Die Bundesprüfstelle zwischen Meinungsfreiheit und Jugendschutz

Rechtsradikal reicht nicht

7. Dezember 2017
von Börsenblatt
Bei der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien ist Rechtsextremismus an die zweite Stelle der Indizierungsgründe geklettert – obwohl die Messlatte für ein Verbot entsprechender CDs oder Bücher wirklich hoch hängt.

Der britische Musiker Morissey soll jetzt ein "Verschwörungstheoretiker" sein. Er inszeniere sich auf seinem neuen Album als "Apologet des Rechtspopulismus", schrieb die "Süddeutsche Zeitung" jüngst. Ein Fall für die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) in Duisdorf bei Bonn? Sicher nicht, mögen Morisseys rassistisch gefärbte Liedzeilen viele Fans auch noch so erschüttern.

"Vor Jahren wusste man auf Anhieb, welche politische Gesinnung hinter einem Liedtext steckt", sagt Martina Hannak-Meinke, Vorsitzende der Bundesprüfstelle. Heute müsse man viel genauer prüfen – und stärker zwischen dem Tatbestand der Jugendgefährdung einerseits und der Freiheit auf Meinungsäußerung ­beziehungsweise Kunstfreiheit andererseits abwägen. Indiziert werden von der BPjM Medien, die

  • verrohende Wirkung haben,
  • zur Gewalttätigkeit oder zu Verbrechen anreizen,
  • zu Rassenhass anreizen,
  • selbstzweckhafte, detaillierte Gewaltdarstellungen enthalten,
  • Selbstjustiz nahelegen,
  • das Scham- und Sittlichkeitsgefühl gröblich verletzen.

Schwer jugendgefährdende Medien unterliegen auch ohne Indizierung durch die Prüfstelle absoluten gesetzlichen Verbreitungs- und Wettbewerbs­beschränkungen:

  • Paragraf 86 Strafgesetzbuch (StGB): Propagandamittel verfassungswidriger Organisationen,
  • Paragraf 130 StGB: Volksverhetzung,
  • Paragraf 130a StGB: Anleitung zu Straftaten,
  • Paragraf 131 StGB: Gewalt­darstellung,
  • Paragraf 184 StGB: Pornografische Schriften,
  • Paragraf 184a StGB: Gewalt- und Tierpornografie,
  • Paragrafen 184b und 184c StGB: Kinder- und Jugendpornografie.

Bücher spielen bei der BPjM zahlen­mäßig mittlerweile eine Nebenrolle. Zur Prüfung vorgelegt und indiziert werden ganz überwiegend Online­angebote, gefolgt von Tonträgern und Filmen auf Video/DVD.

Von der BPjM indizierte Medien sind nicht generell verboten, sie dürfen lediglich Kindern und Jugendlichen nicht zugänglich gemacht werden – früher nannte man das im Buchhandel "Bückware", weil solche Medien nicht im Regal, sondern nur auf Bestellung unterm Tresen gelagert wurden. Für ein allgemeines Verbot mit der Folge der ­Beschlagnahme und Einziehung der Medien sind die Staatsanwaltschaften zuständig. Prüfanregungen für die BPjM nehmen unter anderem die Jugendämter entgegen; wer in Medien Straftatbestände wie Volksverhetzung als gegeben ansieht, kann sich damit an jede Polizeidienststelle wenden. Informationen über das weitere Verfahren gibt es nicht. Händler, die nicht sicher sind, ob ein Buch oder eine CD indiziert ist, können per Onlineformular bei der Prüfstelle nachfragen (bundespruefstelle.de).

Immer häufiger landen bei der Prüfstelle Medien aufgrund von politischem Extremismus auf der Indizierungsliste. 2016 hatten nach Angabe von Martina Hannak-Meinke 101 Neuindizierungen diesen Hintergrund – wobei politischer Extremismus in diesen Tagen von rechts kommt. Die Gründe für die Indizierungen: NS-Verherrlichung / Propagierung NS-Ideologie, Verbreitung von NS-Propagandamitteln und Verbreitung von Rassismus / Antisemitismus. "Rechtsradikale" Äußerungen reichen für einen Listenplatz nicht aus.

Die Arbeit der BPjM gefällt nicht jedem, als "Zensurbehörde" geschmäht, steht sie regelmäßig in der Kritik. Wer die 18 hauptamtlichen Mitarbeiter in Duisdorf persönlich aufsuchen will, hat es schwer: Um unliebsamen Besuch zu vermeiden, sind die Büros im Bundesfami­lienmisterium in der Rochusstraße nicht ausgeschildert.

