Buchtipp am Sonntag

In der Wunderkammer der Natur

3. März 2015
von Börsenblatt
In der leidenschaftlich versponnenen Reihe „Naturkunden“ sind im Verlag Matthes & Seitz bislang 15 fabelhafte Titel erschienen. Das Herbstprogramm setzt das von Judith Schalanksy als Herausgeberin und Herstellerin betreute Projekt auf gewohntem Niveau fort.

Ein Kapitel in „Wahre Monster. Ein unglaubliches Bestiarium“ ist natürlich dem Menschen gewidmet. Hier lässt sich in einem Viertelstündchen bei einer Tasse Kaffee mehr über die menschliche Evolution und Ästhetik lernen, als beim Besuch eines regulären Gymnasiums. Wissen und Erkenntniswille, Wissenschaft, Unterhaltung und Kunst: Das schönste an den Bänden der Naturkunden-Reihe, besonders im Falle des „Bestiariums“ ist, dass diese Grenzen konsequent verwischt werden. Eben lernen wir etwas über die strenge Hierarchie unter den Japanmakkaken, im nächsten Satz erfahren wir, dass diese Schneeaffen „lange rote Gesichter“ besitzen und „eng anliegende Augen wie George W. Bush sie hat.“ Wussten Sie, dass manche Arten der Springspinne schärfere Augen (und gleich vier Paar) als Hauskatzen haben? Und dass der australische Dornteufel seinen Kopf zwischen seine Beine steckt und Räubern einen falschen Kopf präsentiert, der sich ohne allzu großen Schaden für die dornige Echse verspeisen lässt? Nein? Nun, hier können Sie es erfahren und vieles mehr. Etwa über eine der kleinsten Eulenarten der Welt: Vom Xenoglaux, wegen seiner Herkunft auf Peruanerkauz genannt, mögen keine 250 Individuen mehr existieren – erst vor vier Jahren wurde der Minikauz erstmals fotografiert, erfahren wir bei Caspar Henderson, der vier Jahre Arbeit in sein Buch gesteckt hat.  Die Früchte seiner Arbeit: nichts weniger ist als eine Verneigung vor der Evolution, eine Feier des Lebens und eine Warnung an den Menschen, die Schöpfung zu bewahren anstatt zum Grund für ein globales Massenaussterben in der Tier- und Pflanzenwelt zu werden. Es wäre das sechste in den letzten 4,5 Milliarden Jahre, seit es unseren Planeten gibt.

Caspar Henderson: Wahre Monster. 350 S., 38 Euro

Ganz den „Eulen“ gewidmet ist einer der drei vorgelegten Herbsttitel der Reihe. Ob ihm die gleiche Auflagenhöhe des „Krähen“-Bandes (2013) beschieden ist – mehr als 20.000 Exemplare – wird sich noch zeigen. Hundertmal interessanter als die acht Eulenarten, die gemeinsam mit der kleinsten Eulenart der Welt (dem Elfenkauz) am Ende des Bandes vorgestellt werden, sind die ersten 110 Seiten des Buches. Hier, in den Kapiteln, die sich mit dem Verhältnis von Eule und Mensch in der Vorzeit und der Antike sowie der widersprüchlichen Darstellung der Eule in Kunst und Literatur widmen, erwirbt sich Desmond Morris die allergrößten Verdienste. Den Ausführungen zum Jagd- und Balzverhalten („Typisch Eule“) fehlt dazu im Vergleich der Biss – aber Sie erfahren alles über Eulengewölle, was man wissen muss. Auch wo man sie kaufen kann.

Desmond Morris: Eulen. Matthes & Seitz, 168 S., 18 Euro

Verstiegener und umso faszinierender ist der von Judith Zanders verfasste Band über Kakteen: Allein die Ausführungen der Autorin, wie sie sich während der Arbeit ein ums andere Mal dafür rechtfertigen musste, ein Buch über Kakteen zu schreiben, lohnt den Kauf. Danach wird es noch versponnener: 25 Kakteengattungen (von A bis Z) stellen sich Ihnen persönlich vor, wofür Zander eine hymnische Sprache findet. Daneben stehen Schwarz-Weiß-Fotografien  von Johanna Rubel (beide Jahrgang 1980). Beim Lesen wünscht man sich eine Hörbuchfassung der Texte, sogar dann, wenn man keine Hörbücher mag, so dreist und fabelhaft ist das.

Judit Zander: Cactaceae, Matthes & Seitz, 144 S., 30 Euro

 

Gedulden müssen sich die Freunde der Naturkundenreihe indes, die einen weiteren Band erwarten: Um Bildrechte zu klären (der Verlag hatte kurz vor Drucklegung die Möglichkeit erhalten, sensationelle, nie gesehene Bilder zu sichten), hat sich der Auslieferungstermin des ursprünglich ebenfalls für den Herbst angekündigte Band „Pilze“ auf den März 2015 verschoben.