Antiquariat

Von Schocken bis Ashendene Press – Ernst Nolte im Gespräch

23. Dezember 2015
von Börsenblatt
Die Herbstauktionen sind vorbei, Ende April hört das Auktionshaus Hauswedell & Nolte in Hamburg endgültig auf. Ein Interview mit Inhaber Ernst Nolte.

Ihre Ausbildung haben Sie in den frühen 1960er Jahren im Antiquariat von Frieder Kocher-Benzing in Stuttgart absolviert; wie sind Sie zu Ernst Hauswedell gekommen?

Ernst Nolte: Frieder Kocher-Benzing und Ernst Hauswedell kannten sich natürlich gut. In verbandspolitischen Fragen und bei der Vorbereitung der ersten Stuttgarter Antiquariatsmesse, die 1962 stattfand, hatten beide viel miteinander zu tun. Und schon Kocher-Benzings Vater war ein engagierter Büchersammler und Kunde Hauswedells gewesen. Als Mitarbeiter des Stuttgarter Antiquariats habe ich damals das teure Werkverzeichnis von Ernst Barlach aus Hauswedells Verlag für meine Handbibliothek bestellt. Bei einem Stuttgart-Besuch wollte mich Hauswedell daraufhin kennenlernen; das war allerdings nur ein eher kurzer Austausch. Ein Antiquar muss wandern, und so habe ich mich nach Abschluss meiner Ausbildung erfolgreich bei Hauswedell in Hamburg beworben.

Sie sind 1963 nach Hamburg gegangen; was waren damals Ihre ersten Eindrücke von der Hansestadt? Wie gestaltete sich die Zusammenarbeit mit Hauswedell?

Ich habe die ersten Monate nach dem 15. September 1963 am Steindamm in der Nähe des Hauptbahnhofs verbracht, oberhalb eines Varieté-Theaters namens "Hansa-Theater", und konnte die Artisten während ihrer Pausen in den Aufenthalts- und Umkleideräumen beobachten. Im Übrigen war diese Ecke Nähe Hauptbahnhof in diesen Herbst- und Wintertagen überaus zugig … Hauswedell residierte damals noch an der Fontenay, der Umzug an den heutigen Standort erfolgte erst 1967.

Mein Kunstinteresse hat sich damals rasch entwickelt, schon in Stuttgart gab es Kontakte etwa zu Roman Norbert Ketterer. Kunst spielte bei Hauswedell zur Zeit meines Einstiegs dort keine große Rolle, aber Hauswedell, der meine Neigungen bemerkte, hat irgendwann zu mir gesagt "Machen Sie da etwas draus" – wir haben uns also ganz gut ergänzt. Hauswedell hat mir später auch mehrmonatige Aufenthalte in London und New York ermöglicht, die für mich sehr wichtig waren. Aus der wirtschaftlichen Dynamik, die der Ausbau des Kunstsektors bot, entwickelte sich innerhalb weniger Jahre eine weitergehende Perspektive: 1967 Einzelprokura, 1969 Teilhaberschaft, 1977 Übergabe des Auktionshauses an mich. Den getrennt firmierenden Verlag, an dem ich zuvor beteiligt war, führte Hauswedell allein weiter, bis er ihn 1982 an Gerd Hiersemann in Stuttgart veräußerte.

Wie hat sich Hamburgs kulturelle Landschaft in den vergangenen Jahrzehnten verändert?

Festzustellen ist, dass sich die Anzahl der Galerien für die klassische Moderne immer stärker verringert hat. Heute gibt es so gut wie keine Galerie für diesen Sektor. Im Übrigen habe ich mich in den zurückliegenden Jahrzehnten, besonders was die 1960er bis 1990er Jahre angeht, so intensiv auf unsere Arbeit konzentriert, dass ich mich nicht allzu viel übrigen Dingen widmen konnte.

Wie steht aus Ihrer Sicht das in weiten Teilen immer noch sehr bodenständig wirkende deutsche Buchauktionswesen da?

Die Antiquare (wie auch Kunsthändler) klagen allgemein über ihre Geschäfte, für die Buchauktionshäuser allerdings gilt dies weniger oder nicht. Es werden über diesen Verkaufsweg jährlich zigtausende von Büchern transportiert, zu einem hohen Prozentsatz – der vielleicht zu hoch ist – mittlerer und kleinwertiger Größenordnungen.

Was waren für Sie die Höhepunkte Ihrer langen Berufstätigkeit im Blick auf Bücher, Handschriften und Autographen?

