Buchtage Berlin 2015

"Die Freiheit ist bedroht"

18. Juni 2015
von Börsenblatt
Die Eröffnungsreden von "Spiegel"-Chefredakteur Klaus Brinkbäumer und Autor Wilfried Huismann auf den Buchtagen in Berlin waren ein Appell an die Buchbranche, sich stärker für die Freiheit des Wortes einzusetzen. Vor allem an die Verlage richtete sich der Aufruf, ihre Rolle als "Garanten der Freiheit" aktiv zu gestalten.

Bereits in der Eröffnung des Programmpunktes "Für das Wort und die Freiheit" stellte Börsenvereinsvorsteher Heinrich Riethmüller klar: "Wir haben in der Vergangenheit nicht deutlich genug Position bezogen. Wir sollten lauter und konkreter werden." Nicht nur da, wo Autoren und Journalisten verfolgt und ausgegrenzt werden, sondern auch wenn es darum gehe, "das Buch als Leitmedium zu erhalten", müssten die Buchbranche und der Börsenverein mit lauterer Stimme sprechen, so Riethmüller. Mit der Bekanntgabe, dass Navid Kermani in diesem Jahr während der Frankurter Buchmesse im Oktober den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels entgegennehmen wird, wurde ein entsprechendes Zeichen gesetzt, das mit viel Beifall quittiert wurde.

"Der militante Islam ist seit dem Kommunismus der größte Feind der Freiheit", führte "Spiegel"-Chefredakteur Klaus Brinkbäumer in seinem Vortrag aus. Mit Verwunderung berichtete er über Bedenkenträger und zerbröckelnde Allianzen nach dem Attentat auf die Redaktion des Satiremagazins "Charlie Hebdo", die Mohammed-Karikaturen nicht veröffentlicht sehen wollten, um nicht zu provozieren. So hätten sich auf der anschließenden PEN-Tagung auffällig viele Autoren von der Ehrung für Charlie Hebdo distanziert - "ein bisschen wie im Kalten Krieg", meinte der "Spiegel"-Chefredakteur, der aktuell in Hamburg gerade eine der größten Umbaumaßnahmen des renommierten Verlags schultert. "Der Kommunismus wurde durch das Wettrüsten gebrochen, aber das freie Wort hat ihm den Todesstoß versetzt", unterstrich Brinkbäumer den Auftrag der Journalisten und der Buchbranche, sich für die Freiheit einzusetzen.

Ohnehin, Brinkbäumer übte viel Selbstkritik: Der westliche Kultur-Hegemonismus sei sicher dem friedlichen Zusammenleben der Kulturen nicht immer förderlich. Dennoch warnte Brinkbäumer vor falsch verstandener Diplomatie: "Wenn wir noch nicht einmal an unsere eigenen Werte glauben, werden wir nur unglaubwürdiger in den Augen derer, die uns angreifen." Vertrauen, so der "Spiegel"-Chefredakteur, sei die gemeinsame Währung des Journalismus und der Buchbranche. Beiden Branchen seien außerdem neue Bedrohungen gemein, nicht nur durch eine mediale "Überfütterung", sondern auch durch bewusste Kampagnen. "Der Glaube an Bilder und Texte ist erschüttert", so Brinkbäumer. Gesteuerte Kampagnen und Desinformation und der Kampf der Journalisten dagegen würden beim Leser eine Art "Nachrichtenmelancholie" erzeugen.

Nicht zuletzt die digitale Revolution habe zu einer neuen, schwierigen Situation für die Medienbranche geführt: "Die Verbreitung der Wahrheit ist heute nicht mehr an Geld gebunden. Die der Unwahrheit leider auch nicht." Gegen Gerüchte und Lügen helfe allein, auf "mediale Autorität" zu setzen. Für diese änderten sich jedoch zunehmend die Spielregeln: Wie Brinkbäumer betonte und derzeit in den Fachportalen zu lesen ist, soll beim Umbau des "Spiegel" vor allem die junge Zielgruppe besser angesprochen werden - nicht nur durch flexiblere Angebote, sondern auch durch andere Inhalte. "Wir waren nicht gut darin, den 'Spiegel' auf das Smartphone zu bringen, junge Leute suchen journalistische Inhalte nur noch dort."Statt langer Strecken will der "Spiegel" künftig auf neue Multimedia-Strecken für das Smartphone setzen, um die Zielgruppe überhaupt noch erreichen zu können, verriet Brinkbäumer im anschließenden Gespräch.

Die Anwesenheit von Wilfried Huismann verhalf dem Thema "Freiheit des Wortes" zur massiven Bodenhaftung. Der Journalist und Autor des "Schwarzbuch WWF" hatte dem Buchhandel nach dem Erscheinen seines Buches im Jahr 2012 schwierige Positionen und Entscheidungen abverlangt, die bis heute noch teilweise nicht abgeschlossen sind, wie Moderator Torsten Casimir (Chefredakteur des Börsenblatts) bemerkte.

