100 JAHRE DADA

Buchstäblich verrückt

24. Januar 2016
von Börsenblatt
So individuell sie auftraten, gab es doch ein Grundgesetz, das alle Dadaisten einte: den notorischen Regelverstoß. Neue Bücher erinnern an die Bewegung, die 1916 in Zürich entstand.

Revolte gegen den Ungeist

Februar 1916, Zürich: Mitten im Ersten Weltkrieg gründet eine kleine Gruppe von Literaten und Künstlern das Cabaret Voltaire, das alsbald zur Wiege einer Nonsens-Bewegung wird, die mit anarchischer Lust Sprache und Kunst auf den Kopf stellt. Autoren und bildende Künstler wie Hugo Ball, Emmy Hennings (Balls spätere Frau), Richard Huelsenbeck und Walter Serner experimentieren mit der Typografie, bürsten die Sprache gegen den Strich und erfinden die Happening-Kunst. Der von Börsenblatt-Mitarbeiter Andreas Trojan gemeinsam mit H. M. Compagnon herausgegebene »Dada Almanach« (Manesse, 176 S., 39,95 Euro) versammelt Textbilder, Lautgedichte, Manifeste und Miszellen bekannter und weniger bekannter Dadaisten. Das in Rot und Schwarz gehaltene, quadratische Buch ist aufwendig mit einem Pappeinband und vielen typografischen Finessen gestaltet. Im Anhang finden sich zudem exklusive Dada-Biografien sämtlicher Protagonisten.

Die ideale Ergänzung zum Almanach ist die von Martin Mittelmeier geschriebene »Jahrhundertgeschichte«, die die Entstehung der Dada-Bewegung im geschichtlichen und kulturhistorischen Kontext erzählt. »Dada«, so Mittelmeier, »gilt als der explosivste, konsequenteste, schrillste und vielfältigste Versuch, Kunst, Literatur und Sprache aus den Fängen bürgerlicher Ideologie zu befreien«. (»Dada. Eine Jahrhundertgeschichte«. Siedler, Januar, 272 S., 22,99 Euro).

Volles Ball-Vergnügen

Von Hugo Ball, dem 1886 in Pirmasens geborenen Mitbegründer der Dada-Bewegung, ist folgendes Zitat überliefert: »Ich brauche etwas Ironie, um das Leben auszuhalten, und mehr noch, um meine Zeit zu ertragen.« Das war natürlich maßlos untertrieben. Balls 1918 im Berliner Erich Reiß Verlag erschienener Roman »Flametti oder Vom Dandysmus der Armen«, den der Schauspieler und Literaturinterpret Jochen Nix für Parthas Hörbuch eingelesen hat, verarbeitet jedenfalls jede Menge autobio­grafisch gefärbter, verrückter Einfälle (Februar, 5 CDs, 340 Min., ca. 19,90 Euro). 

Eine weitere Schlüsselfigur der Bewegung porträtiert Eva Weissweiler in ihrer für April bei Kiepenheuer & Witsch angekündigten Biografie »Notre Dame de Dada«: Luise Straus-Ernst, Max Ernsts erste Frau, die als »Muse der Dadaisten« galt (352 S., ca. 22,99 Euro).

Lust an der Provokation

Francis Picabia, einer der einflussreichsten und wandlungsfähigsten Künstler der Moderne, durchlief auch eine sehr lebhafte Dada-Phase. Die Texte dazu versammelt die bei Nautilus für Anfang Februar angekündigte Neuausgabe »Francis Picabia. Funny Guy & Dada« (160 S., 19,90 Euro) in der Übersetzung von Pierre Gallissaires und Hanna Mittelstädt. Von 1918 bis 1921 verband Picabia mit Tristan Tzara, den er bei einer Kur in der Schweiz kennenlernte, eine produktive Dada-Freundschaft. Danach wandte sich Picabia neuen Kunstströmungen zu.