Contec

Schlüsselwort Interaktion

20. Juli 2015
von Börsenblatt
Wie die (nähere) Zukunft der Wissenschafts- und Bildungsverlage aussehen könnte, war die Leitfrage einer Veranstaltung im "Interactive Learning Lab", die gestern Nachmittag auf der Contec im Frankfurt Marriott stattfand.

Für Wissenschaftsverlage bedeutet der digitale Wandel unter anderem, dass sie ihre internen Prozesse umstellen müssen (was an sich nichts Neues ist). Um Inhalte für alle möglichen Formate, ob Print, E-Book, App oder Online-Portal, aufzubereiten, ist eine Struktur notwendig, die größtmögliche Flexibilität bei der Medienausgabe ermöglicht. Das Hybrid Publishing Lab der Leuphana Universität Lüneburg, das von der Journalistin und Autorin Mercedes Bunz geleitet wird, hat für kleinere geistes- und sozialwissenschaftliche Verlage eine Open-Source-Workflow-Lösung namens Academic Typesetr entwickelt, mit der sie aus einer Quelle (single source) alle Inhalte (Print oder elektronisch) publizieren können. Im kommenden Jahr sollen die ersten Verlage die Software nutzen können. Simon Worthington, Mitarbeiter von Mercedes Bunz und zugleich Mitbegründer der Zeitschrift "Mute Magazine" informierte die Teilnehmer über die technischen Details der Lösung.

Aus der Perspektive eines großen Wissenschaftsverlags schilderte Melissa Fulkerson, Senior Channel Manager Science and Technology Books Division, die Herausforderungen der Digitalisierung: Nicht nur die Zahl der Medienformate und Ausgabe-Kanäle sei enorm gestiegen, sondern auch die Zahl der Plattformen und Aggregatoren, über die die Inhalte (inzwischen rund 50 Prozent elektronisch) vertrieben werden. Inzwischen hat die Vertriebsspezialistin des Verlagsriesen mit mehr als 50 E-Book-Aggregatoren zu tun. Was für die multimediale Anreicherung von E-Journals gilt, wird auch für Wissenschaftsbücher immer wichtiger: die Anreicherung mit multimedialen Inhalten, die crossmediale Verlinkung und vieles mehr. Das neue EPUB 3-Format, das die Einbindung von Multimedia erleichtert, wird auch von Elsevier eingesetzt.

Die Wissenschaftsverlage sind längst dazu übergegangen, über das Kerngeschäft des Publizierens hinaus das gesamte Ökosystem der Forschung, der Forschungsförderung und Forschungskommunikation in den Blick zu nehmen. Für diese Strategie steht beispielhaft die Akquisition der Kollaborations-Plattform Mendeley, die Mitbegründer und Präsident Jan Reichelt den Teilnehmern des Interactive Learning Lab vorstellte. Mendeley ist eine Plattform, die im globalen Maßstab Forscher und Forschungsprojekte miteinander vernetzt und in einer Datenbank speichert.

Als Vertreter eines großen Technologieunternehmens, das sich weltweit im Bildungsmarkt engagiert, saß Udi Chatow, derzeit Worldwide Business Development Manager in Education bei Hewlett Packard (HP, Geschäftsfeld HP Graphics Solution Business) auf dem Panel. Dort entwickelt er innovative Lösungen für den globalen Bildungsmarkt. Interessant waren Statistiken aus dem US-Bildungsbetrieb, die zeigten, dass Studenten bisher nur sehr zögerlich E-Books nutzen. Printprodukte sind nach wie vor das Ankermedium auch im universitären Lehrbetrieb. Interessanter als E-Books sind in Chatows Augen kombinierte Lehrmedien, die vor allem Interaktion ermöglichen (zum Beispiel die Kombination eines Lehrbuchs mit einer App und einem tutorierten Online-Kurs). Dem "interaktiven Lehrbuch", das Vorzüge von Print und Online miteinander verbindet, gehört die Zukunft, so Chatow.

Hedva Vital, Gründerin der Marathon Group und seit über 20 Jahren mit der Entwicklung digitaler Bildungsmedien befasst, stellte ein Tool vor, mit dem Lehrbuchautoren unaufwendig und schnell interaktive Lektionen erstellen können.

In der abschließenden Diskussion ging es vor allem um das Potential von Online-Kursen, die in den USA unter dem Kürzel MOOC (Massive Open Online Courses) kostenlos verbreitet werden und einen enormen Zulauf verzeichnen. Die Kurse werden von einem Konsortium zahlreicher Hochschulen entwickelt und verwenden zum Teil frei verfügbare Inhalte. Udi Chatow empfahl allen anwesenden Verlegern, die geschäftlichen Chancen, die in diesem Kursen stecken, zu nutzen und die eigenen, qualitätsgeprüften Inhalte den Kursanbietern zu verkaufen. Man darf gespannt sein, ob über kurz oder lang auch in Deutschland Online-Kurse das Präsenzangebot der Universitäten ergänzen.

Die Contec ist eine Veranstaltung der Frankfurt Academy; das Börsenblatt ist Partner der Veranstaltung. Das Panel "The Future of Academic, Scholarly and Higher Ed Publishing" wurde von Börsenblatt-Redakteur Michael Roesler-Graichen moderiert.