Bericht über die internationalen Literaturtage Sprachsalz

Am Frühstückstisch mit John Cleese

14. September 2016
von Börsenblatt
Marcel Beyer, Jón Gnarr und John Cleese lockten bei der 14. Ausgabe des Literaturfestivals Sprachsalz viele Zuschauer ins Tiroler Parkhotel. Verleger und Journalist Volker Dittrich war zum fünften Mal in Folge dabei − und beschreibt die einmalige Atmosphäre des Literaturevents. 

Seit vierzehn Jahren lädt eine Gruppe von Autorinnen und Autoren um den Schriftsteller und Musiker Heinz D. Heisl, mit Unterstützung des Landes Tirol und privaten Förderern, Schriftstellerinnen und Schriftsteller für vier Tage in die alte Salzbergwerkstadt Hall nach Tirol ein. Die Teilnehmer verleben vier intensive gemeinsame Tage, denn alles spielt sich im Parkhotel ab. Dort wohnen alle Teilnehmer, frühstücken zusammen, lesen mehrmals vor Ort, besuchen die Veranstaltungen der Kollegen, und tauschen sich tagsüber und abends an der Bar, im Restaurant oder auf der Terrasse aus. Auch das Publikum kann die Gelegenheit nutzen, mit den Schriftstellern ins Gespräch zu kommen. Es waren schon international bekannte Größen aus dem Literaturbetrieb, wie die beiden Nobelpreisträger Kenzaburō Ōe aus Japan und der gebürtige Ire Frank McCourt aus den USA. Bekannte Autoren wie Martin Walser, Michel Butor, Georg Kreisler und die spätere Nobelpreisträgerin Hertha Müller, die das Publikum ins Parkhotel zogen. Sie kommen aber auch, weil sie wissen, dass sie hier jedes Jahr ihnen unbekannte, neue, interessante Schriftstellerinnen und Schriftsteller präsentiert bekommen. Zum Beispiel die Beatpoeten Ruth Weis und Jack Hirschman aus den USA, die Elias Schneitter, einer der Organisatoren von Sprachsalz, nach Tirol lockte. 

Island trifft Monty Python

Die Publikumsmagneten bei den Internationalen Literaturtagen Sprachsalz in Tirol waren in diesem Jahr der 76-jährige britischer Komiker, Schauspieler und Drehbuchautor, John Cleese, mit seiner Autobiographie „Wo war ich noch mal?“ (Karl Blessing Verlag), der als Mitglied von Monty Python berühmt wurde. Und der ehemalige Punk und spätere Bürgermeister von Reykjavik, der 49-jährige Isländer Jón Gnarr, mit seinen Erinnerungen „Indianer und Pirat“ (Tropen Verlag) über seine Kindheit als Störenfried, die Gründung der Besten Partei mit überwiegend Musikern, Schauspielern und Comic-Zeichnern, und sein Aufstieg 2010 mit dieser Spaßpartei zum Bürgermeister von Reykjavik. Zwei Außenseiter der Gesellschaft mit hohen moralischen Ansprüchen. Ein Punkt im Wahlprogramm von Jón Gnarr: Offene statt heimliche Korruption. Ein Satz aus seinem Buch über seine Kindheit: „Kein Indianer ist so mutig, dass er keine Angst vor seiner Mutter haben müsste.“ Beide Autoren begeisterten das Tiroler Publikum auf der Terrasse des Parkhotels in Hall vor einer faszinierenden Bergkulisse mit Witz und Humor. Der Schauspieler und Regisseur Ernst Gossner las die deutschen Texte der Bücher und überzeugte nicht nur das Publikum, sondern auch die neben ihm sitzenden John Cleese und Jón Gnarr, die sich über die Interpretation ihrer eigenen Texte amüsierten.