Das lässt sich kaum in wenigen Sätzen zusammenfassen. In Stichworten: Aus den 1960er Jahren sind viele Stücke aus der Sammlung von Salman Schocken, Tel Aviv, zu nennen: Fontane-Briefe, Stifter-Manuskripte ("Nachsommer", "Bunte Steine"), Schopenhauer, Beethoven, Schubert, Karl Kraus, das Manuskript zu "Letzte Tage der Menschheit", Käthe Kollwitz, Edvard Munch und Emil Nolde. 1970/71 erfolgte die Auflösung der Königlichen Ernst August-Fidei Kommissbibliothek mit 80.000 Bänden. Gunnar A. Kaldewey hat diese beiden Auktionen als " die spektakulärsten ihrer Zeit" bezeichnet. 1974 Bibliothek F. C. Koch, Den Haag (Atlanten, Tafelwerke – und eine verhinderte Kippenbildung unter den holländischen Antiquaren …). 1975/76 Bibliothek Salman Schocken/Karl Wolfskehl. 1982 Insel-Sammlung Bergmann, Detmold. 1984 Bibliothek Ernst Hauswedell (mit ausdauernden Bietgefechten zwischen Bernd Breslauer und dem Beauftragten von H. P. Kraus …). 1991 Bibliophilie 2000, Sammlung G. Rossipaul. 2001 Karl Marx, "Kommunistisches Manifest" in der Erstausgabe. 2002 Walter Benjamin, "Berliner Kindheit um 1900", das "Stefan-Exemplar". 2004 Tabakhistorische Sammlung Reemtsma, Hamburg. 2005 Nietzsche-Sammlung Tilmann Buddensieg. 2009 Henry van de Velde, Sammlung Brinks. 2010 Stefan George. Melchior Lechter, Sammlung Castrum Peregrini, Amsterdam. 2010 335 Fontane-Briefe an Georg Friedländer und Fritz Mauthner. 2013 Friedrich Nicolai, Sammlung Dieter Beuermann, Berlin. 2014 Harry Graf Kessler und Ashendene Press.

Da wir ja nun nicht nur Buchauktionen veranstalten, seien aus dem Kunstsektor, den wir hier sonst völlig ignorieren, zwei Beispiele genannt: 1985 wurde in unserer Kunstauktion für Tilmann Riemenschneiders "Lüsterweibchen" mit 1,3 Millionen DM der erste Millionenpreis in einer deutschen Nachkriegsauktion erzielt. Heute befindet sich dieses Stück in der Sammlung Würth, Künzelsau. 2001 erzielte Caspar David Friedrichs Sepiazeichnung "Blick auf Arkona mit aufgehendem Mond und Netzen", entstanden um 1803, ein Ergebnis von 1,495 Millionen DM, erworben von Jan Krugier. Bei der Auflösung von Krugiers Sammlung erzielte dieses Werk in London nur noch etwa zwei Drittel des ursprünglichen Erwerbungspreises. Im Übrigen mag es bemerkenswert sein, dass wir für das Museum of Modern Art in New York wiederholt Dubletten vermitteln durften und auch Stücke aus unserem Bestand dorthin verkaufen konnten.

Der Übergang von Hauswedell zu Hauswedell & Nolte verlief sehr erfolgreich; was sind die Gründe dafür, dass die Firmengeschichte abbricht?

Zum einen spielt hier das Alter eine Rolle, meine Frau Gabriele Braun und ich haben diesem Unternehmen zusammen 100 Jahre gewidmet (meine Frau 48, ich 52). Uns schien dies ein Zeitraum zu sein, nach dessen Überwindung ein Schlussstrich gezogen werden darf. Trotz langer und intensiver Nachfolgersuche haben wir keine Einzelperson oder auch Personengruppe gefunden, die unseren Vorstellungen zur Weiterführung gerecht wurde. Die Vorstellungen waren einfach zu divergent, das Monetäre spielte eine zu große Rolle. Die Art und Weise, wie wir das Unternehmen betrieben haben, mit aller Leidenschaft und auf die Materie bezogen, ließ sich in dieser Form nicht fortsetzen.

Was tun Sie mit Ihrer neuen Unabhängigkeit vom fordernden Versteigerungsrhythmus?

Wir haben über all die langen Jahre vielerlei kulturelle Interessen hintanstehen lassen. Es hat sich eine erhebliche Zahl von Dingen angesammelt, denen wir uns in den kommenden Jahren widmen werden. Darüber hinaus planen wir in näherer Zukunft eine Deutschlanddurchquerung Nord-Süd; eine genaue Streckenplanung gibt es noch nicht, aber wir rechnen damit, zwei, drei Monate unterwegs zu sein. Ausgangspunkt ist Hamburg, mögliche Schlussstation Basel. Weiterhin steht die Aufarbeitung der umfangreichen und für die Nachkriegsgeschichte des deutschen Kunst- und Antiquariatshandels vermutlich aufschlussreichen archivalischen Hinterlassenschaften der Firma an.

Die Fragen stellte Björn Biester.