Übersetzung

"Die Frage wie man als Übersetzer aus dem Weißrussischen überlebt, drängt sich geradewegs auf"

22. März 2012
von Börsenblatt
Thomas Weiler (33) über die Zustände und Unzustände im belarussisch-deutschen Literaturtransfer.

Inwiefern unterscheiden sich der polnische, der ukrainische und der belarussische Buchmarkt bezüglich der Vernetzung mit dem deutschen Markt voneinander?
Die polnischen Verlage wissen, wie der deutsche Buchmarkt funktioniert, und sie haben die nötigen Kontakte. Auch die deutschen Verlage wissen, an wen sie sich wenden müssen. Das Polnische Buchinstitut (Instytut Książki)  leistet eine hervorragende Vermittlungsarbeit und fördert beispielsweise Übersetzungen aus dem Polnischen. Es gibt viele kompetente Übersetzer aus dem Polnischen. Aus dem Ukrainischen sind es schon viel weniger, vom Belarussischen ganz zu schweigen.

Könnte das nicht auch ein Vorteil sein, wenig Konkurrenten zu haben?

Nein. Bei einer Podiumsdiskussion während der Buchmesse war davon die Rede, dass man als Übersetzer dieser kleinen Sprachen immer auch ein Scout und Literaturagent sein muss. Man kommt also mit einem völlig unbekannten, aber sehr lesenswerten Autor zu einem deutschen Verlag und bietet eine Probeübersetzung an. Dann hat man schnell ein Glaubwürdigkeitsproblem, denn natürlich handelt man auch im eigenen Interesse. Außer dem Übersetzer gibt es aber meist keine Referenzen, geschweige denn jemanden im Verlag, der des Belarussischen mächtig wäre. Im Polnischen ist das anders. Da sind ausreichend Übersetzer verfügbar, die den Text und die Übersetzung begutachten können, und darüber hinaus existiert in Polen eine gut funktionierende Literaturkritik.

 

 

 

Welche Initiativen gibt es im belarussischen Bereich, an diesem Zustand etwas zu ändern?
Wir haben versucht, mit der Gründung des Vereins probabel e.V. und der Internetseite literabel.de erste Grundlagen zu schaffen. Dort stellen wir belarussischsprachige Autoren vor und präsentieren Leseproben in deutscher Sprache. Zusätzlich bieten wir Kontakte zu den Übersetzern und auf Nachfrage auch zu den Autoren an. Im Umfeld des Buchmesseschwerpunkts haben mehrere Zeitschriften  belarussische Literatur in Übersetzung veröffentlicht. In "Literatur und Kritik“ gab es ein umfangreiches Belarus-Dossier, in der dreisprachigen Zeitschrift "Radar" sind ebenfalls mehrere Texte erschienen, die Belarus im Fokus haben. Und die Dresdner Zeitschrift "Ostragehege" hat belarussische Lyrik veröffentlicht. Das sind so ein paar kleine Pflänzchen, die jetzt sprießen und so gibt es die Hoffnung, dass mit der Fortführung des Schwerpunkts in den nächsten beiden Jahren der Boden für weitere Entdeckungen bereitet wird.

Wann ist das Projekt literabel.de gestartet und wie ist der Stand?

Literabel ist im März 2011 gestartet – bei einer Lesung in der Literaturwerkstatt Berlin haben wir vier Autoren mit aktuellen Texten und ihre Übersetzer vorgestellt. Inzwischen sind wir auf der Internetseite bei sechzehn Autoren angelangt, darunter viele Lyriker, gerade ist der erste Dramatiker in Vorbereitung. Die Autorenprofile mit Leseproben und Hintergrundinformationen sind dabei unterschiedlich gut ausgebaut. Dass die Seite sich kontinuierlich weiterentwickelt, ist Teil des Konzepts. Zunächst wollten wir in die Breite wachsen, langfristig soll es aber vor allem in die Tiefe gehen und die Zahl der Autoren übersichtlich bleiben.

Die These der Lektorin Katharina Raabe ist, dass der mehrjährige Schwerpunkt den Verlagen die Chance gibt, Bücher aus den kleinen Sprachen zu entdecken und ihnen eine Bühne zu bieten. Stimmen Sie zu?
Ja, aber ich bin verhalten optimistisch, ob der auf drei Jahre angelegte Schwerpunkt auf der Leipziger Buchmesse ausreicht. Die Länderschwerpunkte der Frankfurter Buchmesse, die ja regelmäßig einen kurzfristigen Übersetzungsboom auslösen, verfolgen einen anderen Ansatz. Vermutlich werden in den nächsten Jahren weitere Zeitschriften auf die belarussische Literatur aufmerksam, aber ich gehe nicht davon aus, dass nun reihenweise belarussische Romane erscheinen werden. Das hängt übrigens auch damit zusammen, dass die Lyrik in den osteuropäischen Ländern ausgesprochen stark ist, während bedeutende Romane nicht so leicht zu finden sind. Die großen Verlage von einem unbekannten Lyriker überzeugen zu wollen, ist ziemlich aussichtslos. So läuft es wieder auf Literaturzeitschriften und Nischenverlage heraus, deren Wahrnehmung naturgemäß beschränkt ist.

Wie überlebt man als Übersetzer aus dem Belarussischen?
Diese Frage habe ich auf literabel.de auch meinen Kollegen gestellt, sie drängt sich ja geradezu auf. Die meisten übersetzen noch aus weiteren Sprachen, das ist bei mir nicht anders. Ich habe Russisch und Polnisch studiert, bin also Diplom-Übersetzer. Das Belarussische war aber bereits vorher bei mir angelegt, weil ich meinen Ersatzdienst in Minsk geleistet habe. Anderthalb Jahre war ich in der Behindertenarbeit tätig und habe in dieser Zeit vor allem Russisch gelernt, aber natürlich auch einen sehr starken Bezug zum Land entwickelt. Auch später während des Studiums habe ich versucht, das Belarussische wahrzunehmen, was an deutschen Universitäten nicht ganz einfach ist. Durch Besuche im Land, intensive Lektüre und den Kontakt zu Autoren halte ich mich seither auf dem Laufenden.

Fragen: Kai Mühleck

Thomas Weiler (33) übersetzt aus dem Belarussischen, Russischen und dem Polnischen. Er ist Mitinitiator der Internetseite literabel.de. Er lebt in Karlsruhe.