Bücherpreise

Die Entwertungskette

16. Juli 2015
von Börsenblatt
Eine seltsame Gewohnheit beherrscht die Branche: "Generell können bei uns Preise immer nur zu hoch, fast nie zu niedrig sein", meint Michael Schikowski. Er schlägt ein Umdenken im Verkauf vor, das auf den Wert der Bücher setzt. Denn: Der kleine Preis "sediert den Verstand, gelegentlich verdirbt er den Geschmack".

Wortmeldungen zur Bedeutung der Krise bei Weltbild gibt es reichlich. Vielleicht wäre es jetzt an der Zeit, den vielen mehr oder weniger plausiblen Gründen und Schuldzuweisungen für diese Krise einige etwas grundsätzlichere und allgemeinere Überlegungen anzu­fügen.

Eine dieser möglichen Überlegungen wäre vielleicht die folgende: Wer sich im Preisbildungsprozess einmal in die Nähe der Zone niedriger oder gar fallender Preise begibt, droht auf lange Sicht darin umzukommen. Wie zuletzt Schlecker und Praktiker.

Zunächst ist das Argument des niedrigen Preises ja in vielfacher Hinsicht gut. Vor allem macht es der niedrige Preis allen bequem, denn er erklärt sich fast von selbst. Wenn er wirklich niedrig genug ist, dann braucht es kaum mehr als genau diesen niedrigen Preis. Damit geraten alle weiteren auch nicht unwichtigen Kriterien aus dem Blick, und wer sie etwa vorbringt, dem wird beschieden: "Ach, lass mal, das verkauft sich eh über den Preis!"

Diese Redewendung, oft im Sinne von Ende-der-Debatte vorgebracht, gibt sich als Lösung aus. Das mag so sein, sie ist aber, wenn sie zu oft vorgebracht wird, zugleich ein Problem. Und hierin liegt eine gewisse Gewohnheit der Branche: Probleme bereiten eigentlich nur hohe Preise, niemals niedrige. Generell können bei uns Preise immer nur zu hoch, fast nie zu niedrig sein.

Ganz sicher ist es nicht mehr so, dass man den Kunden hinhält, weil im nächsten Monat ja endlich das Taschenbuch erscheint. Welche Perspektive aber hat man in aller Regel? Offensichtlich die des Kunden, der sich über den Preisverfall geliebter Produkte immer auch freut.

Aus der Perspektive der Branche müsste man sinkende Preise viel kritischer daraufhin beobachten, ob die Preisentwicklung wirklich einer üblichen Verwertung folgt, zu der eben auch Preisreduzierungen gehören. Oder ob nicht vielmehr in einigen Fällen die Konkurrenz, der man ja nachsagt, sie würde das Geschäft beleben, in Preisdumping übergeht. Dann sind sinkende Preise keine normale Verwertungskette, sondern eine Entwertungskette.

Der kleine Preis verführt dazu, sonst geltende Prüfverfahren zu vernachlässigen. Er sediert den Verstand, gelegentlich verdirbt er den Geschmack. Der kleine Preis − er macht es einem also einfach. Warum? Weil beim kleinen Preis die Anstrengungen im Verkauf überschaubar erscheinen. Es wird nur noch aufs richtige Plätzchen gesonnen. Der kleine Preis bedarf also nur eines mittelmäßigen Marketings.

Damit ist jede weitere Produktprüfung obsolet. Vor lauter Preis und Platz, der dann oft noch ein bevorzugter ist, gerät die Frage, was das Buch eigentlich enthält, ziemlich schnell aus dem Blick des Verkäufers. Dem Inhalt widmet sich dann in der Regel ohnehin nur noch der Endkunde.

Man möchte es doch wenigstens einmal erleben, dass Buchhändler den Vertreter anraunzen, dass ein Buch "zu preiswert" sei. Oder dass er es gar wegen des niedrigen Preises nicht etwa, wie vielleicht erwartet worden war, mehrfach, sondern nur einmal oder gleich überhaupt nicht einkaufe. Es muss ja nicht die Regel werden, aber es wäre ein Zeichen.