Social Media im Umbruch

Terroristen im Internet

1. Dezember 2015
von Börsenblatt
Soziale Netze sind mittlerweile auch zur Pflicht für Verlage geworden: Auch wenn es wenig nützt, ohne geht’s nicht. Aber neben den Millionen Usern tummeln sich dort mittlerweile auch Terroristen und in der Gefolge Geheimdienste und die Polizei. Wer über aktuelle Ereignisse diskutieren will hat möglicherweise mehr Öffentlichkeit als er möchte …

Die junge Amerikanerin Isis Anchalee hat sich neulich laut beschwert: Ihre Facebook-Seite war plötzlich verschwunden! Bereis im August flog der CDU-Landtagsabgeordnete Ismail Tipi aus dem Netzwerk, nachdem eine Kritik an einem Salafisten-Prediger mit dessen Porträt gepostet hatte. Facebook, Youtube und alle anderen haben gemerkt, dass von ihnen ein redaktioneller Umgang mit problematischen Beiträgen gefordert ist. Das Löschen gefährlicher Inhalte kann nun also nicht mehr warten, bis ein Teilnehmer sich beschwert. Es wird zum Job für die Betreiber.

Bei den mehreren tausend Videos, die stündlich bei Youtube eintrudeln und den wahrscheinlich in die Millionen gehenden Textchen, die in der gleichen Zeit bei Facebook aufschlagen, ist aber eine intelligente, also von Menschen geleistete Kontrolle nicht mehr möglich. Also machen sich die Maschinen auf die Jagd nach keywords, wie die bedenklichen Schlüsselwörter neuerdings heißen.

Wer sich auf Facebook-Verlagsseiten an Diskussionen zu aktuellen Titeln über Terror und Flüchtlinge beteiligt, sollte also Ausdrücke vermeiden, die einen stumpfen digitalen Kopfgeldjäger anlocken. Der Name der Ehefrau von Osiris ist tabu, ebenso alle Wörter für Geräte, mit denen junge Islamisten den Weg in den Junfernhimmel abkürzen. Man vermeide Orte und Daten, die Zusammenhänge zu Terrorattacken herstellen könnten und Namen, die auch für Schusswaffen üblich sind.

Beide Unternehmen, Facebook und Twitter, gehen nach eigenen Aussagen schnell und unbürokratisch gegen derartige Inhalte vor und löschen sofort. Wie immer reicht das einigen Scharfmachern in den USA nicht, vor allem im tobenden Vorwahlkampf. Da fragt dann auch schon mal ein Abgeordneter, wie schnell man denn beide Angebote komplett (!) abschalten könnte.

Digitalen Terror löschen

Eigentlich ist das Problem nicht neu: bereits 2010 löschte Youtube haufenweise Al-Qaida-Videos, ohne damit das Problem zu lösen: Es geht nicht mehr nur um Propaganda oder gewalttätige Selbstdarstellungen. Wo alle schreiben liest der Islamische Staat interessiert mit, um enttäuschten Mitbürgern eine Alternative zum langweilig-depressiven deutschen Herbst anzubieten. Für viele Experten sind die Rekrutierungsbemühungen der Terroristen mittlerweile viel gefährlicher als die Eigenwerbung.

Im Juli berichtete die deutsche Ausgabe des amerikanischen WIRED-Online-Magazins über die Erfahrungen des Algorithmus-Experten Kave Salamation, der ein kleines Programm gebaut hatte, das automatisch Seiten mit Wörtern wie »Frieden«, »Freiheit« oder »Gleichheit« mit likes versah. Es dauerte nur drei Tage, bis sich zwölf IS-Recruiter bei ihm meldeten!

Amerikanische Forscher wollen Ende letzten Jahres 46 000 Twitter-Konten von IS-Unterstützern gefunden haben. Twitter selbst löschte im März 2015 über 40 000 Konten, die offenbar Terroristen des »Islamischen Staats« gehörten. Zwischenzeitlich hatten technisch versierte Mullahs gar einen eigenen Facebook-Ersatz unter dem Namen »5elefabook.com« eingerichtet, der aber mittlerweile zum Verkauf steht.

NSA: Wir müssen draußen bleiben!

Während die sozialen Netze etwas enger werden, was offensichtliche Terrorkontexte angeht, bleiben den IS-Aktiven natürlich viele Ausweichmöglichkeiten. Aus der Sicht amerikanischer Politiker ist eines der großen Probleme die Verschlüsselung: Google und Apple verschlüsseln die Kommunikation über ihre Mobil-Anwendungen mittlerweile sehr effektiv, eine Folge unter anderem der Snowdon-Enthüllungen und der europäischen Interventionen beim Abhörskandal. Nun haben die Falken in den USA wieder einen Fall: Wie soll man Anschläge wie die in Paris verhindern, wenn die Terroristen verschlüsselt miteinander kommunizieren können und die amerikanischen Giganten Apple und Google sich weigern, Hintertüren für FBI und NSA einzubauen!

Demokratie wird riskanter

Während die Europäer ihre bürgerlichen Freiheiten scheinbar nicht den Sicherheitsbelangen opfern wollen, drängen die Amerikaner verstärkt auf den ungehinderten Zugriff auf private Kommunikation. Zur Not will man Apple und Google mit Gesetzen dazu zwingen, den Staat mitlesen zu lassen. Auf der Apple-Seite findet sich immer noch Tim Cooks Brief an die Apple-Nutzer mit dem Satz: »Schließlich möchte ich hier festhalten, dass wir niemals mit irgendeiner Regierungsbehörde irgendeines Landes daran gearbeitet haben, einen Hintereingang zu einem unserer Produkte oder einer unserer Dienstleistungen zu bauen. Wir haben auch keinen Zugriff auf unsere Server erlaubt. Und das werden wir auch nie.«

Am 16. November 2015 hoffte CIA-Chef John Brennan bereits öffentlich, dass Paris als »Wachruf« für die Abhörgegner funktioniere. Seine Sicht der Dinge macht Edward Snowden für den Angriff mit verantwortlich, weil seine Veröffentlichungen erst zum Ende des Zugriffs der Behörden auf alle Daten geführt habe. Die Amerikaner, schon 2001 vieler essentieller Bürgerfreiheiten beraubt, sehen sich erneut in der eigenartigen Situation, dass ausgerechnet Konzerne eine Privatsphäre garantieren, die der Staat löchrig machen will.

Europäische Experten befürchten, dass es in nächster Zeit zu weiteren Anschlägen in Europa kommen wird. Damit wird auch bei uns die die Debatte lauter werden: Was von unserer Lebensweise opfern wir dem Schutz des Staates? Auf wieviel unserer Privatsphäre wir bereit sind bei der Unterstützung der Strafverfolgung zu verzichten? Und ein weiteres Debattenthema wartet schon, nicht sehr viel angenehmer: Wo hört beim Löschen von Konten und Seiten der Schutz auf, wo beginnt die Zensur?