Huismann gestand zu Beginn seines Vortrags, wie stark ihn die regenbogenfarbenen Bände der Edition Suhrkamp in seiner Jugend geprägt hätten: "Sie haben mir das Leben gerettet", so Huismann nicht ohne Pathos. Huismann schilderte die Etappen seines Streites mit dem WWF um sein Schwarzbuch, beginnend mit den zahlreichen rechtlichen Scharmützeln und einstweiligen Verfügungen, die sich an die Ausstrahlung seiner TV-Reportage angeschlossen hatten, bis zur Vermarktung des englischsprachigen E-Books, nachdem Random House ihm die Rechte abgetreten hatte.

Eine Woche nach Erscheinen des Buches hatten zahlreiche Unternehmen (neben Amazon auch weite Teile des Buchhandels, darunter Thalia und wichtige Großhändler) das Buch aus dem Programm genommen - Auslöser war ein unverbindliches Anwaltsschreiben - ohne Klage oder einstweilige Verfügung hatten große Teile des Buchhandels "gekuscht" wie die "FAZ" und der "Spiegel" öffentlich machten. Huismann nutzte aber auch die Gelegenheit, sich bei vielen unabhängigen Buchhändlern zu bedanken, die sein Buch direkt bezogen und angeboten hatten. "Mich hat geschockt, wie schnell flammende Bekenntnisse zum freien Wort sich als dünner Firnis erweisen", so Huismann. Er berichtete von der Arbeit mit Random-House-Justiziar Rainer Dresen, der Arbeit an Formulierungen und Erfolgen (und Misserfolgen) vor Gericht. Nur ein einziger Passus sei schließlich gestrichen worden, so Huismann, darin müsse er sich fügen. Neu dürfte für die meisten Zuhörer gewesen sein, dass die bereits abgeschlossene niederländische Übersetzung seines Buches nicht erschienen ist, weil, wie Huismann sagte, der Verleger unter Druck gesetzt worden sei. "Wenn es in den Niederlanden um den WWF geht, hört die Demokratie auf", hätte ihm sein Verleger erklärt, in vielen Ländern habe es keine Übersetzungen aus Angst vor möglichen Prozessen gegeben. Mit scharfer Kritik am WWF sparte Huismann in seinem unterhaltsamen Vortrag nicht.

Huismann stellte darum eine Forderung an Buchbranche: Sie solle die geistige Hoheit bei ihren Produkten "verteidigen oder zurückgewinnen wollen, statt Abfallprodukte vom Fernsehen oder von Selfpublishern abgreifen." Verleger seien zu oft eher am Kauf und Verkauf von Rechten interessiert, mit dem Zeugen und Gebären wollten sie nichts zu tun haben: "Komisch, ist das doch beim Kindermachen meist das Beste", so Huismann mit einem Augenzwinkern.

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Der Journalist, der auch Drehbücher für den "Tatort" schreibt, gab zu Bedenken: "Viele junge Autoren, die sich mit den antiquierten Methoden der Buchbranche nicht auskennen, bekommen niemals eine Chance"; als Beleg führte er eine Nachwuchsjournalistin an, die vor zwei Jahren an einer Geschichte zum sogenannten Deep Net gearbeitet habe - ein Thema für ein Buch, das aber niemals erschienen sei.

Es sei die Aufgabe von Verlagen, der Zermürbungstaktik von Konzernen und Organisationen zu widerstehen, gegen deren Macht Selfpublisher die Waffen strecken müssten. Um sich gegen deren Klagen zu schützen, brauche es die Verlagshäuser. "Richtige große Verlage sind unersetzlich. Mit ihrer starken Rechtsabteilung sind sie ein Garant der Meinungsfreiheit. Sie müssen diese Rolle aber wahrnehmen wollen", so Huismann. Er habe bereits Ideen für weitere Bücher, wie er verriet. Ohnehin ziehe er als Medium Sachbücher Fernsehreportagen von einer Dreiviertelstunde Länge vor. Leider gehe es in vielen Verlagen bei der Relevanz von Inhalten oft zu wie im Supermarkt: "Das Sachbuch wird oft als Abfallprodukt der Fernsehproduktion gesehen", kritisierte Huismann. Verlage freuten sich über einen "guten Deal"  und die "Gratiswerbung" im Fernsehen, dabei spiele im Idealfall das Buch die Hauptrolle. Er räumte ein: "Manche Bücher zum Film sind aber zum Heulen. Sie schmecken wie mit Wasser gestreckter Pudding."