Nachrichten von hier und jetzt
Eine Renaissance des Politischen in der deutschen Gegenwartsliteratur hat sich bereits im vergangenen Herbst mit Ulrich Peltzers Roman »Teil der Lösung« (Ammann) und mit Annette Pehnts Arbeitsplatzprotokoll »Mobbing« (Piper) angedeutet. Nun folgt eine ganze -Reihe von Titeln, die sich mit Gesellschaftsthemen und immer wieder mit Terrorismus und Gewalt befassen.
Eine außergewöhnliche Perspektive bietet Sherko Fatah. Als Sohn eines kurdischen Vaters und einer deutschen Mutter in der DDR geboren und aufgewachsen, übersiedelte er 1975 in den Westen und lebt heute in Berlin. Seine literarischen Themen findet er im Grenzgebiet zum Irak. Auch sein dritter, eindrucksvoller Roman »Das dunkle Schiff« (Jung & Jung) setzt in einer kleinen Stadt im kurdischen Nordirak ein.
Fatah zeichnet auf beklemmende Weise den Lebensweg eines jungen Mannes nach, der nach dem gewaltsamen Tod des Vaters von Gotteskriegern entführt wird, um selbst zu einem ihrer Kämpfer zu werden. Bevor es dazu kommt, dass er ein Selbstmordattentat verüben muss, flieht er auf einem Frachtschiff nach Europa und kommt schließlich nach Berlin. Doch seine schrecklichen Erlebnisse verfolgen ihn. Er bleibt ein Fremder und findet Heimat nur in der Religion.
Bernhard Schlink nähert sich dem Thema Terrorismus auf andere Weise. In seinem Roman »Das Wochenende« (Diogenes) geht es um eine Figur, die in vielem an den RAF-Terroristen Christian Klar erinnert. Allerdings setzt Schlink voraus, er wäre vom Bundespräsidenten begnadigt worden. Zu seiner Freilassung organisiert die Schwester ein Wochenende in einem alten Anwesen in Brandenburg, wohin sie alte Freunde einlädt: ehemalige Linke, die sich längst in einem bürgerlichen Leben eingerichtet haben und die nun mit den Idealen und Irrtümern ihrer Jugend konfrontiert werden.
Wofür es sich im Leben zu kämpfen lohnt, fragt auch Lars Brandt, doch das Milieu seines Romans »Gold und Silber« (Hanser) ist eher künstlerisch geprägt. Jedenfalls begreifen seine Protagonisten, die in einer mittelgroßen deutschen Stadt leben, sich als Künstler, was ihre Suche nach dem »richtigen Leben« nicht leichter macht.
Michael Kumpfmüller legt mit »Nachricht an alle« (Kiepenheuer & Witsch) einen hochpolitischen Roman vor dem Hintergrund terroristischer Bedrohungen vor. Im Mittelpunkt steht der Innenminister eines europäischen Landes, das sich in einer tiefen Krise befindet. Er bekommt eine SMS-Mitteilung seiner Tochter aus einem Flugzeug. An Bord hat es eine Explosion gegeben, die Maschine stürzt ab, der Vater ist in seinem Hotelzimmer in New York sozusagen live dabei, ohne zu wissen, was vor sich geht. Doch das ist nur der Auftakt dieses groß angelegten Gesellschaftspanoramas mit mehreren ineinander verwobenen Erzählsträngen. Kumpfmüller wurde dafür mit dem Döblin-Preis ausgezeichnet.
Interessante Aspekte bietet auch Franz Dobler, der in »Aufräumen« (Kunstmann) einen Bar-keeper zum Helden macht oder Patricia Görg, die in »Meyer mit Y« (Berlin Verlag) einen Geizigen über ein ganzes Jahr beobachtet. Im Zeitalter der »Geiz ist geil«-Werbung ist diese Charakterstudie zugleich auch eine Typologie des Zeitgeistes. Das gilt auch für Peter Lichts skurriles Katastrophen-erwartungsszenario »Die Geschichte meiner Einschätzung am Anfang des dritten Jahrtausends« (Blumenbar), eine apokalyptische Satire.
