Übersetzungen aus dem Niederländischen

"Es dürfen sich keine falschen Freunde einschleichen"

17. Juni 2016
von Börsenblatt
Flandern und die Niederlande sind in diesem Jahr das Gastland der Frankfurter Buchmesse, mehr als 100 belletristische Titel erscheinen. boersenblatt.net hat Übersetzer gefragt, worin die größte Herausforderung beim Übersetzen aus dem Niederländischen liegt:

Die größte Herausforderung beim Übersetzen aus dem Niederländischen ist für mich …

"…. dass sich jeder der von mir übersetzten Autoren und Autorinnen mit seiner jeweiligen, unverwechselbaren Stimme wiederfinden kann."
Helga van Beuningen, geboren 1945 in Obergünzburg im Allgäu; Studium des Englischen und Niederländischen an der Universität Heidelberg; Abschluss: Diplom-Übersetzerin für Englisch und Niederländisch; lebt in Bad Segeberg.

"… grundsätzlich keine andere als die beim Übersetzen aus anderen Sprachen. Es gilt, den Ton des Originals zu treffen, es nicht nur inhaltlich, sondern in allen seinen sprachlich-stilistischen Eigenheiten äquivalent ins Deutsche zu übertragen, sich den Text anzuverwandeln und eine deutsche Entsprechung aus einem Guss daraus zu machen. Eine Besonderheit beim Übersetzen aus dem Niederländischen liegt allerdings in der Verwandtheit der beiden Sprachen, aufgrund derer der Grat zwischen gleichlautender Entsprechung und „Niederlandismus“ sehr schmal ist. Da muss ich als Übersetzerin also ganz besonders auf der Hut sein und immer wieder überprüfen, ob zum Beispiel eine Redewendung im Niederländischen auch tatsächlich die gleiche Bedeutung hat wie eine ähnlich lautende deutsche Verwandte und ob ich mich mit meiner Übertragung idiomatisch auch wirklich noch firm auf deutschem Boden bewege."
Hanni Ehlers, geboren 1954 in Eutin; Studium des Niederländischen, Englischen und Spanischen an der Universität Heidelberg; lebt in Pronstorf in Schleswig-Holstein.

"… zum einen die Behandlung von Umgangssprache und Slang, zum anderen die Entscheidung, ob Fremdes als fremd stehenbleibt oder ob dem Leser Hilfestellungen zum besseren Verständnis geboten werden sollen. Der eigentliche Spagat besteht darin, eine Übersetzung abzuliefern, die sich wie ein gut geschriebener deutscher Text liest, die aber gleichzeitig die Eigenschaften des Ausgangstextes sichtbar lässt wie zum Beispiel Milieugebundenheit, Leichtigkeit, Tiefgründigkeit, Rhythmus. Eine große argumentative Herausforderung kann es dann darstellen, wenn im Herausgabeprozess diese Feinheiten zugunsten einer leichteren Lesbarkeit „glattgebügelt“ werden sollen, um damit eine größere Leserschaft zu erreichen."
Marlene Müller-Haas, geboren 1948 in Unterfranken; Studium der Kunstgeschichte, Niederlandistik und Germanistik an den Universitäten Würzburg, Amsterdam und Berlin; lebt in Berlin.

"… bei aller Nähe dennoch die Eigenarten der niederländischen Mentalität, Geschichte und Kultur nicht zu verwischen."
Gregor Seferens, geboren 1964 in Höngen im Selfkant; Studium der Germanistik, Niederlandistik und Philosophie an den Universitäten in Bonn und Köln; lebt in Bonn.

"… die richtige Distanz zum Originaltext zu finden, ohne ihn zu verraten. Gerade weil das Niederländische dem Deutschen so verwandt ist, muss man stark darauf achten, dass sich keine „falschen Freunde“ einschleichen. Erst ein gewisser Abstand erlaubt es, „quasi dasselbe mit anderen Worten“ zu sagen, wie Umberto Eco das Übersetzen so schön umschrieben hat. Dabei strebe ich eine Art „Sprachmimikry“ an, eine Ähnlichkeit gestaltlicher Muster, die so groß ist, dass man meinen könnte, der Text wäre von Anfang an auf Deutsch verfasst worden."
Christiane Burkhardt, geboren 1966 in Stuttgart; Ausbildung zur Verlagskauffrau, danach Studium der Italienischen Literaturwissenschaft, Neueren Deutschen Literatur und Kunstgeschichte; lebt in München.

"… das Paradox zu meistern, gleichzeitig Gastgeber und Gast zu sein."
Stefan Wieczorek, geboren 1971 in Koblenz; Studium der Neueren deutschen Literatur, Komparatistik und Soziologie in Marburg, Bochum und Utrecht; Promotion an der RWTH Aachen, danach Lehrtätigkeit an der RWTH Aachen und der Univ. Utrecht; lebt in Aachen, im Dreiländereck Niederlande-Belgien-Deutschland.

"… mein Bewusstsein für die Unterschiede zwischen den beiden nah verwandten und auf den ersten Blick so ähnlichen Sprachen immer wieder zu schärfen. Da die Übersetzung in jeder Hinsicht als deutscher Text überzeugen muss, sind Niederlandismen nicht nur auf der lexikalischen Ebene zu vermeiden – das ist schließlich das Mindeste, was man von Übersetzern erwarten darf –, sondern auch bei festen Wortverbindungen, in der Idiomatik, in der Syntax (das in beiden Sprachen grammatisch Mögliche ist meist nur in einer von beiden auch stilistisch gut oder akzeptabel), in der Wiedergabe von Jargon, zum Beispiel in Dialogen. Deutschen Formulierungen ähnliche und sehr vertraut wirkende niederländische Konstruktionen darf man deshalb nie ohne kritische Prüfung einfach in den deutschen Text übernehmen, vielmehr muss man sich gedanklich von der Textgestalt der Vorlage lösen, wobei man erstaunlich oft feststellt, dass der jeweilige Sachverhalt oder Gedanke in der Übersetzung völlig anders formuliert werden muss. Die große Nähe der beiden Sprachen erleichtert das Übersetzen darum nicht in jedem Fall, denn sie kann auch dazu verleiten, Formulierungen zu übernehmen, die es in dieser Form im Deutschen nicht gibt oder die stilistisch oder in anderer Hinsicht nicht in den jeweiligen Kontext passen. Dieser Versuchung zu widerstehen, erfordert eine gewisse geistige Disziplin."
Andreas Ecke, geboren 1957 in Wuppertal; Studium der Germanistik, Niederlandistik und Musikwissenschaft, gerade ausgezeichnet mit dem Europäischen Übersetzerpreis Offenburg 2016; lebt in Bonn.

"… den richtigen Ton zu treffen, die sprachlichen Feinheiten, die Nuancen zu beachten und die im Original verwendeten sprachlichen Mittel auf angemessene Weise zu übertragen. Speziell beim Übersetzen aus dem Niederländischen lege ich, eben wegen der Nähe der beiden Sprachen, den Nachdruck eher auf die übersetzerische Freiheit. Die Gefahr, semantisch und syntaktisch zu dicht beim Original zu bleiben, schätze ich in diesem Fall als größer ein als die, mich zu weit vom Original zu entfernen. Am wichtigsten ist mir, „im Deutschen anzukommen“, nicht nur vom Wortschatz her, sondern auch syntaktisch."
Bettina Bach, geboren 1965 in Heilbronn; Verlagsfachschule in Paris, Studium der Germanistik in Berlin und der Kulturwissenschaften in Amsterdam; lebt in Jena.