Buchhandel in Frankreich

Die Stärke des Romans

4. Februar 2016
von Johannes Wetzel
2015 war für Frankreich ein Jahr des Schreckens, der Terror hatte das Land im Griff. Trotzdem wuchs der Buchhandelsumsatz. Oder gerade deshalb? Im Schnitt gaben die Kunden mehr Geld für Bücher aus.

2015 war für Frankreich ein Schreckensjahr – durch die Terroranschläge im Januar und im November. Auf dem Gebiet der Wirtschaft fällt die Bilanz allerdings nicht ganz so düster aus. Erstmals seit dem Amtsantritt von Staatspräsident François Hollande, so die Ende Januar veröffentlichte Zahl des ­Statistik-Amts INSEE (Institut national de la statistique et des études économiques), ist die französische Wirtschaft gewachsen – wenn auch mit 1,1 Prozent bescheidener als in der gesamten Eurozone: Hier lag der Durchschnitt bei 1,5 Prozent.
In diesem Umfeld hat der Buchmarkt nach Angaben des Branchenmagazins "Livres Hebdo" bei leicht sinkenden Preisen sogar um 1,8 Prozent zugelegt. Sein Umsatz stieg damit deutlich stärker als im übrigen Einzelhandel, der nur ein Plus von 0,4 Prozent erwirtschaftete.
"Zum ersten Mal seit 2009 verzeichnet die Branche wieder einen Zuwachs", sagt Fabrice Piault, Chefredakteur von "Livres Hebdo". Und das trotz der gut einwöchigen Flaute im Einzelhandel insgesamt, die auf das Pariser Attentat vom 13. November folgte.
Die Buchhändlervereinigung Syndicat de la librairie française (SLF) und das Marktforschungsinstitut Gfk schätzten die Wachstumsrate der französischen Buchbranche schon Anfang Januar vorsichtig auf 1,5 Prozent. Guillaume Husson, Generalbevollmächtigter des Verbands, ist zufrieden mit einem "sehr ­guten Jahr" – nach fünf Jahren mit Umsatzrückgang. Allerdings fiel das Minus der Vergangenheit ähnlich moderat aus wie jetzt das Plus. Die Ausschläge, sagt Husson, seien zum Glück nie so dramatisch gewesen wie bei Presse, Musik, DVDs und anderen Kulturgütern.
Der unabhängige Buchhandel (inklusive der Buchhandelsketten wie Gibert Joseph, Decitre in der Region Lyon, Furet du Nord in Nordfrankreich oder Charlemagne in Südfrankreich) scheint von dieser erfreulichen Entwicklung besonders profitiert zu haben: Hier liege der Umsatzzuwachs bei 2,7 Prozent, so die Angaben des SLF. Guillaume Husson freut sich, dass sich die rund 3 000 unabhängigen Buchhandlun­gen Frankreichs als wichtigste Verkaufsstelle für Bücher behaupten konnten: "Wir haben neben Deutschland das dichteste Netz an Buchhandlungen weltweit." Das sei über die Qualität des Angebots hinaus ein wichtiger Grund für einen insgesamt stabilen Markt.