Novitäten:
Lars Brandt
Gold und Silber
Hanser
304 S., 21,50 Euro
Franz Dobler
Aufräumen
Kunstmann
208 S., 17,90 Euro
Karen Duve
Taxi
Eichborn Berlin
304 S., 19,95 Euro
Sherko Fatah
Das dunkle Schiff
Jung & Jung
440 S., 22,- Euro
Patricia Görg
Meyer mit Y
Berlin
176 S., 18,- Euro
Dirk Kurbjuweit
Nicht die ganze Wahrheit
Nagel & Kimche
224 S., 17,90 Euro
Michael Kumpfmüller
Nachricht an alle
Kiepenheuer & Witsch
384 S., 19,95 Euro
Peter Licht
Die Geschichte meiner Einschätzung am Anfang des dritten Jahrtausends
Blumenbar
64 S., 14,90 Euro
Andreas Neumeister
Könnte Köln sein
Suhrkamp
250 S., 16,80 Euro
Bernhard Schlink
Das Wochenende
Diogenes
226 S., 18,90 Euro
Tim Staffel
Jesús und Muhammed
Transit
140 S., 14,80 Euro
Rund um die Welt und darüber hinaus
So präsent die deutsche Gegenwart, so klein ist doch diese Republik mit all ihren Problemen. Wer das globale Zeitalter verstehen will, den drängt es über die Landesgrenzen hinaus. Als Experte für globale Zusammenhänge und ausgewiesener literarischer Weltreisender hat sich Ilija Trojanow einen Namen gemacht. In Bulgarien geboren, in Afrika und Deutschland aufgewachsen, besuchte er zahlreiche afrikanische und arabische Länder und mehrmals auch Indien. Unter dem Titel »Der entfesselte Globus« (Hanser) liegen seine Reportagen nun gesammelt vor: eine Vermessung der Welt von heute, die mit der Vermittlung touristischer Attraktionen nichts zu tun hat.
Der Schweizer Lukas Bärfuss legt mit »Hundert Tage« (Wallstein) eine Geschichte vor, die 1994 zur Zeit des Genozids in Ruanda spielt: Ein Entwicklungshelfer, der aus Liebesgründen im Land bleibt, versteckt sich in seinem Haus und wird auf der Flucht zum Komplizen der Mörder.
Einen Blick von innen auf die afrikanische Wirklichkeit liefert daneben der junge Nigerianer Uzodinma Iweala, der in seinem literarischen Debüt »Du sollst Hyäne sein« (Ammann) das Schicksal nigerianischer Kindersoldaten beschreibt. Iweala, der in Harvard studierte, hat in Lagos mit solchen Kindern in der Rehabilitation gearbeitet. Er schreibt nun über einen Jungen, der vor dem Krieg und aus seinem Dorf flieht, dabei aber geradewegs in die Hände der Rebellen und ihres militärischen Führers gerät.
In das weltabgewandte, abgeschottete Burma führt die Reise in Christiane Neudeckers Debütroman »Nirgendwo sonst« (Luchterhand), einer Dreiecksgeschichte, die als geplante Abenteuerreise beginnt und bald zum Höllentrip wird. Etwas harmloser geht es bei Matthias Politycki zu. Er schickt seinen Protagonisten auf einem Kreuzfahrtschiff »in 180 Tagen um die Welt« (Marebuchverlag) und berichtet in kurzen Momentaufnahmen vom absonderlichen Alltag an Bord und von den Erlebnissen in den Hafenstädten. Etwas schneller ist Helge Timmerberg unterwegs. Er schafft es auf den Spuren von Jules Verne »In 80 Tagen um die Welt« (Rowohlt Berlin), bleibt dabei aber auch in der eher schlichten Form des Reiseberichts.
Literarisch ergiebiger ist sicherlich Lutz Seilers Zugfahrt durch kasachische Landschaften, »Turksib« (Suhrkamp). Der Text, für den der Dichter aus Wilhelmshorst bei Berlin im Vorjahr mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis ausgezeichnet wurde, erscheint hier zusammen mit der Erzählung »Die Anrufung«.
