E-Lending-Debatte

Fair Lesen: „Miteinander zukunftsfähige Lizenzmodelle entwickeln“

22. Oktober 2021
von Börsenblatt

Die Initiative „Fair Lesen“, der sich mittlerweile über 1500 Literaturschaffende angeschlossen haben, plädiert für eine gemeinsame Entwicklung von zukunftsfähigen Lizenzmodellen. Erst in der letzten Woche ist die Diskussion, um die E-Leihe erneut entfacht.

Die digitale Leihe ist neben dem Konditionenstreit im Buchhandel und der Debatte um die rechten Verlage eines der großen Themen, die die Branche zum Zeitpunkt der Frankfurter Buchmesse beschäftigen.

In der vergangenen Woche appellierte die Initiative an die Politik. Die geforderte "Zwangslizenzierung" zerstöre die wirtschaftliche Grundlage der Branche. Wir berichteten. Der Deutsche Bibliotheksverband gab daraufhin Kontra und sprach von Falschinformationen. Wir berichteten ebenso.

Nun wendet sich die Initiative erneut an die Öffentlichkeit. Man begrüße ausdrücklich die öffentliche und kritische Debatte, die um die Herausforderungen des E-Lendings entstehen. Für die Initiative ist dies einer der großen Punkte, die sich die kommende Regierung im Bereich der digitalen Transformation im Kultur- und Bildungsbereich stellen muss. Einerseits müsste das Gemeinwohl, der Zugang zu Literatur und Fachwissen sowie die Funktionsauftrag der Bibliotheken gestützt werden, andererseits dürfte dies Buchschaffende nicht einseitig belasten und ihre Handlungsmöglichkeiten durch eine Angebotspflicht zu stark beschränken.

Um die Lage aus Sicht der Buchbranche zu erklären, will die Initiative auf folgende Fakten aufmerksam machen. Wir zitieren:

  • Rund 7.200 Verlage lizenzieren heute bereits freiwillig eine halbe Million Titel innerhalb der digitalen Leihe für Bibliotheken, wie etwa der „Onleihe“. 75% der Nutzerinnen und Nutzer sind mit dem Titel-Angebot der Onleihe „sehr zufrieden“ bis „zufrieden“, zwei Drittel sind „zufrieden“ mit der Aktualität des Angebots (GfK 2019)
  • Im Jahr 2020 wurden rund 30,2 Millionen E-Books über Öffentliche Bibliotheken entliehen (buchreport.express 4/2021).
  • Im selben Zeitraum wurden 35,8 Millionen E-Books regulär gekauft. Somit deckte die digitale Leihe mit 30,2 Mio. entliehenen Titeln ca. 46% aller rund 66 Millionen konsumierten E-Books in 2020 ab – fast die Hälfte aller in Deutschland gelesenen E-Books werden folglich über Öffentliche Bibliotheken bereitgestellt. Was aber bedeutet das für Buchschaffende?
  • 2020 wurde mit diesen 30,2 Millionen entliehenen E-Books nur ein Erlös von 16,1 Millionen Euro erwirtschaftet. Dies entspricht ca. 6% des gesamten E-Book Marktes (E-Gesamtmarkt in 2020: 253,7 Mio. Euro laut Börsenverein des Deutschen Buchhandels e.V.). Das Missverhältnis zwischen Nutzungszahlen und Erlösen ist unübersehbar.
  • Teilt man die Erlöse i.H.v. 16,1 Millionen Euro durch die 30,2 Millionen entliehenen E-Books, so ergibt sich rein rechnerisch ein Erlös von 0,53 € je entliehenes Buch. Der Buchhandel bleibt hierbei außen vor, im Gegensatz zu E-Book-Verkäufen.
  • Aufgrund dieser sehr geringen Erlöse und der wirtschaftlichen Relevanz der neu erscheinenden Titel, bieten Verlage mitunter ihre Novitäten mit einer Verzögerung von sechs bis maximal zwölf Monaten in der digitalen Leihe an. Dieses Zeitfenster, auch „Windowing“ genannt, ist einer der Debattenstreitpunkte, um die es nun politisch geht:
  • Da die Nutzung der Onleihe in Konkurrenz zu den Buchverkäufen steht, wie es aus den Zahlen der GfK-Studie aus dem November 2019 hervorgeht, wonach 45% der Onleihe-Nutzer weniger bzw. gar keine physischen Bücher mehr kaufen und 46% der Onleihe-Nutzer den Kauf von E-Books reduzieren bzw. gänzlich einstellen, und die Erlöse der Leihe (6% der Gesamterlöse) in einem eklatanten Missverhältnis zum Marktanteil konsumierter E-Books steht (46% Marktanteil der Onleihe), sehen die Unterstützer und Unterstützerinnen von „Fair Lesen“ die Forderungen des Deutschen Bibliotheksverbandes nach einer Zwangslizensierung bzw. „Angebotspflicht“ aller E-Books ab Tag des Erscheinens, nachvollziehbar kritisch.

„Autorinnen und Autoren, Übersetzerinnen und Übersetzer sowie Verlage tragen seit Jahrzehnten ihren Anteil bei, um die reichhaltige und vielfältige analoge wie digitale Infrastruktur der Bibliotheken zu ermöglichen“, heißt es in der Mitteilung der Initiative „Fair Lesen“.  Dies möchte man auch weiter ermöglichen. Dafür dürften aber Erlösstrukturen nicht nachhaltig geschädigt werden. Eine gesetzlich verordnete Angebotspflicht ab Erscheinungstag sei aus Sicht der Unterstützerinnen und Unterstützer von „Fair Lesen“ jedoch eine nachhaltige Schädigung. „Deshalb plädiert die Initiative dafür, dass alle Beteiligten die Möglichkeit haben, miteinander zukunftsfähige Lizenzmodelle zu entwickeln. Dies kann nur ohne gesetzlichen Zwang zu einem gerechten und nachhaltigen Ergebnis führen.“