AKEP-Jahrestagung 2016

"Wir lernen täglich dazu"

22. Juni 2016
von Börsenblatt
In Berlin hat heute morgen die Jahrestagung des Arbeitskreises Elektronisches Publizieren (AKEP), der ab sofort gemeinsam mit dem AK E-Commerce der Sortimenter die neue IG Digital bildet, begonnen. Wichtige Themen sind unter anderen die digitale Transformation und die Entwicklung mobiler Geschäftsmodelle. Boersenblatt.net hat zwei steile Thesen formuliert, die einer der neuen IG-Digital-Sprecher, Michael Döschner-Apostolidis, Verlagsleiter Elektronisches Publizieren bei Droemer Knaur, genauer unter die Lupe nimmt.

These 1: Die digitale Transformation steckt noch in den Kinderschuhen. Die Unternehmen der Buchbranche haben noch eine sehr lange Wegstrecke vor sich.

These 2: Ohne mobile Kundenansprache und Mobile-Commerce-Geschäftsmodelle wird die Buchbranche die nächsten fünf Jahre nicht überstehen.


Zu These 1
Die These, dass sich die digitale Transformation bei den Unternehmen der Buchbranche noch in den Kinderschuhen befindet, kann in dieser Einheitlichkeit natürlich nicht stimmen. Das lässt sich ja schon ganz einfach daran ablesen, dass heute bereits ein sehr hoher Teil der Umsätze der Branche sowohl in den digitalen Vertriebskanälen als auch mit digitalen Produkten erwirtschaftet wird.

So hat beispielsweise der Buchhandel heute schon viel gelernt, natürlich auch getrieben durch den E-Commerce-Weltmeister Amazon. Die heute immer klarer aufscheinenden Omnichannel-Strategien der Händler weisen jedenfalls darauf hin, dass hier ein notwendiger und wichtiger Schritt bei der digitalen Transformation unternommen wurde, auch wenn dies natürlich niemals ein einmaliger Umstellungsprozess ist, sondern ein ständiges Sich-neu-Erfinden, bei dem wir alle ja erst am Anfang stehen.

Auch die Fachverlage beschäftigen sich ja nun seit vielen Jahren mit der digitalen Transformation, und hier ist vielen bereits ein guter Einstieg in die digitale Produktentwicklung und den digitalen Vertrieb gelungen, insofern ihre Stammprodukte nicht komplett durch neue digitale Megaplayer substituiert wurden. Das ist nicht selbstverständlich, wie wir ja recht klar an den Zeitungsverlagen sehen können, die mit als erste von der digitalen Disruption erfasst wurden und aus meiner externen Perspektive zumeist bis heute noch keine echte Antwort gefunden haben, wie sie die digitale Transformation in ihren Unternehmen und mit digitalen Produkten erfolgversprechend gestalten können.

Im Segment der Publikumsverlage mag Ihre These noch am ehesten zutreffen und ich sehe hier in der Tat noch an vielen Stellen hohen Innovationsbedarf. Die digitale Disruption des Vertriebs durch Amazon hat die Publikumsverlage dabei bislang noch nicht wirklich vor existentielle Herausforderungen gestellt. Auch das Aufkommen der E-Reader und der digitalen Produktgruppe E-Book war zunächst ein sehr freundlicher Transformationsschub, der den Unternehmen noch keine entscheidenden Anstrengungen hinsichtlich ihrer Produktstrategie und Organisation abverlangte.

Das Aufkommen des Selfpublishings hingegen, das lange belächelt wurde, darf unserer Branche weiterhin Kopfzerbrechen bereiten. Wenn es heute - wie eben erst wieder durch die Author-Earnings-Studie in den USA gezeigt - für Nachwuchsautoren wesentlich lukrativer ist, sich auf eigenen Beinen im Selfpublishing auf den Weg zu den Lesern zu machen, als sich bei einem Verlag zum Autor zu entwickeln, dann sollte das den Verlagen Kopfschmerzen bereiten, wie sie sich in der Zukunft dazu am besten stellen sollten.

