Herausforderungen für die Buchbranche

Digitale Transformation II

13. Juni 2019
von Börsenblatt
Digitale Transformation der Buchbranche: Michael Döschner, noch bis Oktober Geschäftsführer für den Bereich Holtzbrinck ePublishing und Sprecher der IG Digital im Börsenverein, hat 8 Themenfelder abgesteckt. Auf eCommerce, Sichtbarkeit und Metadaten und vom Push zum Pull Marketing und Selfpublishing folgen in diesem Beitrag der Leih- und Abomarkt im E-Book, Daten Driven Publishing, Produktformate im digitalen Raum und die digitale Arbeitswelt.
Leih- und Abomarkt im E-Book

Die sehr stark ablehnende Haltung der meisten Rechteinhaber und -verwalter (Autoren, Verlage, Agenturen) gegenüber kommerziellen Abomodellen wie auch öffentlichen Bibliotheksleihmodellen begründet sich natürlich in der Honorierung, die eine sinnvolle ökonomische Betrachtung für sie auf den ersten Blick schlicht nicht zulässt. Während sich bei den kommerziellen Abomodellen noch ein klarer Marketing- und Upsell-Effekt auf andere Produktformate durch ihre verschränkten Ökosysteme zuweisen lässt, ist dies bei öffentlichen Bibliotheks-Leihmodellen schwieriger zuweisbar. Verschärft wird die Diskussion noch durch einen relevanten Unterschied zwischen physischer und digitaler Leihe: so stehen digitale Leihen ortsunabhängig und im Sinne einer Commodity für den Kunden auch jederzeit zur Verfügung, während die physische Leihe ganz klar auf den Ort der Bibliothek beschränkt ist. So stehen Konsumentenbedürfnisse einer neuen digitalen Gesellschaft und der Bildungsauftrag der Bibliotheken den wirtschaftlichen Notwendigkeiten der Rechteinhaber diametral gegenüber. Es zählt nach wie vor zu den großen Herausforderungen unserer Branche (und dies nicht nur im Bereich der Publikumsverlage, sondern natürlich mit anderen Methoden, Modellen und Begriffen auch im Bereich des wissenschaftlichen Publizierens), einen gemeinsamen und sinnvollen Weg zu finden, wie es zu einer fairen und nachhaltigen Honorierung der Rechteinhaber und -verwalter kommen kann, damit künftig sowohl die Bibliotheken als auch die Handelsportale diese Vertriebsmodelle sinnhaftig anbieten können, ohne der Verlagslandschaft und den Autoren nachhaltig zu schaden.

 

Data Driven Publishing

“Data is the new oil”, stellte der britische Mathematiker Clive Humby bereits 2006 fest und es dürfte heute zum Allgemeinwissen zählen, dass der Erfolg der gesamten digitalen Ökonomie eben auf einem sehr klaren Analyse- und Verwertungskonzept von Daten fußt. Auch für unsere Branche wird dieses Datenverständnis immer wichtiger, und zwar auf allen Stufen der Verwertungskette. Sei es, dass wir durch Big Data Analysen frühzeitig Trends und Themen erkennen und prognostizieren können, sei es, dass wir für Auflagenschätzungen und Lagermanagement intelligente Algorithmen entwickeln, die uns helfen, dringend benötigte Effizienzen zu heben, sei es, dass wir durch aktuelle Marketing Automation Tools auf Datenbasis die richtigen Kundengruppen zur richtigen Zeit mit den richtigen Produkten ansprechen, oder schließlich, dass wir durch Leseverhaltensdaten besser verstehen, wie unsere Konsumenten besonders im Bereich des Sachbuchs oder wissenschaftlichen Publizierens sich mit den von uns angebotenen Inhalten auseinandersetzen. Auch Verlage brauchen zusehends eine bewusste Datenstrategie und benötigen dazu immer mehr Know How sowie Tools im Bereich der Datenerhebung, -analyse und -verwertung, wenn sie in der Zukunft eine wichtige Rolle in unserer Gesellschaft spielen wollen.

