Netiquette

Wir müssen (noch mal) über Twitter reden

14. November 2016
von Börsenblatt
Twitter ist und bleibt eine tolle Plattform für die Buchbranche, nur mit der zivilisierten Nutzung hapert es noch an diversen Stellen – findet jedenfalls Alexander Plaum. Ein Beitrag über Satelliten, Einbahnstraßen, Müllhalden und falsche Gefolgschaft.

Twitter gibt es nun schon seit mehr als zehn Jahren, der große Hype ist längst vorbei, über Benimmregeln wurde schon häufig diskutiert. In letzter Zeit spricht man – wenn überhaupt – über die Krise des blauen Vogels (Vine macht dicht, Mitarbeiter fliegen raus, die Zukunft ist ungewiss). Warum also dieser Beitrag?

Weil der Dienst international immerhin noch über 300 Millionen aktive User hat. Weil er für die Buchbranche ein wichtiges, versatil nutzbares Medium ist, mit dessen Hilfe wichtige Signale gesetzt werden können (-> #FreeWordsTurkey). Weil digitale Büchermenschen wie Wibke Ladwig, Steffen Meier oder Leander Wattig starke, lesenswerte Accounts unterhalten. Weil fast jeder, der irgendetwas mit Publishing zu tun hat, auf der Plattform vertreten ist oder zumindest öfters mal reinschaut. Und weil mir in letzter Zeit bei diversen Usern aus der Branche wieder Marotten aufgefallen sind, die ich für längst überwunden hielt.

Da ich hier keine Einzelpersonen oder Institutionen an den Pranger stellen möchte (und einige User sicher ohne Absicht schlechtes Tweet-Verhalten an den Tag legen), halte ich meine Kritik auf einer allgemeinen, abstrakten Ebene. Sie gliedert sich in vier Einzelpunkte, von denen der letzte mit Abstand am wichtigsten und der erste am harmlosesten ist.

Twitter ist kein Facebook-Satellit

Mit Ignoranz strafe ich in letzter Zeit Accounts, die lediglich per Automatisierungsdienst Facebook-Posts ausspielen. Das funktioniert nämlich nicht besonders gut – und führt zu abgeschnittenen Sätzen ohne Bezug auf irgendwas. Und zu hässlichen Feeds. Ich habe nichts gegen Facebook per se, und ich habe auch nichts gegen Automatisierung von Social Media. Twitter ist aber ein eigenes Medium mit interessanten Features – kein Anhängsel von Facebook. Sinn und Zweck der Plattform ist nicht liebloses Link-Geschleuder für den großen Bruder.

Twitter ist keine Kommunikationseinbahnstraße

Eine der großen Errungenschaften des Social Webs war und ist die Aufweichung beziehungsweise Abschaffung des alten Sender-Empfänger-Prinzips. Man kann und soll seine Botschaften in den Äther senden – aber man soll auch auf die Botschaften der Anderen reagieren. Völlig unverständlich deshalb, dass es immer noch Autoren und Verleger gibt, die zwar noch und nöcher eigenen Content und Tweet-Statistiken raushauen, aber nur höchst selten Lust haben, ihrem Schwarm eine Antwort, einen Fave, einen Retweet oder gar einen Follow-Back zu gönnen. Besonders schlimm wird die Sache, wenn der Account zum Dauerwerbesender mit automatisierten Tweets zum immer gleichen Thema mutiert. Wie schon gesagt: Ich nenne an dieser Stelle keine Namen und Accounts.

Twitter ist keine Müllhalde

Dieser Satz ist tatsächlich nur noch eingeschränkt wahr, da Twitter inzwischen mit Fake-Accounts beziehungsweise Spam-Bots übersäht ist. Er sollte dennoch als Maxime gelten. Zahlreiche User unternehmen allerdings nichts, um Trash-Follower abzukoppeln (obwohl sie weitere Trash-Follower anziehen). Die Lösung ist dabei ganz einfach und heißt: Block-Funktion. Auf welche Teile des Schwarms man verzichten kann, verraten Tools wie BotOrNot oder Twitter Audit.

Twitter ist nicht unpolitisch

»Was ist das denn für eine Binse?« werden Sie jetzt vielleicht sagen. »Natürlich wird auf Twitter permanent über politische Themen diskutiert«. Ich meine aber etwas Anderes, und es bezieht sich auf eine Kernfunktion: Twitter darf kein Medium sein, bei dem man achtlos (oder gar automatisiert) auf den »Follow«-Button drückt. Jedes Mal, wenn ich Accounts von rechtspopulistischen, hasserfüllten (oder einfach verrückten) Publizisten anschaue, bin ich schockiert, wie viele »normale« Follower aus dem eigenen Schwarm sie haben. Weil da mal jemand recherchieren wollte. Oder einfach blind gefolgt ist. Oder oder. Für alle, die mal mit einer kleinen Auswahl verirrter Seelen ihr Netzwerk testen möchten:

https://twitter.com/AkifPirincci

https://twitter.com/UdoUlfkotte

https://twitter.com/COMPACTMagazin

https://twitter.com/Junge_Freiheit

Und? Gruselig? Finde ich auch. Deswegen noch mal in aller Deutlichkeit: Solchen Accounts folgt man per Liste. Man stärkt sie nicht durch normales Folgen, das im Gegensatz zur Antwort und zum (kommentierten) Retweet immer eine Art Billigung oder Unterstützung darstellt. Man macht diese Menschen und ihre Twitter-Präsenz nicht salonfähig. Und man darf sie nach getaner Recherche auch durchaus blockieren (es sind ja letztlich Trash-Accounts). Oder Hetz-Tweets einfach melden (wobei das leider selten fruchtet).

Also: Auf geht's zur großen Account-Ausmistaktion, bei der zum Beispiel diese Liste unseriöser, nicht follow-würdiger Medien helfen kann. Danke für die Aufmerksamkeit –und viel Spaß beim zivilisierten Zwitschern!