Natürlich ist das Stammprodukt der Publikumsverlage heute Print, und dementsprechend sind die meisten Verlage in ihren Strategien und Strukturen auf diese Produktkategorie ausgerichtet. Und gerade hier liegt die größte Herausforderung dieser Unternehmen: das bestehende Printgeschäft professionell durchzuführen und gleichzeitig die Innovationskraft, den Willen, das Budget und das Know-how für die digitale Transformation zu ermöglichen. Die nächsten großen Disruptionen nach dem Vertrieb stehen sicher im Bereich des Konsums (Flatrate-Gesellschaft), des Marketings und der Leserbeziehung an.

Wenn der gesellschaftliche Wandel hin zum digitalen Konsum von Medien auch die Buchbranche noch stärker erfasst (und das wird geschehen), dann müssen diese Unternehmen jetzt schon Antworten finden auf die damit verbundenen Herausforderungen. Denn in diesem Fall - und die Zahlen der Branche über die letzten 15 Jahre deuten ja stark darauf hin - findet Wachstum im digitalen Lesemarkt statt, der vielleicht wie im Falle Wattpad nach komplett anderen Spielregeln funktionieren kann.

Kurz müssen wir aber sagen, nicht nur als Vertreter der Buchbranche, sondern auch als Teilnehmer einer sich radikal wandelnden Gesellschaft, dass wir 25 Jahre nach dem Aufkommen des Internets in der Tat immer noch staunend wie Kinder vor dieser digitalen Innovation stehen und nur dadurch auch bestehen können, dass wir jeden Tag ein wenig dazu lernen und uns neu erfinden.


Zu These 2
Der Kipppunkt hin zur mobil vernetzten Gesellschaft ist heute längst überschritten, und es hat sich inzwischen herumgesprochen, dass mit klassischen Desktop-Strategien allein nichts mehr zu bewirken ist – spätestens seit Google Seitenbetreiber aktiv im Index abstraft, die keine mobil optimierte Webseite vorweisen können. Mobile First ist eine logische Antwort auf diesen Trend.

Die Herausforderdung durch die "mobile devices" findet zunächst einmal wieder auf zwei Ebenen statt, von der in der These nur eine angesprochen wird: auf der Ebene des Zugangs zum Kunden einerseits, auf der Ebene des relevanten Medieninhalts für diesen mobil surfenden Kunden andererseits.

Gerade in Bereich der Produktentwicklung für die mobilen Mediennutzer erweisen sich viele klassische Verlage als komplett unvorbereitet. Wir sehen immer wieder spannende neue mobile Produkte, die gerade nicht in Verlagshäusern entstanden sind, weil diesen die Innovationskraft dafür fehlt. Die Verlage und der App-Markt, obschon ein relevanter und riesiger Publikationsmarkt, fremdeln bis heute.

Im Bereich des Zugangs zum Kunden, das ja ein klassisches Handelsgeschäft ist, sehe ich heute bereits Fortschritte an vielen Stellen. Hier, aber auch im Bereich des Endkunden-Marketings der Verlage, besteht nicht allein die Herausforderung, eine mobil optimierte Webseite oder Kampagne zu haben, sondern viel mehr, die Customer Journey immer besser zu verstehen, auch über verschiedene Devices hinweg bis hin zum aktiven Tracking des auf einem Device aktivierten Kunden, der aber seinen Kauf im Laden abschließt.

Dies ist in anderen Branchen bereits heute Standard und wird entscheidend beim Buhlen um die Gunst der Kunden werden. Denn überzeugen wird diese Kunden derjenige, der statt Massenkontakten echte Relevanz erzeugen kann. Relevanz wiederum kann nur der bieten, der seinen Kunden am besten kennt. Und gerade im Bereich der Datenanalyse stehen fast alle Teilnehmer der Buchbranche in der Tat noch ganz am Anfang einer weiteren digitalen Reise.

Und eine kurze Antwort auf die bewusst steile These: Selbst wenn die komplette Branche auch diesen Megatrend komplett verschlafen sollte, wird sie in fünf Jahren nicht zugrunde gehen. Aber sie wird zum Verwalter einer alternden Medienproduktstrategie und sollte sich voraussichtlich nicht mehr auf Wachstum einstellen. Und das wäre für eine Branche, die ja eigentlich mit den Inhalten ihrer Produkte eigentlich für höchste Kreativität steht, äußerst bedauerlich. Und wir sollten nicht klagen, wenn andere Unternehmen aus anderen Kontexten in die dann aufscheinenden Lücken treten.