Eine Bühne für Lyrik

Immer wieder können bei Sprachsalz auch junge Lyrikerinnen und Lyriker, wie in diesem Jahr Tom Schulz aus Berlin und Safiye Can aus Offenbach, entdeckt werden. In einer sehr gut besuchten Veranstaltung sprachen Tom Schulz und Safiye Can über die unterschiedlichen Ansätze ein Gedicht zu schreiben. Die anfangs aufgeworfene Frage: „Erst denken, dann schreiben oder erst schreiben, dann denken?“, stellte sich bei den beiden sympathischen Lyrikern sehr schnell als für sie nicht geltender Gegensatz heraus. Der frisch gekürte Georg-Büchner-Preisträger Marcel Beyer las Gedichte und aus einem noch unveröffentlichten Manuskript.  Warum ist der in London lebende Jeremy Reed, der in England seit langem Kultautor ist und bereits 40 Bücher mit Romanen und Gedichten veröffentlicht hat, bisher in Deutschland unbekannt geblieben?, fragten sich viele Zuhörer nach der ersten Veranstaltung mit dem englischen Autor. Wie so oft wagte sich ein kleiner, unabhängiger Verlag als erster, diesen Autor auf den deutschen Buchmarkt zu bringen. Der Verleger Ricco Bilger aus Zürich hat Jeremy Reed entdeckt und seinen Roman „Beach Café“ in diesem Jahr herausgebracht und weitere Bücher des Autors sollen folgen. Bei Sprachsalz begeisterte Jeremy Reed am späten Abend zusammen mit dem Londoner Musiker Gerald McGee mit einer Performance aus Text, Musik und Bildern aus Filmen. Diese beeindruckende Collage war im Anschluss der Veranstaltung noch lange Gesprächsthema bei den Sprachsalz Besuchern.

Nachwuchsautoren aus Österreich und der Schweiz

Natürlich sind auch die jungen Stimmen aus Österreich und der Schweiz im Programm bei Sprachsalz. Dieses Mal stellte sich der Innsbrucker Martin Fritz mit neuen Texten vor. Ebenso der Schweizer Christoph Simon, der nach mehreren Romanen jetzt als literarischer Kabarettist und Poetry Slammer preisgekrönt ist und große Hallen füllt. Warum, das konnte man bei Sprachsalz erleben. Sein Verleger Ricco Bilger erzählte mir, dass er seinen Verlag nur seinetwegen gegründet habe. Der Züricher Buchhändler wollte diesen jungen Autor, dessen Texte ihn begeisterten, auf den deutschsprachigen Buchmarkt bringen. Als Gegenbild eines typischen Poetry-Slammers steht Christoph Simon mit kurzen Haaren, im Anzug, weißem Hemd und Lederkrawatte wie ein schlanker mustergültiger Schwiegersohn auf der Bühne und erzählt dem Publikum eher schüchtern, was Glück ist. Nimmt seine Hörer mit auf eine skurrile Reise durch das Familien- und Beziehungsleben. Er habe den Teufel angerufen, seine Schwester hübsch zu machen, damit sie einen Mann finde, und endlich ausziehen würde.

Abgeschlossen wurde Sprachsalz 2016 mit der in der Musik- und Kabarettszene bekannt gewordenen und kürzlich mit dem "Salzburger Stier" ausgezeichneten Künstlerin Uta Köbernick. Die Terrasse des Parkhotels blieb, auch nachdem Stargast John Cleese die Bühne verlassen hat, gefüllt. Uta Köbernick kommt mit Geige und Gitarre auf die Bühne und mit zwei großen Gläsern Weißwein und Wasser. Sie singe und erzähle Sachen, erzählt sie, etwas schüchtern ins Publikum schauend.  „Politisch, zärtlich, schön“ heißt ihr Bühnenprogramm. Hinzufügen könnte man noch messerscharf-politisch, selbstreflektiert und ironisch. Sie muss sich auf der Bühne gegen die lauten sonntagabendlichen Kirchenglocken behaupten, hebt die Stimme, spielt und singt lauter, bis das Geläut plötzlich verstummt. „Jetzt haben sie es erlebt“, sagt die zierliche Frau schlagfertig, „man muss denen bloß mit Inhalten kommen“, und hat damit auch die Sympathien der letzten gerade noch etwas skeptisch dreinblickenden Zuhörer auf ihrer Seite.

Nach ihrem Auftritt kommt eine ältere Dame zu mir an die Hotelbar, schaut mich an und sagt mit beseeltem Gesichtsausdruck: „Manche Dinge passieren einfach!“ Als ich sie fragend anschaue, ergänzt die kleine grauhaarige Frau, sie habe sich eine CD bei dieser tollen, jungen Künstlerin gekauft. Und dann sei sie dazu aufgefordert worden, sich neben die Sängerin zu stellen, damit der Pressefotograf ein Foto von ihr machen könne. Sie schaut mich etwas verschmitzt an: "Wissen Sie, was ich nicht verstehe? Dass die Fernsehleute nicht diese mutige junge Frau mit den roten Haaren gefilmt haben, anstatt den alten Komiker, der vor ihr aufgetreten ist", sagt sie und verabschiedet sich schmunzelnd von mir: „Na dann, bis zum nächsten Mal!“