Bundesfinale des 58. Vorlesewettbewerbs

Jarik Foth ist der beste Vorleser Deutschlands

21. Juni 2017
von Stefan Hauck
16 Landessieger und ihre Fans lasen im Studio A des RBB in Berlin um die Wette, es gab tolle sprachliche Verfolgungsjagden: Der Sieger des Vorlesewettbewerb 2017 ist Jarik Foth vom Dietrich-Bonhoeffer-Gymnasium in Quickborn (Schleswig-Holstein).

 

Lampenfieber haben die 16 Landessieger alle im Studio A des RBB, klar. Was kann man dagegen tun? „Auf die Bühne gehen und einfach performen“, rät Moritz Twesten, der in diesem Jahr in Hamburg die Nummer eins ist.

„Die Leute starren einen immer so an, das macht einen völlig nervös – ich stelle mir dann immer vor, dass da Kartoffeln sitzen“, verrät Moritz Indorf aus Sachsen seinen Trick gegen das Lampenfieber. „Sobald man anfängt zu lesen, ist man schon weit weg von der Aufregung“, sagte einer, der es wissen muss: Matthias Stelzle ist der Vorjahressieger und 2017 Mitglied der Jury.

Herzklopfen gehört dazu; auch Börsenvereinsvorsteher Heinrich Riethmüller gestand, ein bisschen aufgeregt zu sein. "Für mich gehört das Bundesfinale zu den schönsten Vorsteher-Terminen im Jahr": Riethmüller freute sich über die unveränderte Wirkung des Vorlesewettbewerbs; „Mehr als 600.000 Schüler machen jedes Jahr mit – das ist die größte Lesefördermaßnahme in Deutschland.“

„Wir sind froh, dass Ihr da seid“, begrüßte Patricia Schlesinger als Intendantin des Rundfunks Berlin-Brandenburg die Landessieger. Sie bekannte, vor 40 Jahren so richtig enttäuscht gewesen zu sein, als sie im Vorlesewettbewerb der Schule nur Zweite wurde. „Das fand ich damals natürlich die vollkommen falsche Entscheidung …“ meinte sie, sehe aber im Abstand von heute, dass es letztlich überhaupt nicht ums Gewinnen gehe: Man nehme viel wichtigere Erfahrungen mit. „Vorlesen schafft eine unglaubliche Nähe zwischen Vorleser und dem, der vorgelesen bekommt, und es macht klug!“

Wahrheitsabsauger und verbrannte Balken

Die Bandbreite der vorgelesenen Texte war groß. Dramatische Familienszenen bot Tjorven Druck aus Hessen, Luna Backes aus Bayern betonte herrlich die schnippischen Passagen des Textes, Moritz Indorf aus Sachsen las szenisch, witzig, modulierte - er wurde eins mit dem Text, war die Figur des gleichaltrigen Erzählers. Von einem Wahrheitsabsauger erzählte Charlotte Elise Rohde aus Rostock, mit kleinen Giftigkeiten und arroganten Überheblichkeiten in der Stimme; die Stimmungsumschwünge brachte sie auf den Punkt.

Mit leichter Schnoddrigkeit, nachdenklich, geheimnisvoll flüsternd las der Schleswig-Holsteiner Jarik Foth aus Simon Packhams „Stumme Helden lügen nicht“ (dtv) und traute sich sogar, die im Text angegebenen Liedzeilen aus dem Gesangbuch klar anzuintonieren – Respekt. „Was für ein schwieriges Thema, der Tod eines Freundes, das hast Du gut hinbekommen“, sagte "Timster“-Moderator Tim Gailus aus der Jury, und auch der Vorjahressieger stimmte dem uneingeschränkt zu. Nicht minder dramatisch schilderte Lian Janocha aus Niedersachsen einen Theaterbrand (aus „Vorhang auf für Johanna“, Urachhaus), man roch geradezu die verbrannten Balken und die rußige Luft. Sein „Lauf, lauf jetzt um dein Leben!“ ließ den Zuhörern einen Schauer über den Rücken laufen.

Überraschung am Rande: Susanne Mittag, SPD-Bundestagsabgeordnete im Wahlkreis Delmenhorst und stellvertretende Vorsitzende des NSA-Untersuchungsausschusses, kam spontan im Rundfunkhaus an der Masurenallee vorbei, um "ihrem" niedersächsischen Landessieger die Daumen zu drücken.