Das Hilfsprogramm wirkt 
"Die Leser suchen den authentischen Kontakt mit dem Buchhändler", fügt SLF-Präsident Matthieu de Montchalin hinzu. Er betreibt die Buchhandlung L’Armitière in Rouen und freut sich auch über die nachhaltige Wirkung des Buchhandel-Hilfsprogramms der ehemaligen Kulturministerin Aurélie Filippetti. Das dem Ministerium unterstehende Centre National du Livre unterstützt weiterhin Gründung, Vergrößerung oder Aufkauf von Buchhandlungen. Und schließlich, so de Mont­chalin, gebe es weiterhin Kredite aus dem Neun-Millionen-Euro-Topf, der damals zugunsten der unabhängigen Buchhandlungen geschaffen wurde.
Aber auch bei den großen Anbietern – Espace culturel Leclerc, Cultura, FNAC – und im Onlinehandel sei der Umsatz dem Vernehmen nach in vergleichbarer Größenordnung gestiegen, berichtet Husson. Der Anteil der Internetumsätze ist dabei nicht sicher zu ermitteln: Die FNAC beispielsweise weist die Zahlen nicht getrennt aus und Amazon gibt keinerlei ­Daten zum Geschäft in Frankreich preis.
Für "Livres Hebdo" hat das Marktforschungsinstitut I + C leicht abweichende Zahlen errechnet: Demnach kämen die Kulturkaufhäuser einschließlich Internetverkauf sogar auf einen Zuwachs von 3,6 Prozent, die "großen" unabhängigen Buchhandlungen auf 1,7 Prozent. Fabrice Piault erklärt die Differenz mit unterschiedlichen Erhebungsmethoden.
Denn der SLF stützt sich auf die Zahlen seines erst 2015 eingerichteten Instituts Observatoire de la librairie. Hier werden die Angaben von derzeit 150 Buchhandlungen aller Größen in ganz Frankreich verarbeitet, die zusammen einen Umsatz von 200 Millionen Euro verzeichnen. "Diese Einrichtung soll vor allem den Buchhändlern erlauben, untereinander ihre Umsätze, Gewinne und Strategien zu vergleichen", erklärt Guillaume Husson.
Wie auch immer: Die Franzosen kauften mehr Bücher und gaben dafür im Schnitt mit 19 Euro pro Buchhandlungsbesuch einen Euro mehr aus als im Vorjahr. An den finanziellen Schwierigkeiten des Buchhandels – geringe Rücklagen und Rentabilität, hohe Mieten und Personalkosten – ändere diese Entwicklung zwar so schnell nichts, meint Guillaume Husson. Aber nach dem Aus für die Chapitre-Buchhandelskette 2014 und dem Ende des Kulturkaufhauses Virgin im Jahr zuvor war 2015 für den Buchhandel doch ein ruhiges Jahr.
Dafür setzte sich bei den Verlagen die Konzentrationsbewegung fort: Editis kaufte die Vertriebsgesellschaft Volumen von der La-Martinière-Gruppe und Bayard übertrug dem Hachette-Konzern die Vertriebsaufgaben. "2015 haben die beiden größten französischen Verlagsgruppen ihre Position weiter ausgebaut", konstatiert Guillaume Husson. "Editis, Hachette und Madrigall, die Holding von Gallimard und Flammarion, bilden das unangefochtene Führungstrio in Frankreichs Verlagswesen."

Literatur im Aufwind 
"Livres Hebdo" hat die Zuwächse auf dem französischen Buchmarkt noch einmal nach Warengruppen analysiert: "Der Roman verzeichnet mit vier Prozent den spektakulärsten Zuwachs", zieht Fabrice Piault Bilanz: Zum ersten Mal seit der Jahrtausendwende sei die Literatur so stark. Bestseller wie die "50 Shades of Grey"-Trilogie oder Michel Houellebecqs Roman "Unterwerfung" ("Soumission"), der sich 536 000-mal verkaufte, haben dazu beigetragen. Auf Platz 7 der Jahresbestsellerliste landete die Übersetzung von Giulia Enders’ Rat­geber "Darm mit Charme" – ein erstaunlicher Erfolg für ein deutsches Sachbuch.
Guillaume Husson allerdings warnt ­davor, aus solchen Zahlen voreilige Schlüsse zu ziehen. "2014 zum Beispiel waren die zehn Spitzentitel insgesamt nur für 1,7 Prozent des Umsatzes der Branche verantwortlich, die 1 000 bestverkauften Titel nur für 19 Prozent. Das belegt: Die Stärke des Buchmarkts ist seine Vielfalt." Nach den Pariser Anschlägen avancierte plötzlich ein Klassiker wieder zum Verkaufsschlager: Von Hemingways Paris-­Roman "Das Leben ein Fest" wurden mehr als 125 000 Exemplare verkauft. Das Buch wurde zum Manifest des Widerstands gegen die Barbarei.
Die Statistiken des SNL weisen dagegen den Comicsektor mit einem Plus von 12,6 Prozent als Wachstumslokomotive aus, weit vor Ratgebern, Literatur und Jugendbuch. Kein Wunder: Allein der neue "Asterix"-Band ging 1,6 Millionen Mal über die Ladentische. Der Verkauf sozial- und wirtschaftswissenschaftlicher Bücher sowie von Nachschlagewerken und Kunstbüchern hingegen schrumpfte – darin decken sich die beiden Statistiken von SNL und "Livres Hebdo".
Was überrascht: Die Branche machte mehr Umsatz, obwohl die Zahl der Novitäten leicht zurückging (minus 1,5 Prozent). 67 150 neue Titel und Neuausgaben kamen auf den Markt, rund 1 000 weniger als im Vorjahr: Die oft beklagte Überproduktion scheint zumindest 2015 gedrosselt worden zu sein.

Buchmarkt Frankreich 2015

Branchenumsatz 2015:
ca. 2,7 Milliarden Euro (plus 1,8 Prozent)
Neuerscheinungen, inklusive Neuausgaben:
67 150 (minus 1,5 Prozent)
Unabhängige Buchhandlungen:
ca. 3 000
Durchschnittliche Kaufsumme:
19 Euro pro Einzelkunde und Buchhandlungs­besuch (plus ein Euro gegenüber 2014)
Meistverkaufter Titel 2015:
"Asterix: Le Papyrus de César"
(rund 1,6 Millionen Exemplare)