle gescheitert. Vero scheint diese Chance zu haben. Aber ob sich die vielen Millionen dazu notwendigen User finden werden, die bereit sind, beim Aufbau eines Freundes-Netzwerkes noch einmal neu zu beginnen – auch das bleibt eine offene Frage.