Bibliotheksleitertag 2013

Freaks, Füllhörner, Verlage

20. Juli 2015
von Börsenblatt
Heiße Eisen wurden am 8. Oktober beim Bibliotheksleitertag in Frankfurt angepackt. Während zeitgleich die Frankfurter Buchmesse eröffnet wurde, stand bei den Bibliothekaren in der Deutschen Nationalbibliothek eine Kampfansage an die Verlage ganz oben auf der Agenda. Weitere Themen: Die Imagekampagne BiblioFreak und Best-practice-Beispiele zu den Bereichen Leseförderung und Kennzahlen.

„In Frankfurt herrscht Unsicherheit statt Goldgräberstimmung" – Gerald Leitner, Geschäftsführer des Büchereiverbands Österreichs (BVÖ) bezog sich auf die ausstellenden Verlage der Buchmesse. Er hätte aber auch auf die in der Deutschen Nationalbibliothek versammelten Bibliothekare gemünzt sein können. Denn das Personal der Bibliotheken ist vielerorts zu alt, die Geldhähne werden trotz einer sich gerade vollziehenden technischen Revolution eher zu als aufgedreht – und die Bibliotheken sorgen sich um ihr angestaubtes Image. Was sie mit den Verlagen eint, ist die Sorge um die Digitalisierung. Es sind die großen, internationalen Player, die den Takt vorgeben – inwiefern sich langfristig mit dem Medium Buch als Verlagshaus Geld verdienen lässt – und vor allem wie es sich verdienen lässt - das treibt alle Akteure in allen Verwertungsstufen um.

Kampfansage an die Verlage
„Es kann nicht sein, dass die Verlage bestimmen, wie die Kollektion in den Bibliotheken aussieht. Das haben die Bibliotheken zu entscheiden und deren Nutzer.“ – Bei der E-Book-Ausleihe ganz und gar vom Good-will der Verlage abhängig zu sein, das ärgert nicht nur Gerald Leitner, sondern seine Kollegen weltweit. Zumal der angesprochene gute Wille nicht bei allen Verlagen vorhanden ist: E-Books kann man nicht kaufen, bekanntermaßen zahlt der Nutzer für eine Lizenz – deren Kleingedrucktes, wie Leitner ausführt, vor allem Verbote und Einschränkungen enthält. Will eine Bibliothek ein E-Book zur Leihe anbieten, kann sich der Verlag sperren – oder für die Lizenz eine Gebühr verlangen, die Bibliothekaren die Zornestränen in die Augen treibt. Der neue Rowling kostet als E-Book in Großbritannien die Bibliothek beispielsweise 78 Pfund, wie beim P-Buch kann nur ein Leihvorgang auf einmal vorgenommen werden.

Weil die Verlage in den Augen der Bibliotheken zu Unrecht das Recht, das unbestritten reformierungsbedürftige Urheberrecht nämlich, auf ihrer Seite haben, schmeckt den Bibliotheken nicht. Die 180 Bibliothekare, die in der Deutschen Nationalbibliothek Leitners Vortrag lauschten, spendeten lautstark Applaus, als Leitner eine große Kampagne ankündigte, die sich gegen die digitale Allmacht Verlage – oder anders formuliert – für das „Recht auf E-Lesen“ stark machen will. Eine globale Protestwelle, getragen von durchaus humorvollen Plakaten („Legalize it!“), Aktionen und Pressemeldungen rollt auf die Verlagshäuser zu, der Welttag des Buches soll 2014 auch zum Tag des „Rechts auf das E-Lesen“ ausgerufen werden. Längst haben sich EBLIDA (European Bureau of Library Information and Documentation Associations) und nationale Bibliotheksverbünde auf ein entsprechendes Vorgehen geeinigt. „Alle Rechte sind auf der Seite der Verleger. Änderungen am Copyright werden wir nur über Brüssel durchsetzen“, verdeutlicht Leitner den Schlachtplan. Und legt nach: „Wir brauchen ein anderes Urheberrecht.“

Leitner und seine Kollegen signalisieren Verständnis für die Verunsicherung der Verlage. Die zarten Knospen im E-Book-Markt, wo gerade im Bereich des Pricings und des Kopierschutzes wichtige Aufgaben zu lösen sind, könnten durch die Gratisleihe einen weiteren Stich erhalten. Die Gilde der Selfpublisher und große Player wie Amazon arbeiten ohnehin daran, die Preise für E-Books in den Keller zu treiben – mit unabsehbaren Folgen für Verlagshäuser und den Handel. Aber die Toleranz hat Grenzen: „Wir wollen nichts geschenkt. Wir wollen eine faire Partnerschaft“, formuliert der Geschäftsführer des BVÖ – lieber heute als morgen würden die Bibliotheken Rechtssicherheit gewinnen. Derzeit bleibt es, trotz imposanter Umsatz- und Bestandszahlen bei der Onleihe einzelner E-Book-Verbünde (etwa in Hessen, vorgestellt von Eckhard Kummrow) bei folgendem Status: „Wenn die Verlage wollen, ist es morgen vorbei.“

BiblioFreak
Ebenfalls in Rollen kommen soll im nächsten Jahr die Imagekampagne „BiblioFreak“. Fünf Plakat-Motive wurden entwickelt, nach dem Vorbild der amerikanischen „Geek the library“-Kampagne sollen in Deutschland, Österreich und der Schweiz (aber auch in den Niederlanden) die Bibliotheken öffentlich für Furore sorgen, ihre Nutzer einbinden, besser kennenlernen und vor allem ordentlich ihr Image aufpolieren. Denn die Zukunft der Bibliotheken hängt auch davon ab, ob künftig Förderer und Entscheider Geld für die Bewältigung des Medienwandels bereitstellen. Neben dem OCLC steht die ekz hinter der Kampagne, die mit bescheidenem Budget Großes bewegen will. Die Teilnehmer der fünf Testbibliotheken (besonders engagiert: Graz, Mettmann, Baselland, Sömmerda) zeigten sich euphorisch – tausende „Bekenntnisse“ von „Freaks“, was diese in die Bibliotheken treibt, wurden bereits gesammelt; die Berichte in den Regionalzeitungen sind bei anhaltender Diskussion um den Namen der Kampagne positiv. Nun wird weitergetestet, ausgewertet und die Finanzierung geklärt.

Praxis: Austausch
Wie man mit Kennzahlen überzeugt, überzeugt und „illustriert“ legte Barbara Lison (Stadtbiblitohek Bremen) in einem kurzweiligen Vortrag über Kennzahlen dar. Hier hat sich bei den Bibliotheken eine Best-Practice-Kultur entwickelt, die „richtigen“ Schlüsselkennzahlen bei „Entscheidern“ und „honorigen Personen“ zur Selbstdarstellung zu nutzen, von der andere Verbände und Unternehmen sich noch einiges abschauen können.

Weiterhin auf dem Programm standen unter anderem Best-Practice-Beispiele rund um die Leseförderung und die Zukunft der Bibliotheken – ob in Ohio (Patrick Losinski), Frankfurt (Sabine Homilius) oder der Schweiz, wo an den Schulen gerade kostspielige Lesezentren eröffnen (Gerhard W. Matter und Theres Schlienger)  – obwohl die Politiker auch hier eigentlich lieber sparen würden.