BÖRSENBLATT-Serie Meine Lieblingsbuchhandlung

Bodo Kirchhoff über verschwundene, nahe und ferne Favoriten

19. Juli 2007
von Börsenblatt
»Freizügig und dennoch verwinkelt ist meine Idealbuchhandlung, ein Labyrinth, in das sich Leser auch nachts um zwei noch verirren können«, schreibt Bodo Kirchhoff. Verraten auch Sie uns, zu welchem Buchhändler Sie eine besondere Beziehung haben - direkt an dieser Stelle in Form eines Kommentars. Alle Empfehlungen können Sie hier nachlesen!
Meine Idealbuchhandlung sollte es schon länger geben als ihren Besucher, und sie sollte mich und meinesgleichen auch überdauern, ohne dass wir ihr dieses Weiterleben neideten, im Gegenteil: Unsere Bücher hätten auch dann noch einen Ort, wenn wir schon keinen mehr haben. Und gut wäre es, wenn diese Buchhandlung neben einem alten Café läge, wie etwa die Livraria neben dem Café Benard in der Rua Garrett, Lissabon, beides in dem Gebäude, in dem auch das Hotel Borges seine Zimmer hat – das mir liebste genau über der Nahtstelle von Café und Livraria, wodurch sich, wenn man am offenen Fenster sitzt, ab zehn Uhr morgens der Duft von frischem Gebäck mit dem von altem Papier mischt. Meine erträumte Buchhandlung wäre also zunächst eine für die kindliche Nase (und dürfte nie in Nähe einer Parfümerie oder anderen Geschäften liegen, die das Raffinierte bevorzugen). Hat man diesen Idealort aber erst einmal betreten, ist alles Weitere Sache der Augen in einem doppelten Sinn: die lesenden als schnelle Diener des Verstandes, wenn ich einen Anfang überfliege (was man nicht tun soll), und die schweifenden als Zuträger für meine Neugier, wenn sie etwa am Detail eines Umschlages hängen bleiben oder dem Glanz auf der Stirn eines abgebildeten Autors, dessen Werke andere Läden vielleicht gar nicht führen oder nur ungern zur Schau stellen. Freizügig und dennoch verwinkelt ist meine Idealbuchhandlung, ein Labyrinth, in das sich Leser auch nachts um zwei noch verirren können (wie in der Gandhi-Buchhandlung in Buenos Aires, Avenida Corrientes), eine Herausforderung an den Orientierungssinn: ohne Wegweiser, allein mit dem System des Geschmacks; eine Buchhandlung, in der man sich mehr durch Sympathie zurechtfindet als mithilfe des Alphabets, geleitet vom Zauber der Titel, der uns ein Buch aufschlagen lässt, um ein paar Seiten im Stehen zu lesen, ohne Brille, aber mithilfe des Fingers, wie einst, als wir lesen gelernt haben, um dann erneut der Trägheit unserer Augen zu folgen, schwankend zwischen dem Gesicht des alten Buchhändlers (ja, er sollte alt sein), der seiner Kundin von einem Roman erzählt, als kämen sie beide darin vor, und den roten Wangen einer Angestellten, die über den Bildschirm (bitte kein neuestes Modell) mit dem Universum der lieferbaren Titel verbunden ist, ohne die Achtung vor dem einzelnen Buch zu verlieren. Nun kann man aber nicht immer nach Buenos Aires oder nach Lissabon reisen, wenn man sich unter günstigen Umständen nach Büchern umsehen möchte. Es genügt auch, nach Hamburg zu fahren und dort durch die zwar nicht verwinkelte, aber vielseitig menschenoffene Buchhandlung Männerschwarm, Lange Reihe 102, zu laufen, und früher genügte es, bei einer Berlin-Reise am guten alten Bahnhof Zoo auszusteigen, um in die Heinrich-Heine-Buchhandlung zu gehen (auch die Gerüche von Gleisen und Bahnschotter passen gut zum Papiergeruch). Und wenn ich an die Buchmessestadt Frankfurt denke, fällt mir zu meinem Bedauern ebenfalls ein verschwundener Laden ein, nämlich die Frankfurter Bücherstube Cobet am Goetheplatz, heute Juweliergeschäft (und noch immer tut es mir leid, dort Anfang der 70er einen Kunstband entwendet zu haben, zumal mir der alte Herr Cobet, als ich Wochen später kurz nach Kassenschluss noch etwas kaufen wollte – Josef Roths »Stummen Propheten« –, das Buch einfach in die Hand gedrückt hat: weil es die richtige Wahl sei, wie er sagte). Unverzichtbar für die Idealbuchhandlung ist also auch der erkennbare Grund des Buchhändlers, warum er Bücher verkauft und nicht Damenschuhe oder Fernsehgeräte (häufig sogar bei Hugendubel am Steinweg zu spüren: dass die Angestellten ein Bücherherz haben). Nur so kann der Liebesakt zwischen Leser und Buch gelingen, mit Beratung durch einen Beherzten, falls erwünscht, dann wäre man zu dritt; und mit einem Roman auf die Straße zu treten, der einem kurz zuvor noch unbekannt war, oder den in die Hand zu nehmen einem die Idealbuchhandlung mit ihren Gerüchen und Blickfängen und einem Personal, dem man sich anvertraut wie älteren Geschwistern, überhaupt erst Mut gemacht hat, wäre zweifellos ein stiller Höhepunkt.