Dort, im fernen Osten, ist auch eine Frau unterwegs, die noch weiter weg will: bis zum Mond. »Die Kosmonautin« (DVA) heißt der Debütroman des Verlagslektors Jo Lendle. In schönen, ruhigen und präzisen Bildern beschreibt er die Autofahrt seiner Heldin bis zum russischen Raumfahrtbahnhof und ihre Verwandlung in eine Weltraumreisende. Und dann hinter dem Osten, dem All, gibt es noch die, die schon überall waren und nirgendwo zu Hause sind als in ihrer Langeweile. Thomas Pletzinger erzählt in seinem Debüt »Bestattung eines Hundes« (Kiepenheuer & Witsch) von der Generation der Mittdreißiger und ihrem Überdruss
Novitäten:
Jörg Albrecht
Sternstaub, Goldfunk, Silberstreif
Wallstein
256 S., 19,90 Euro
Lukas Bärfuss
Hundert Tage
Wallstein
250 S., 19,90 Euro
Uzodinma Iweala
Du sollst Hyäne sein!
Ammann
200 S., 18,90 Euro
Jo Lendle
Die Kosmonautin
DVA
160 S., 16,95 Euro
Christiane Neudecker
Nirgendwo sonst
Luchterhand
228 S., 17,95 Euro
Thomas Pletzinger
Bestattung eines Hundes
Kiepenheuer & Witsch
352 S., 19,95 Euro
Matthias Politycki
In 180 Tagen um die Welt
Marebuchverlag
384 S., 24,90 Euro
Lutz Seiler
Turksib
Suhrkamp
50 S., 14,80 Euro
Helge Timmerberg
In 80 Tagen um die Welt
Rowohlt Berlin
288 S., 19,90 Euro
Ilja Trojanow
Der entfesselte Globus
Hanser
200 S., 17,90 Euro
Natürlich, die Liebe
Eine bessere Methode, um nach dem Großen oder auch dem Unerreichbaren zu streben, ist die Liebe. Es muss ja nicht unbedingt gleich der Mond sein, wenn man über sich hinausgelangen möchte. Es geht um den Augenblick, in dem zwei sich selbst genug sind, weil sie die ganze Welt umfassen. Davon erzählt die Berliner Autorin Iris Hanika in ihrem Roman »Treffen sich zwei« (Droschl). Minutiös und bis in körperliche Vorgänge hinein schildert sie, was in dem viel zitierten Moment der »Liebe auf den ersten Blick« geschieht und was für Konsequenzen sich aus dem Zusammenprall in einer Berliner Kneipe ergeben können. Denn es ist ja klar, dass der eher blödsinnige Zustand der Verliebtheit nicht lange anhält.
Martin Walser sucht diesen Zustand in ganz anderen historischen Höhen. Sein neuer Roman »Ein liebender Mann« (Rowohlt) führt nach Marienbad im Jahr 1823, wo der 73-jährige Geheimrat Johann Wolfgang von Goethe der Familie von Levetzow begegnet, sich in die 19-jährige Tochter Ulrike verliebt und ihr zum Entsetzen der Weimarer Gesellschaft einen Heiratsantrag macht. Walser interpretiert diese Geschichte weniger als eine der Entsagung als der Zurückweisung. Er zeigt die Liebe in all ihrer Bedingungs-losigkeit, ihrer Kraft und ihrer Lächerlichkeit. Goethes Marienbader Elegie, die daraus hervorging, erfährt eine neue radikale Lektüre. Und Walser hat für seine großen Themen Alter und Liebe zu einer sehr viel jüngeren Frau (denn wo sonst wäre das Alter deutlicher zu spüren) eine grandiose historische Entsprechung gefunden. Walser ist dieser Goethe doch gerade deshalb wirkt sein Goethe so lebendig, als wäre er von innen heraus erfasst.
Eine historische Figur hat sich auch Helmut Krausser gesucht, um das Rätsel einer Liebe zu ergründen. Es geht um Giacomo Puccini und Corinna, eine Geliebte, deren genaue Identität bisher unklar war. Krausser hat neue Dokumente gefunden, die es ihm erlauben, einen abenteuerlichen Künstlerroman aus der Belle Epoque zu entwerfen. »Die kleinen Gärten des Maestro Puccini« (DuMont) sind eine romanhafte Biografie. Daneben hat er die Ergebnisse seiner Recherchen auch als Sachbuch aufbereitet. »Die Jagd nach Corinna« (Belleville) bietet die Fakten zur Fiktion.