 

Produktformate im digitalen Raum

Spätestens 2018 wurde unserer Branche bewusst, dass wir in eine tiefgreifende Veränderungsphase der Auseinandersetzung um die Aufmerksamkeit unserer Leser und Zielgruppen geraten sind. Das digitale Universum mit seinem riesigen Angebot an Content-Welten aus den Bereichen Text, Audio, Film und Game hat eine derart starke Strahlkraft, dass die auf das Ausgabeformat Buch entwickelten Inhalte mit ihrer Länge und Tiefe zusehends unter Druck geraten. Dieser sogenannte Kampf um Aufmerksamkeit bei der Zeitökonomie der potenziellen Kunden wird zu einem entscheidenden Handlungsfeld, wenn unsere Branche in der digitalen Welt eine Zukunft haben möchte. Verschiedene Initiativen und Player beginnen sich bereits intensiver darum zu bemühen.

Neben einer Professionalisierung unserer Bemühungen, unsere Produkte in der digitalen Welt attraktiv zu halten und zu vermarkten, müssen wir uns aber zusätzlich auch weiterhin fragen, ob wir immer die richtigen textuellen Formate für eine Gesellschaft anbieten, die gewöhnt ist, sich schnell und seriell zu informieren und zu unterhalten. Viele Versuche bei den Publikumsverlagen im Bereich der Produktentwicklung von Apps sind in den letzten 10 Jahren krachend gescheitert. Ganz anders jedoch bei den Wissenschaftsverlagen, die heute kaum mehr als Buchverlage im klassischen Sinn zu bezeichnen sind, sondern sich erfolgreich verwandelt haben in Medienhäuser, die zielgruppengerechten Content entwickeln und in den verschiedensten Formaten wie Apps, Datenbanken oder digitalen Services anbieten und vermarkten. Auch im Schulbuchmarkt wächst die Bedeutung digitaler Produkte jenseits der reinen digitalen Übungsergänzungen zu Lehrwerken spürbar. Aber auch im Publikumsverlagsbereich müssen wir uns ständig der Herausforderung stellen, wie neue Inhalte und Formate aussehen können, um eine digitale Gesellschaft mit belletristischen Produkten zu adressieren. Kinderbücher bieten dabei auf der Hand liegende Chancen, besonders auch in der ungewöhnlichen Kombination digitaler und haptischer Medien wie am erfolgreichen Beispiel der Toniebox zu erkennen ist. Im Jugendbuchbereich ist der Erfolg von Wattpad nach wie vor faszinierend, wurde hier doch im digitalen Raum nichts weniger geschaffen als eine Austauschplattform für Jugendliche, auf der diese gemeinsam schreiben und lesen können, und das in der für sie typischen Ausdrucksform. Wir dürfen nicht müde werden, die immer neuen digitalen Möglichkeiten auch von beispielsweise virtueller Realität und immersivem Erzählen für unsere Autoren und deren Textwelten zu testen und dabei in neue digitale Märkte vorzudringen.

 

Arbeiten in einer digitalen Gesellschaft

Wie bereits eingangs erwähnt, ist die Digitalisierung unserer Welt eine Herausforderung, die unsere Branche und ihre Teilnehmer ganzheitlich auf allen Ebenen fordert und keine isolierte Frage eines bestimmten Produktformates oder Vertriebsweges. Dies trifft natürlich auch und ganz besonders auf unsere Personalpolitik, unsere Unternehmensstrukturen, Denkmethoden und Arbeitsweisen zu. Stichwörter wie Agiles Projektmanagement, Design Thinking und New Work dürfen nicht nur als hohle Buzzwords verstanden werden, sondern sind einerseits wesentliche Erfolgsfaktoren für unsere Unternehmen hinsichtlich ihrer Zukunftsfähigkeit, aber auch ganz konkret wesentliche Bausteine, im sogenannte “War for talents” als Branche attraktiv zu bleiben und immer die besten Talente für uns zu gewinnen.

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