Interview mit Martina Hannak-Meinke, Vorsitzende der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien


Wann wird die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien tätig?
Für die Aufnahme eines Indizierungsverfahrens muss uns ein Antrag oder eine Anregung von einem Jugendamt oder einer anderen Behörde vorliegen.

Und? Wird davon Gebrauch gemacht?
Absolut. 2016 sind 519 Anträge und 464 Anregungen eingegangen. Bei Anträgen sind wir verpflichtet, ein Prüfverfahren durchzuführen, bei den Anregungen hat die Prüfstelle einen Ermessensspielraum.

Wie funktioniert der Prüfprozess?
Das ist ein gerichtsähnliches Verfahren, bei dem am Ende abgestimmt wird: Für die Listenaufnahme ist eine Zweidrittelmehrheit erforderlich.

Welche Herausforderungen müssen im  Prüfprozess gemeistert werden? 
Zunächst geht es darum, den Inhalt richtig zu erfassen. Bei Tonträgern müssen die Texte im Vorfeld vollumfänglich vorliegen, bei literarischen Werken muss neben der reinen Textform auch eine etwaige Botschaft ermittelt werden. Die nächste Herausforderung ist die Subsumption der Inhalte unter die Tatbestände der Jugendgefährdung. Abschließend geht es in den Abwägungsprozess: Welche Grundrechte würden durch die Indizierung eingeschränkt werden? Was wiegt schwerer: der Jugendschutz oder, zum Beispiel, die Meinungsfreiheit?

Jugendgefährdende Medien können darüber hinausgehende Straftatbestände erfüllen. Leiten Sie solche Medien an die Staatsanwaltschaften weiter?
Ja. Generell muss man zwischen einfacher Jugendgefährung, bei der sich die Indizierungsfolgen, also umfangreiche Vertriebs- und Werbeverbote, tatsächlich nur auf Minder­jährige beziehen, und schwerer Jugendgefährdung unterscheiden. Die als schwer jugend­gefährdend eingestuften Medien können weitere Straftatbestände erfüllen. Wenn ein Gericht das feststellt, sind diese Medien auch für Erwachsene verboten und müssen aus dem Verkehr gezogen werden. 

Wo liegen die Grenzen des Sagbaren bei rechtsradikalen Inhalten?
Straftatbestände der Jugendgefährdung sind unter anderem NS-Verherrlichung oder Verherrlichung der NS-Ideologie, Rassismus und Antisemitismus. Wenn der Tatbestand der Jugendgefährdung erfüllt ist, werden diesem etwaige Grundrechte entgegengestellt – häufig die Meinungsäußerungsfreiheit oder die Kunstfreiheit. Jugendschutz und Grundrechte  sind beides Rechtsgüter mit Verfassungsrang. Da muss man im Einzelfall abwägen, welchem Rechtsgut der Vorrang gegeben wird.

Verzeichnet die Prüfstelle derzeit einen Anstieg im politischen Extremismus?
Politischer Extremismus ist keine neue Erscheinung der Gegenwart. Aktuell hat aber extremistisches Gedankengut vor allem aus dem rechten Spektrum wieder Hoch­konjunktur, Linksextremismus spielt derzeit eine Nebenrolle.

Wie viele rechtsextremistische Lieder, Filme, Schriften wurden 2016 indiziert?
Mit 101 Indizierungen markierten rechtsextremistische Medien im Prüfjahr 2016 nicht nur zahlenmäßig ein Hoch, sondern haben sich auch inhaltlich – nach einfacher und harter Pornografie – als die am zweithäufigsten beanstandete Kategorie jugendgefährdender Medien etabliert.

Welche Folgen hat die Indizierung für die Produzenten und den Handel?
Mit der Indizierung sind umfangreiche Vertriebs- und Werbebeschränkungen verknüpft. Unter anderem dürfen die Titel nicht mehr im Regal stehen.

Interview: Sabine van Endert

Börsenblatt Heft 49: Wie soll man mit rechtsextremen, antidemokratischen Meinungen umgehen, die einem im Berufsalltag begegnen? Die Meinungen in der Buchbranche darüber gehen auseinander. Grundsatzfragen müssen diskutiert werden: Was ist erlaubt? Was nicht? Eine faktenbasierte Orientierungshilfe bei der Suche nach Antworten und ein Stimmungsbild abseits der lautstark vorgetragenen Parolen bietet das aktuelle Börsenblatt mit dem Themenschwerpunkt "Rechts".