Buchtage Berlin: Buylocal und Stadtentwicklung

"Analog ist das neue Bio"

6. Juli 2015
von Börsenblatt
Alle klagen über den Niedergang der Innenstädte. Dabei hat der städtische Raum schon viele Veränderungen erlebt – und überlebt. Stadtforscher Hans-Hermann Albers lud die Besucher der Buchtage Berlin am Donnerstagnachmittag zu einer Ortsbesichtigung am Rednerpult ein. Und der Verein Buylocal zeigte am Vormittag, was der Einzelhandel für eine lebendige Innenstadt tun kann.

2012 wurde der Verein Buylocal auf den Buchtagen Berlin aus der Taufe gehoben, "in einer Nacht- und Nebelaktion", wie Initiator Michael Riethmüller (Ravensbuch, Ravensburg) zurückblickte. Drei Jahre später zählt der Verein 600 Mitglieder – ein Viertel davon sind Buchhändler, die restlichen kommen aus anderen Branchen. Eines aber haben alle gemeinsam: Sie sind inhabergeführte Fachgeschäfte, die sich einem gemeinsamen Qualitätsanspruch verschrieben haben.

Auch die Hersteller hätten inzwischen erkannt, wie wichtig es für sie sei, den Buylocal-Gedanken zu stärken, berichtete Riethmüller – und verwies auf das Beispiel WMF. Der Spezialist für Küchengeräte will gemeinsam mit dem Verein einen Workshop für seine Händler anbieten. Auch sonst hat die Initiative viel vor:

Buylocal beteiligt sich an der Dialogplattform Einzelhandel, die das Bundeswirtschaftsministerium ins Leben gerufen hat.

Der Verein startet in Ravensburg einen Testlauf mit einer "Buylocal Box": Dort sollen Kunden bestellte Ware auch nach Ladenschluss abholen können. Geplant ist eine branchenübergreifende Lösung. "Bei den Apotheken gibt es etwas ähnliches – da haben wir uns die Idee abgeschaut", so Riethmüller.

Die "Woche der unabhängigen Buchhandlungen", im vergangenen Jahr angestoßen vom Berliner Buchhändler David Mesche (Buchbox!), wird 2015 mit Unterstützung von Buylocal in die zweite Runde gehen (14. – 22. November). Buchhändler können sich ab dem 13. Juli mit ihren Aktionen anmelden. Außerdem kürt das unabhängige Sortiment wieder seine "Buchlieblinge", die auf der Frankfurter Buchmesse im Oktober prämiert und präsentiert werden sollen.

Ebenfalls neu: eine Kooperation mit Atalanda – dem gemeinsamen Online-Shop der Einzelhändler in Wuppertal. Dass solche digitalen Gemeinschaftsmodelle auch neue Chancen für den Einzelhandel eröffnen – das machte Stadtforscher Hans-Hermann Albers in seinem Vortrag "Die Innenstadt und der digital-ökonomische Wandel" deutlich.

Von der Erfindung des Kaufhauses über die autogerechte Innenstadt bis hin zu Shoppingcentern und Gewerbeflächen auf der grünen Wiese – das Gebilde Stadt hat schon viele Häutungen im Lauf der Geschichte mitgemacht, wie Albers zeigte. Und der Einzelhandel hat in Krisenzeiten immer auch Gegenstrategien gefunden: etwa Standortgemeinschaften, in denen sich Grundstücksbesitzer und Gewerbetreibende zusammentun, um Straßen und Plätze zu gestalten: "Städte sind anpassungsfähig", so Albers. Und die Menschen, die darin leben, sind es offenbar auch.

Und sie nutzen die digitale Technik keineswegs nur fürs Online-Shopping, sondern vernetzen sich, um Ideen für ihre Stadt zu entwickeln – etwa Urban Farming oder Stadtentwicklungsprojekte durch Urban Crowdfunding: Über das Netz werden Gelder eingesammelt, um Bauvorhaben zu finanzieren. In Rotterdam ist so die Holzbrücke "Luchtsingel" entstanden, die ein ganzes Stadtviertel besser anbindet.

"Die Stadt von morgen wird nicht grundlegend anders aussehen als die von heute", da ist sich Albers sicher. Und er glaubt auch nicht an das Ende des stationären Geschäfts – im Gegenteil. Große Online-Händler wie Zalando drängen mit eigenen Läden in die Innenstädte. Die Zukunft: Das sei vermutlich eine Art Lokal-Stationärer-Online-Handel, vermutet Albers.

Alle Zeichen würden derzeit auf eine Re-Lokalisierung hindeuten - nach dem Motto: "Analog ist das neue Bio" (auch ein Buchtitel bei Metrolit). Und da habe der Buchhandel als Ort für Stadtteilkultur und Nachbarschaft gar keine schlechten Chancen. Allerdings gilt für den Stadtplaner auch: "Schwache Städte und periphere Regionen können durch den Mangel an urban-informationeller Dichte ihre Attraktivität nur begrenzt steigern. Es droht weitere Konzentration auf urbane Zentren."