Mit dem Tempo spielen

Frida Wachter aus dem Saarland drosselte die Schnelligkeit und ließ sie wieder anschwellen: „Sehr gut, dass sie bei den entscheidenden Passagen das Tempo runtergenommen hat“, lobte der Vorjahressieger. Ähnlich Fahrt nahm Moritz Twesten aus Hamburg auf: „Peinlichkeit, Entsetzten, das Fair in Boutiquen, das kam alles gut rüber“, sagte Angelika Schaak. Pit Terjung aus Berlin-Friedenau zeigte dagegen, wie man mit dem Tempo immer noch eine Schippe zulegen kann: Die Verfolgungsjagd aus der „Missisippi-Bande“ (Thienemann) wurde auch sprachlich wiedergegeben, Atemlos, Schritte, hecheln, Schreie: „Volle Kanne Thriller!“, meinte Max Moor, Moderator, Schauspieler und seit kurzem auch Kinderbuchautor, „unglaublich dynamisch eingestiegen“, urteilte Hörcompany-Verlegerin Angelika Schaack von der Jury.

Gefühle ohne Klischees

Auch Gefühle inklusive Weinen stimmlich „rüberzubringen“ ohne in Klischees zu verfallen, will gelernt sein. Johanna Schönfelder aus Unna „Gekonnt die Pausen gesetzt!“, beobachtete Matthias Stelzle, „man merkt sofort, was dieses Mädchen fühlt“, urteilte Regisseurin und Jugendbuchautorin Anja von Kampen aus der Jury, die darauf achtete, ob die Texte so vorgetragen sind, „dass sie Bilder in meinem Kopf entstehen lassen“. Das gelang Marvin Strauß aus Thüringen gut, gezielt setzte er das Zögern in der Stimme ein, um die Situation im Text nachvollziehbar zu entwickeln. Ein Meisterstück im Pausen-Setzen lieferte Sieglinde Brauers aus Mainz, die aus „Weg mit Knut“ (Hanser) eine Szene über einen Jungen entwickelte, der nicht vom Baum des Nachbars runter will. „Du hast den Charakter dieses Jungen auf den Punkt gebracht!“, lobte Tim Gailus.

Eine absolut schwierige Textpassage hatte sich Jana Horn aus Bremen ausgesucht, die sie aber mit Bravour meisterte. Mit warmem Timbre und deutlich reifer Stimme modulierte sie die Sätze aus Anke Stellings „Erna und die drei Wahrheiten“ (cbt) so unterschiedlich, dass der Zuhörer Stufe um Stufe den Gedanken der Protagonistin folgten, dass sie über die Wortbedeutungen nachdachten. „Wunderbar, diese leichte Verachtung“, urteilte Max Moor, „ich hab vergessen, dass vorgelesen wurde.“ Entschlossenheit dagegen stand im Vordergrund bei Friedemann Kaleschkes Lesung aus dem „Tagebuch eines Möchtegern-Versagers“ (Fischer KJB), der Junge aus Marbach am Neckar setzte die Dialoge präzise.

Vorlesen macht Spaß!

Die Herzen der Zuschauer gewann auf jeden Fall Hannes Grunewald aus Brandenburg. Bei ihm wurde deutlich, dass Vorlesen Spaß macht, dass er die Zuhörer mit auf die Reise in das Buch nehmen will. Die Stimme des Richters klang ganz anders als die des gelangweilten Jungen, „genauso hätte ich's auch gemacht und  das Nein! gerufen“, sagte Max Moor. Leisere Töne bot Luca Alexander Hense aus Sachsen-Anhalt, er flüsterte, seufzte und gab einer berührenden Szene aus „Das U-Boot auf dem Berg“ (Tulipan) die erforderliche Tiefe. „Sehr lebendig erzählt“, sagte Anja von Kampen, „die komplizierten Wechsel in den Dialogen gut gemeistert“ schloss sich Matthias Stelzle an.

Alles andere als leicht also für die Jury, den Besten der Besten zu finden. „Ihr seid ja schon spitze, sonst wärt ihr nicht hier“, befand Max Moor, „alle sind schon mal 100 Prozent gut.“ Nach zwei zehnminütigen Jurysitzungen stand dann das Urteil fest: Jarik Foth aus Schleswig-Holstein ist der Bundesfinalsieger des 58. Vorlesewettbewerbs.

 

Der RBB hat das Finale aufgezeichnet und produziert eine Sendung für den KiKA. Sie wird am 8. Juli 2017 um 17.45 Uhr ausgestrahlt. Das Erste zeigt sie im Herbst 2017, zum Start des neuen Vorlesewettbewerbs 2017/2018.