Michael Ondaatje in der Berliner Akademie der Künste

Im Spiegel ein wilder Junge

23. July 2015
von Börsenblatt
„Ich war ein Dieb in einem früheren Leben oder werde einer sein in meinem nächsten!“ Michael Ondaatje hat eine Vorliebe für Gauner. So wie Baron C., einer Figur in seinem neuen Roman „Katzentisch“ (Hanser). Der Saal in der Berliner Akademie der Künste ist bis auf den letzten Platz gefüllt.
Wenn der Schriftsteller, der seinen Weltruhm mit „Der englische Patient“ begründete, die erste Station seiner Lesereise durch Deutschland in Berlin stattfinden lässt, dann kommen die literaturbegeisterten Hauptstädter.
 
Als Ondaatje um 20 Uhr den Saal betritt, brandet leiser Applaus auf. Ein wenig zu leise für den Dresdner Autor Ingo Schulze, der sich dann halb ernst an die Zuhörer wendet: „Es gab so schöne Ansätze eines Begrüßungsapplauses, vielleicht könnten sie den noch mal wiederholen.“ Schulze hat an diesem Abend die Vorstellung des Podiums übernommen, zu dem neben Ondaatje auch die Literaturkritikerin Sigrid Löffler gehört und der Schauspieler Manfred Zapatka, der aus „Katzentisch“ vorlesen soll. Zapatka sei ihnen auf dem Weg nach oben verloren gegangen, erklärt Schulze. Und als jener ein paar Minuten später den Saal betritt, gibt es dann noch einmal einen kleinen Applaus. Das Publikum hat gelernt.
 
In „Katzentisch“ geht es um die dreiwöchige Schiffsreise des 11 Jährigen Michael von Ceylon nach London zu seiner Mutter im Jahre 1954. Ondaatje wird später erklären, dass der Roman ein Werk der Fiktion sei, der jedoch aus seiner Autobiographie borge. Auch habe im Alter von 11 Jahren dieselbe Reise angetreten. Nur geblieben sei nicht viel. Flüchtige Erinnerungen, verblasste Bilder des Jungen, der er mal war. An einer Stelle im Roman, als die Hauptfigur Michael dem Baron C. ganz ölverschmiert als wendiger Mittäter dient, betrachtet sich die Figur auf einmal im Spiegel. Ein wilder, dunkler Junge blickte ihm entgegen. Ein Bild das bleibt.
 
Seine mittlerweile erwachsenen Kinder haben ihn nach seinen Erinnerungen gefragt. Und Sigrid Löffler fragt: „Are you flirting with autobiography, flirten sie mit der Autobiographie?“ An Pingpong-Spiele und daran, dass er in den Schiffspool gehüpft sei, daran könne er sich erinnern. Vieles musste er erfinden. Aber Flirten sei ein gutes Wort. Für Sigrid Löffler ist der in Kanadier Ondaatje mit Wurzeln in den Niederlanden und Sri Lanka ein Mann der gespaltenen Herkünfte, die multiplen Identitäten. Eine Biografie wie sie nur das Britische Empire hervorbringen könne. Löffler stellt an diesem Abend präzise Fragen, flicht immer wieder Erklärendes zum Roman ein, übersetzt Fragen und Antworten auf den Punkt und leitet in den richtigen Momenten die zu lesenden Passagen ein.
 
Ondaatje und Zapatka lesen im Wechsel, mal ein Kapitel auf deutsch und dann wieder im englischen Original. Und es sind nicht nur zwei Stimmen, zwei Sprachen sondern auch zwei ganz unterschiedliche Stimmungen, die sich unmittelbar auf die Zuhörer übertragen. In Ondaatjes Ton schwingt die ganze Melancholie eines kleinen Jungen mit, der an der Schwelle zum Erwachsen werden steht, der auf dem klinisch sauberen Schiff einen unsagbare Traurigkeit über den Verlust der Kindheit verspürt, die sich in der Erinnerung an die Geräusche und Gerüche des subtropischen Colombo manifestiert hat. Und dann gibt es noch den kleinen Jungen mit dem Schalk im Nacken, für den das Schiff ein großes Abenteuer ist. Diesem Jungen gibt Zapatka eine Stimme.
 
Es sind die großen Themen, die sich in Ondaatjes Romanen wiederfinden. Und es sind auch symbolträchtige Bilder, die er dafür findet. Sigrid Löffler fragt nach dem Motiv der Reise, der Schiffsreise.  Ein Schiff sei doch eine so eindeutige Metapher für einen Übergang, für Veränderung. Ondaatje erklärt, er würde immer versuchen die offensichtlichen Metaphern zu vermeiden. Und tatsächlich, der Roman zeigt sich den Zuhörern an diesem Abend leichtfüßig und tiefgründig zugleich. Vielleicht ist es das, was Ingo Schulze am Anfang des Abends mit seinem Vergleich zur besonderen Dresdner Malerei, der Dresdner Peinture meinte. Farbenprächtig aber niemals schwerfällig: „Katzentisch ist ganz aus der Farbe aufgebaut“.