Vier Geschichten über »alle Arten der Liebe« verspricht der Klappentext zu Viktorija Tokarjewas »Liebesterror« (Diogenes), als ob es nur die Mutter-, die Nächsten-, die erotische und die romantische Liebe gäbe. Doch vielleicht gelingt es der großen russischen Erzählerin tatsächlich, darin die Totalität der Liebesbemühungen aufscheinen zu lassen. Die in Uruguay geborene und in Spanien lebende Cristina Peri Rossi erzählt in »Endlich allein« (Dörlemann) eine »Geschichte der Liebe in fünfzehn Episoden« mit wechselnden Darstellern und Schauplätzen , während der in Ägypten geborene und in New York lebende André Aciman in »Ruf mich bei deinem Namen« (Kein & Aber) von der ersten, einzigen, unüberbietbaren Liebe erzählt. Das ist eine Geschichte von Obses-sion und Verschmelzungssehnsucht, die das haben die meisten Liebesgeschichten gemeinsam nicht gut enden kann.
In dem Roman »Das Ende des Alphabets« von Charles Scott Richardson ist das Ende dagegen abzusehen. Ein Mann hat noch 26 Tage zu leben, so prognostizieren die Ärzte. Er will die Zeit nutzen, um zusammen mit seiner Frau eine Weltreise an die Orte ihrer Liebe zu unternehmen und zwar in alphabetischer Reihenfolge, von A wie Amsterdam nach B wie Berlin und C wie Chartres. Doch sehr weit kommen sie damit nicht.
Novitäten:
André Aciman
Ruf mich bei deinem Namen
Kein und Aber
320 S., 18,90 Euro
Iris Hanika
Treffen sich zwei
Droschl
238 S., 19,- Euro
Helmut Krausser
Die kleinen Gärten des Maestro Puccini
DuMont
382 S., 19,90 Euro
Helmut Krausser
Die Jagd nach Corinna
Belleville
142 S., 14,- Euro
Christina Peri Rossi
Endlich allein! Eine Geschichte der Liebe in 15 Episoden
Dörlemann
180 S., 18,90 Euro
Charles Scott Richardsen
Das Ende des Alphabets
Piper
144 S., 16,90 Euro
Viktorija Tokarjewa
Liebesterror
Diogenes
240 S., 18,90 Euro
Martin Walser
Ein liebender Mann
Rowohlt
288 S., 19,90 Euro
Amerika nach »Nine Eleven«
Die amerikanische Gesellschaft, so scheint es, ist immer noch im Schockzustand. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 ist nichts mehr sicher und nichts mehr so, wie es war. »Nine Eleven« ist allgegenwärtig, mal ganz direkt, mal als diffuse Angst vor Verbrechen und Gewalt. Rick Moody hat deshalb ein Buch über »Paranoia« (Piper) geschrieben, drei Novellen, die sich mit Verschwörungstheorien, Verfolgungswahn und dem ganzen Überwachungsirrsinn im Alltag beschäftigen.
Da muss man Thomas Pynchon fast dankbar sein, dass er mit »Gegen den Tag« (Rowohlt) einen historischen Roman vorlegt, der zwischen der Weltausstellung in Chicago 1893 und dem Ersten Weltkrieg angesiedelt ist. Die drohende Katastrophe ist damit in die Vergangenheit verlegt, doch der hemmungslose Kapitalismus, die Gier, die Lüge, der religiöse Wahn, wirken dennoch erschreckend gegenwärtig.
Von der anderen Seite der Zeit nähert sich der Science-Fiction-Autor William Gibson. »Quellcode« ist die Geschichte um eine Journalistin, die für ein rätselhaftes Magazin über Cyber-Kunst schreiben soll, die es aber tatsächlich mit einem Frachtcontainer voller Dollarnoten zu tun bekommt. Überall lauern undurchschaubare Gefahren, denn auch die Mächtigen sind nicht greifbar. Mit »Quellcode« verspricht Klett-Cotta eine »Gegenwartsdiagnose, die die Voraussetzungen für den globalen Terror spürbar macht«.
Philip Roth lässt in »Exit Ghost« (Hanser) seinen altgedienten Helden Nathan Zuckerman aus der Bergeinsamkeit nach New York zurückkehren. Er begegnet einem jungen Paar, das nach dem 11.9. die Stadt verlassen will und bietet ihnen einen Wohnungstausch an. Dabei hat er seine Hintergedanken, denn die junge Frau fasziniert ihn. Mit der Rückkehr in die Stadt kehrt auch die Leidenschaft zurück. Philip Roth schreibt über Liebe, Begehren, Trauer und Tod und ist wieder voll in seinem Element.
