Augsburger Theaterdrama

Anonyme plakatieren Buchhandlung zu

20. April 2016
von Börsenblatt
Boykottaufrufe gegen die Buchhandlung, eine Schule kündigt das Schulbuchgeschäft auf und eine Intendantin den Literarischen Salon: Weil Sortimenter Kurt Idrizovic Einsparpotenzial bei der Stadttheatersanierung sieht, machen einige Augsburger massiv gegen ihn mobil.

Die Frage, die Kurt Idrizovic stellt, ist eine zunächst offene: "Sind Sie dafür, dass die Stadt Augsburg die Sanierung des Theaters trotz angespannter Haushaltslage über Neuverschuldung finanziert?" Mit 300 Millionen Euro sei die Stadt Augsburg bereits verschuldet, weitere 70 Millionen für die geplante Sanierung "bringen die Gefahr mit sich, dass die Stadt handlungsunfähig wird", bilanziert der Inhaber der Buchhandlung am Obstmarkt. Er gehört zur Initiative Kulturelle Stadtentwicklung Augsburg, die seit Anfang April Unterschriften für ein Bürgerbegehren mit der eingangs gestellten Frage sammelt: "Wir wollen die Bürger einfach fragen, ob sie die Neuverschuldung wollen oder nicht - in einem Fall hat der Magistrat ein rückenstärkendes Mandat, im anderen Fall müssten die Planungen nach Einsparpotenzialen überprüft werden."

Der Buchhändler ist in Augsburg kein Unbekannter und kennt sich auch in Sachen Bürgerbegehren aus: 2005 hatte er eines für die neue Stadtbücherei initiiert, mit Erfolg. Heute sind alle auf den Neubau stolz, Idrizovic engagiert sich im Vorstand des Freundeskreises der Stadtbibliothek wie im kulturellen Leben der Stadt mit Brecht-Führungen und zahlreichen anderen Aktivitäten wie dem monatlichen Literarischen Salon im Stadttheater.

Vielleicht gerade deshalb, weil er bekannt ist, schießen sich einige Augsburger auf ihn ein. "Man kann streiten, man soll unbedingt Argumente austauschen, aber was ich Moment hier erlebe, zielt sehr darauf ab, mich wirtschaftlich zu schädigen - und das verstehe ich einfach nicht", bedauert Idrizovic die Entwicklungen.

"Möglicherweise weil durch das Bürgerbegehren nun nach und nach viele Informationen zur Sanierung publik werden, wird nun kolportiert, wir wären gegen eine Sanierung des Theaters - aber das stimmt ja gar nicht", stellt Idrizovic klar. "Wir plädieren nur dafür, die Sanierung eine Nummer kleiner durchzuführen." Mitarbeiter des Theaters hingegen sahen durch das Bürgerbegehren ihre Arbeitsplätze gefährdet; der Buchhändler erhielt Post:

"Die von Ihnen mit initiierte Unterschriftensammlung für einen Bürgerentscheid hat bei den Mitarbeitern des Theaters zu völligem Unverständnis geführt. Da eine weitere Zusammenarbeit dem Ensemble nicht mehr vermittelbar ist, sieht sich die Theaterleitung veranlasst, diese mit sofortiger Wirkung bis auf weiteres auszusetzen. Dies betrifft insbesondere auch die Durchführung des Literarischen Salons im Theater", schrieben die Intendantin Juliane Votteler und der kaufmännische Direktor Steffen Rohr und beendeten die Zusammenarbeit mit der Buchhandlung. Davon ist auch der Theatershop betroffen, wo die Buchhandlung  im Theater vor Aufführungen Bücher im Zusammenhang mit auf dem Spielplan stehenden Stücken anbot.

Kurze Zeit später fühlte sich eine private Schule unter städtischer Trägerschaft berufen, öffentlichkeitswirksam einzugreifen: Sie kündigte die Belieferung im Schulbuchgeschäft mit der Buchhandlung auf und will woanders bestellen. Die Begründung: Die Kulturarbeit der Schule würde eingeschränkt, wenn die Schüler künftig nicht mehr ins Theater gehen könnten. "Da hat die Behauptung verfangen, wir wollten das Theater abschaffen, was wir gar nicht wollen - ich bin ratlos, sagt Idrizovic. "Inzwischen ist dann immer häufiger von ,der Buchhändler' die Rede, da wird plötzlich ein ganzer Berufsstand verunglimpft."

Trauriger Höhepunkt der Auseinandersetzungen ist, dass am Freitag die Schaufenster der Buchhandlung am Obstmarkt zuplakatiert worden; anonym zwar, aber die Wortwahl lässt auf dramaturgisch erfahrene Gegner schließen. "'Jede Stadt sagt: Lasst uns die Starken aus unserer Mitte vertreiben" - Bert Brecht" oder "'Niemand hat die Absicht, das Theater zu schließen', sagte der Staatsratsvorsitzende der ehemaligen DDR, Walter Ulbricht? Nein, Kurt Idrizovic, Theatersanierungsgegner". Diese und weitere Plakate klebten zusätzlich an rund 200 Bushaltestellen in Augsburg, wonach die Stadtwerke in der Buchhandlung anriefen: "Ich habe dann erst mal aufgeklärt, dass ich nicht der Unterzeichner, sondern der Geschmähte bin und keinesfalls für die Reinigungskosten aufkommen werde - die Täter sind bislang anonym."

Sich kulturpolitisch zu engagieren, stehe eigentlich gerade Buchhändlern gut an, findet Idrizovic und hat ja auch schon viele positive Erfahrungen gemacht. Nach den jüngsten Erlebnissen jedoch ist er sehr nachdenklich geworden: "Wenn die Auseinandersetzungen die Sachebene verlassen und auf wirtschaftliche Schädigungen zielen, wenn es Boykottaufrufe gibt, man solle nicht mehr in der Buchhandlung kaufen, dann macht mich das mehr als betroffen." Gerade mit Blick auf das Schulbuchgeschäft, das ein Viertel seines Umsatzes ausmacht, hofft er, dass andere Schulen nicht nachziehen und gerade die städtischen Träger neutral bleiben. "Es ja ein ganz legitimes Mittel, eine Überprüfung anzuregen, ob die Sanierung auch mit  weniger als 70 Millionen Euro zu bewerkstelligen ist." Idrizovic kämpft: "Ich werd's schon durchstehen."