Autoren und ihre Lieblingsbuchhandlung (74)

In der Wunderkammer

9. Dezember 2014
von Börsenblatt
Kerstin Preiwuß über die Buchhandlung Wörtersee in Leipzig, in der vieles Platz hat – darunter auch ein eigenes Buchprogramm.

"Den Wörtersee betritt man durch einen Rettungsring. Nicht ganz, denn der Rettungsring hängt über der Tür, die einen einlässt in die kleine Buchhandlung am Anfang des Leipziger Südens, die Peter Hinke als Beiboot seiner innerstädtisch gelegenen Connewitzer Verlagsbuchhandlung vor nun bald zehn Jahren ins Leben gerufen hat. Es ist ein Ort mit eigenen Gesetzen, denn ist man einmal eingetreten in den Halbschatten des kleinen Raumes mit seinen dunklen Holzregalen, hört die Hektik des lauten Peterssteinwegs auf, der Baustellenlärm versackt.

Von den Wänden blicken Tiere auf einen herab und machen Geräusche: Katzen miauen, Frösche quaken, Grashüpfer zirpen, Pelikane klappern, Hummeln summen, Mäuse fiepen, Spechte pochen. Auf dem roten Sofa schwimmt ein blauer Hai und auf den Tischen liegen neben den aktuellen Romanen auch Bücher über Heringe. Wie in einer Wunderkammer mischen sich Drucke von Studenten der nahe gelegenen Hochschule für Graphik und Buchkunst, Lyrikbände, moderne wie antiquarische Bücher, Sach- wie Kinderbücher und Dinge zum Verschenken, so kundig wie dezent arrangiert, dass es einem nur natürlich vorkommt, dass die Bücher Bücher sind: unberührt von saisonalen Moden, etwas für immer.

Man lässt sich treiben, wandert zwischen den Tischen hin und her, geht wieder und wieder durch den Raum, um immer noch etwas Neues zu entdecken, eine besondere Leipziger Wildblumenmischung etwa oder eine Neuübersetzung von Faulk­ner. Am Ende möchte man nichts anderes tun als einsammeln, was man gefunden hat, obwohl man nicht einmal wusste, dass man danach auf der Suche war.

Schnell wird klar, der Rettungsring ist nicht nur nettes Beiwerk. Das hier ist kein Sehnsuchtsort, sondern Wort gewordener Schutzraum – für besondere Bücher, ihre Leser – und für Autoren, denn der Wörtersee ist nicht nur eine Buchhandlung, sondern Sitz des mit der Connewitzer Verlagsbuchhandlung assoziierten Verlags.

Hier liegen oder stehen Bücher, die es hier zu kaufen gibt, weil sie hier hergestellt wurden – der erste Gedichtband von Ulrike Almut Sandig etwa, das Gesamtwerk von Andreas Reimann, die Jahres­anthologie der Studenten des Leipziger Literaturinstituts, Gedichte von Dietmar Dath oder eine illustrierte Geschichte von Clemens Meyer. Im Herbst kommt ein Kurt-Wolff-Leseband hinzu, eine Auswahl aus der Reihe »Vom jüngsten Tag«, mit Texten aus der großen Leipziger Zeit des Kafka-, Werfel-, Trakl-Verlegers.

Auch mein erstes Buch liegt hier. Dem Wörtersee verdanke ich mein Lyrikdebüt und damit den Beginn meiner Autorschaft. Wann passiert es einem schon einmal, dass man zu einer Inventur in einer Buchhandlung mitgenommen wird, sich als Bezahlung ein Buch aussucht und darüber mit dem Inhaber der Buchhandlung ins Gespräch kommt, der einem nach vielen weiteren vorsichtigen Gesprächen eröffnet, dass diese Buchhandlung eine Verlagsbuchhandlung ist und darum Bücher nicht nur verkauft, sondern auch herstellt, man eine Reihe plant, die gerade auch jungen, unbekannten Autoren ein Portal bieten möchte und in dieser Reihe der »Edition Wörtersee« Platz für einen ist.

Klingt unwirklich, ist aber so und dass es so ist, folgt dieser schönen wie wundersamen Selbstverständlichkeit, die es nur hier, im Wörtersee, gibt."

Kerstin Preiwuß, 1980 geboren, lebt in Leipzig. Sie debütierte 2006 mit dem Gedichtband „Nachricht von neuen Sternen". Vor Kurzem ist ihr erster Roman „Restwärme" im Berlin Verlag erschienen.