Auch in Siri Hustveds großen Familien- und Gesellschaftsroman »Die Leiden eines Ameri-kaners« (Rowohlt) wirkt der 11. September hinein. Der Erzähler ist ein verschrobener Psychiater, der in einer Stadtvilla in Brooklyn lebt. Seine Nichte behauptet, am 11.9. Dinge gesehen zu haben, von denen besser niemand erfährt. Auch andere Figuren hüten ihre Geheimnisse und werden mit ihren Defiziten konfrontiert. »Das Wichtige war nicht, was da war, sondern was nicht da war«, heißt es gleich zu Beginn dieses abgründigen Romans.
Cormac McCarthy, ein weiterer großer Name im opulenten 100- Jahre-Jubiläumsprogramm des Rowohlt Verlags, ist auf Gewalt-Szenarien und eine ins mythische überhöhte dunkle Bedrohung spezialisiert. »Kein Land für alte Männer« führt in die texanische Wüste, ins Milieu von Drogenschmugglern und Killern und entwickelt dort einen Thriller mit Hochspannungspotenzial.
Gediegener, aber nicht weniger bedrohlich, geht es bei Joyce Carol Oates zu. Die Heldin ihres neuen Romans »Du fehlst« (S. Fischer) will endlich ihr miserables Verhältnis mit ihrer Mutter in Ordnung bringen. Doch zehn Minuten bevor sie dort ankommt, wird die Mutter Opfer eines Raubüberfalls. Statt mit einer Lebenden muss die Tochter sich mit diesem sinnlosen Tod auseinandersetzen, mit ihren Versäumnissen und mit der Schuld, zu spät gekommen zu sein.
Novitäten:
Cormac McCarthy
Kein Land für alte Männer
Rowohlt
288 S., 19,90 Euro
Deborah Eisenberg
Rache der Dinosaurier
Hanser
224 S., 19,90 Euro
Raymond Federman
Mein Körper in neun Teilen
Matthes und Seitz
128 S., 14,80 Euro
William Gibson
Quellcode
Klett-Cotta
450 S., 22,50 Euro
Siri Hustved
Die Leiden eines Amerikaners
Rowohlt
416 S., 19,90 Euro
Edward P. Jones
Hagars Kinder. Erzählungen
Hoffmann & Campe
432 S., 23 Euro
Rick Moody
Paranoia
Piper
272 S., 18,- Euro
Joyce Carol Oates
Du fehlst
S. Fischer
512 S., 22,90 Euro
Thomas Pynchon
Gegen den Tag
Rowohlt
1760 S., 29,90 Euro
Philip Roth
Exit Ghost
Hanser
304 S., 19,90 Euro
West und Ost
Wenn es literarisch um deutsche Geschichte geht, dann zumeist um den Nationalsozialismus und die Folgen, die deutsche Teilung und die DDR. Da darf man gespannt sein, wie der französische Bestseller »Die Wohlgesinnten« (Berlin Verlag) von Jonathan Littell aufgenommen wird. In Frankreich löste die fiktive Geschichte eines deutschen SS-Obersturmbannführers eine heftige Debatte aus, und auch hier wird man sich fragen müssen, ob eine immer noch kaum zu fassende Wirklichkeit literarisch überboten werden muss und was Erfindungen dieser Wirklichkeit hinzufügen können. Der Berlin Verlag hat deshalb bereits einen Marginalien-Band produziert, der erklärende Briefe des Autors, Interviews und Essays enthält.
Aus Frankreich kommt auch Cécile Wajsbrots Roman »Aus der Nacht« (Liebeskind), in dem eine junge Frau nach Polen reist, um Auskunft über die verdrängte Geschichte ihrer Familie zu bekommen. Es ist ein Buch über die Generation, die auf den Holocaust folgte, die selbst verschont wurde und doch unausweichlich davon geprägt bleibt. Das gilt auch für den österreichischen Essayisten Martin Pollack, der 2004 mit »Der Tote im Bunker« das Leben seines SS-Vaters erforschte. Sein neuer Reportagenband »Warum wurden die Stanislaws erschossen?« (Zsolnay) ist ein Buch der Zeitenumbrüche. Stets geht er von besonderen Ereignissen aus, die ein neues Licht auf die Geschichte werfen. So erforscht er im titelgebenden Essay, warum zwei polnische Zwangsarbeiter im April 1945 im Burgenland von russischen Soldaten erschossen wurden.
