Buchtage Leipzig: Die Eröffnung zum Thema "Das Wort und sein Wert"

"Der Wert des Wortes? Ach komm, klick Dich!"

23. Juni 2016
von Börsenblatt
Was sind Bücher, was sind Worte heute noch wert? Thesen und Appelle auf den Buchtagen in Leipzig: Bei der Eröffnung am Donnerstag konstatierte Gastredner Roland Reuß ein gestörtes Vertrauensverhältnis zwischen Autoren, Buchhändlern und Verlegern - und Nina George rief vehement zum Widerstand gegen Internetpiraterie und digitale Entfremdung auf.

"Der Wert des Wortes bemisst sich nicht nur daran, was dafür gezahlt wird, sondern vor allem an dessen Inhalt und an der Wirkung des Formulierten": Vorsteher Heinrich Riethmüller stieg gleich mit dem ersten Satz seiner Eröffnungsrede ins Thema der Buchtage ein: "Das Wort und sein Wert" – unter diesem Motto treffen sich rund 300 Buchhändler, Verleger und Branchenpartner am heutigen Donnerstag und am Freitag im Leipziger Haus des Buches.

Riethmüller machte deutlich, dass das Urheberrecht in der öffentlichen Debatte als Verbraucherrecht, nicht als Eigentumsrecht verstanden werde. "Es stehen der gute Autor und der arme Verbraucher dem bösen und natürlich reichen 'Verwerter' gegenüber." Dabei brauche die Gesellschaft eine unabhängige Verlags- und Buchhandelsstruktur. Sie sei Grundlage für die Meinungsbildung, gehöre zu den Grundpfeilern der Demokratie. Das zu erhalten, gehe nur mit "angemessener" Honorierung (unter dem Artikel finden Sie Heinrich Riethmüllers Rede im Wortlaut).

Aber haben Worte automatisch einen Wert?

Gegen den Strich bürstete Gastredner Roland Reuß das Thema der Tagung. Reuß ist Professor für Neuere Deutsche Literaturwissenschaft an der Universität Heidelberg und Initiator des viel diskutierten Heidelberger Appells für Publikationsfreiheit und die Wahrung des Urheberrechts: "Dass man etwas formuliert und das gleich einen Wert hat – so einfach ist es nicht", meint Reuß. Denn der Wert der Worte werde letztlich immer ausgehandelt innerhalb der Gesellschaft.

Reuß zählte Faktoren auf, die Worte entwerten. Dazu gehört für ihn, dass Autoren zunehmend gezwungen seien, sich selber anzupreisen. Das gelte für Selfpublisher, aber auch für die Forschung, wo die richtige "Antragslyrik" die Chancen auf Förderung erhöhe. "Wenn es keine Verlage mehr gibt, dann werden sich die Autoren noch mehr zur Ware machen müssen. Das ist einer der ersten Gründe, warum Autoren Verlage brauchen."

Auf die Verlage warteten in Leipzig aber nicht nur Nettigkeiten. Das Vertrauensverhältnis zwischen Autoren, Buchhändlern und Verlegern sei gestört, so Reuß. Wenn der Autor immer mehr Aufgaben übernehme müsse, selber Druckkostenzuschüsse auftreibe und der Verlag das Buch dann für 220 Euro anbiete: "Das versteht keiner". Auch aufs Lektorat müssten die Verlage wieder mehr Wert legen: "Wenn Sie als Verleger die Wahl haben, ins Marketing zu investieren oder ins Lektorat, dann investieren Sie ins Lektorat." Reuß‘ Rede mündete in eine Art "Leipziger Appell": Autoren, Buchhändler und Verleger müssten an einem Strang ziehen, mahnte Reuß – und viel intensiver miteinander kommunizieren. Das gelte auch für die Preispolitik und das Verramschen der Backlist. Beides werde von Verlagen in der Regel im Alleingang ohne den Autor entschieden.

Internetpiraterie als große Gefahr

Als Autorin Nina George als zweite Gastrednerin am Podium stand, wurde es immer wieder beklemmend still im Saal. Mit so viel Power und manchmal auch Pathos rief sie die Verleger zum Widerstand gegen die um sich greifende Internetpiraterie auf. George, die im PEN-Vorstand für das Urheberrecht zuständig ist und sich selbst als "digital native Uroma" bezeichnete, warf den versammelten Buchhändlern und Verlegern Zahl um Zahl auf den Tisch, um zu belegen, wie die Kostenlos-Kultur im Internet um sich greift. Gerade die Deutschen seien Weltmeister im Sharen und Downloaden: "Der Wert des Wortes – ach komm, klick Dich."

Was würden Sie für ein E-Book ausgeben? 15 bis 20 Euro, 10 bis 15 Euro, 5 bis 10 Euro? Oder noch weniger? George unterzog ihr Publikum dabei auch einer kritischen Selbst-Befragung. Aber: "Was sind die Folgen, wenn wir den Wert des Worts freiwillig auf den Preis reduzieren?" Schließlich sei, gemessen am Aufwand, jedes Buch unbezahlbar: "Ich als Autorin setze nicht weniger ein als mein gesamtes, kurzes, fehlbares Menschenleben." Und sie habe Angst: "Es ist befremdlich, zu erleben, wie meine Arbeit an Wert verliert." Dazu gehörten auch die vielen Hasstiraden im Internet, in denen Autoren als Künstlerpack gehatet würden: "Das Wort und sein Wert sind immer ein Spiegel der Gesellschaft."

Dabei sei das Buch, vor allem das gedruckte, ein "tapferes Aufklärungsmedium", so George, die an den arabischen, zum Tode verurteilten Blogger Raif Badawi erinnerte: Seine Blogeinträge zur Meinungsfreiheit ("Meinungsfreiheit ist die Luft, die jeder Denker zum Atmen braucht") seien inzwischen nur noch als Buch verfügbar (bei Ullstein).

Was ist die Lösung, um Bücher in die neue Zeit zu retten? Bücher teurer machen, mehr in die Inhalte investieren? Oder Autoren besser bezahlen, sprich: Die Quellen fördern, aus denen die Branche trinkt? Georges Bilanz: Verleger und Buchhändler würden sich in Spielchen rund ums Urhebervertragsrecht verstricken statt sich für die Bedingungen im digitalen Raum zu engagieren. Online-Piraterie sei weltweit der fünftgrößte Schwarzmarkt, jedes E-Book könne heimlich verändert oder gelöscht werden und als Überwachungstool für die Gelüste der Leser dienen: "Hören Sie auf zu hoffen, dass der analoge Wert des Wortes unfallfrei ins Digitale hinüberzuretten wäre", so George. "Schalten Sie sich ein in die Debatte, in welcher digitalen Gesellschaft wir eigentlich leben wollen."

Es gehe darum, klugen Widerstand gegen die digitale Entfremdung zu üben. Denn das sei der wahre Wert des Wortes: "Erwerben und verkaufen Sie ihn nicht zu billig". Am Ende stand ein Vorschlag an die Verlage: Einfach mal ein Jahr lang keine E-Books machen. Als sich im Saal Schweigen breit machte, schob George nach: "Oder für eine Woche?". Mal sehen, ob Leipzig Folgen haben wird.

Die komplette Rede Nina Georges haben wir auf boersenblatt.net dokumentiert.
Die Rede von Vorsteher Heinrich Riethmüller finden Sie unten als Download.