Marcel Beyer, der in »Flughunde« einst das Schicksal eines Stimmenforschers im »Dritten Reich« schilderte, hat mit »Kaltenburg« (Suhrkamp) nun einen Roman geschrieben, der das ganze deutsche 20. Jahrhundert umfasst. Im Mittelpunkt dieses mit Spannung erwarteten Werks steht der 1903 geborene Biologe Ludwig Kaltenburg, der aus Posen nach Dresden flieht, dort die Bombardierung überlebt, Ornithologie studiert, in der DDR ein renommiertes Forschungsinstitut gründet, es durch die unterschiedlichen politischen Phasen der DDR-Politik bringt und schließlich auch das Ende der DDR erlebt.
Einen ähnlich großen Bogen durch das Jahrhundert schlägt auch Jenny Erpenbeck. Sie erzählt in »Heimsuchung« (Eichborn Berlin) die Geschichte eines brandenburgischen Hauses in 15 einzelnen Episoden und Lebensläufen, die sich um und in diesem Gebäude verknüpfen.
Irina Liebmann recherchiert in »Wäre es schön? Es wäre schön!« (Berlin Verlag) die Geschichte ihres Vaters Rudolf Herrnstadt, einem der einflussreichsten Journalisten der frühen DDR bis er 1953 in Ungnade fiel. Das literarische Debüt der Malerin und Grafikerin Cornelia Schleime ist dagegen eine Auseinandersetzung mit einem schwierigen Kapitel ihrer Vergangenheit. Schleime, einst mit Sascha Anderson befreundet, musste nach der Wende in ihren Stasi-Akten lesen, von ihm an die Stasi verraten worden zu sein. Anderson hat seine Version bereits in romanhafter Form vorgelegt, Schleimes »Weit fort« (Hoff-mann und Campe) ist die dazu notwendige Korrektur und Ergänzung.
Jan Böttcher schließlich hat mit »Nachglühen« (Rowohlt Berlin) einen Roman geschrieben, der im sogenannten Zonenrandgebiet angesiedelt ist. Ein Dorf, das zur DDR gehörte, wird nach der Wende Niedersachsen eingegliedert. Zwei Männer, die einst in den Westen flohen, kehren nun zurück. Böttcher liefert mit dem Buch einen subtilen Kommentar zur deutschen Geschichte.
Novitäten:
Marcel Beyer
Kaltenburg
Suhrkamp
400 S., 19,80 Euro
Jan Böttcher
Nachglühen
Rowohlt Berlin
256 S., 19,90 Euro
Werner Bräunig
Gewöhnliche Leute
Aufbau
300 S., 19,95 Euro
Jenny Erpenbeck
Heimsuchung
Eichborn Berlin
192 S., 17,95 Euro
Kerstin Hensel
Lärchenau
Luchterhand
320 S., 19,95 Euro
Irina Liebmann
Wäre es schön? Es wäre schön!
Berlin Verlag
288 S., 19,90 Euro
Jonathan Littell
Die Wohlgesinnten
Berlin Verlag
1400 S., 36,- Euro
Jonathan Littell
Die Wohlgesinnten. Marginalienband
Berlin Verlag
96 S., 5,- Euro
Martin Pollack
Warum wurden die Stanislaws erschossen
Zsolnay
232 S., 19,90 Euro
Cornelia Schleime
Weit fort
Hoffmann & Campe
112 S., 14,95 Euro
Torsten Schulz
Revolution und Filzläuse. Erzählungen
Ullstein
160 S., 16,- Euro
Cécile Wajsbrot
Aus der Nacht
Liebeskind
260 S., 19,80 Euro
Der Rest der Welt
Wie wäre es, wenn wir uns zur Abwechslung einmal nicht an der US-Gesellschaft orientieren würden, sondern an Afrika? Weil Afrika für Fortschritt steht. Weil die afrikanischen Finanzmärkte den Rhythmus der Welt bestimmen. Weil Afrika die Macht ist. Der 1965 in Dschibuti geborene Abdourahman A. Waberi spielt durch, wie es »In den Vereinig-ten Staaten von Afrika« (Edition Nautilus) zugehen würde, wenn dort die Elendsflüchtlinge aus dem Norden ankämen oder halbtot an den Stränden von Djerba und Algier aufgegriffen würden. Selbstverständlich gäbe es dort auch Kämpfer für eine gerechtere Weltordnung, die den armen Ländern Europas mehr als nur ein paar Almosen zubilligen möchten.
J.M. Coetzee, der südafrikanische Literatur-Nobelpreisträger, lebt seit 2002 im Australischen Adelaide. Die Parallelen seines Lebensweges mit dem der Romanfigur J.C. aus seinem Roman »Tagebuch eines schlimmen Tages« (S. Fischer) sind leicht zu erkennen. Auch J.C. ist Schriftsteller und übersiedelte aus Südafrika nach Australien, allerdings nach Sydney, und da setzt der Roman ein. J.C. schreibt Essays über den Zustand der Welt. Seine Texte lässt er von einer Waschküchenbekanntschaft abtippen, deren Freund, ein Anlageberater, darüber nachdenkt, wie er den Schriftsteller um Zinsen und mehr betrügen könnte. Coetzee erzählt in drei Stimmen auf drei Ebenen und zeichnet so ein vielschichtiges Selbstporträt.
Auch der japanische Bestsellerautor Haruki Murakami konzen-triert sich ganz auf sich. Laufen und Schreiben sind die beiden großen Leidenschaften seines Lebens. Marathonläufe sind ihm zu kurz geworden, deshalb ist er zum Triathlon und zu Ultralangläufen übergegangen. Auch die Idee, Romane zu schreiben, kam ihm beim Sport, und so führt das Schreiben nun zum Ausgangspunkt zurück: »Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede« (DuMont) ist ein Buch für Läufer und Leser. Bei Murakami ist das ein und dasselbe.
Bulgarien ist schon seit einiger Zeit als vielstimmige literarische Landschaft bekannt. Autoren wie Vladimir Zarev, Georgi Gospodinov, Teodora Dimova oder der in Wien lebende Dimitré Dinev haben diesen Ruf begründet. Dinev betätigt sich nun als Herausgeber und Nachwortschreiber für seinen Kollegen Dejan Enev, dessen »Zirkus Bulgarien« (Deuticke) Geschichten »für eine Zigarettenlänge« versammelt. Das dürfte die richtige Lektüre für unterwegs sein, wenn in deutschen Gaststätten erst einmal flächendeckendes Rauchverbot herrscht. Eine bulgarische Entdeckung ist auch Alek Popov, der in »Die Hunde fliegen tief« zwei Brüder nach Amerika auswandern lässt und sein satirisches Spiel mit dem Vom-Tellerwäscher-zum-Millionär-Mythos treibt.
Kroatien ist Schwerpunkt der diesjährigen Leipziger Buchmesse. Von den Büchern, die von dort kommen, ist Miljenko Jergovics »Das Walnusshaus« (Schöffling) hervorzuheben. Jergovic bedient das hierzulande so beliebte Genre des Familienromans, der über Generationen hinweg ein Panorama des 20. Jahrhunderts zeichnet. Das ist ausnahmsweise einmal nicht deutsche Geschichte, sondern die Geschichte des Westbalkans, von der Auflösung des osmanischen Reiches bis zur Bombardierung Dubrovniks.
Novitäten:
Hugo Claus
Der Kummer von Belgien
Klett-Cotta
760 S., 24,50 Euro
J.M. Coetzee
Tagebuch eines schlimmen Jahres
S. Fischer
288 S., 19,90 Euro
Dejan Enev
Zirkus Bulgarien
Deuticke
240 S., 17,90 Euro
Nick Hornby
Slam
Kiepenheuer & Witsch
304 S., 17,95 Euro
Miljenko Jergowic
Das Walnusshaus
Schöffling & Co
700 S., 24,90 Euro
Haruki Murakami
Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede
DuMont
160 S., 16,90 Euro
Emmanuelle Pagano
Der Tag war blau
Wagenbach
176 S., 17,90 Euro
Alek Popov
Die Hunde fliegen tief
Residenz
416 S., 22,- Euro
Ivana Sajko
Rio Bar
Matthes und Seitz
192 S., 19,80 Euro
Igor Stiks
Die Archive der Nacht
Claassen
384 S., 19,90 Euro
Alberto Vigevani
Ende der Sonntage. Zwei Erzählungen
Friedenauer Presse
144 S., 16 Euro
Abdourahman A. Waberi
In den Vereinigten Staaten von Afrika
Edition Nautilus
160 Seiten, 16 Euro