Die Lieblingsbuchhandlung des Autors Henning Ahrens

Das Gegenteil vom Algorithmus

23. Juni 2016
von Börsenblatt
Henning Ahrens über die Buchhandlung Land in Sicht in Frankfurt.

Der Buchladen Land in Sicht liegt ein wenig versteckt westlich der Friedberger Landstraße an der Ecke ­Rotteck- und Mercatorstraße. Schon ein erster Blick durch die Scheiben verrät, dass man es mit einem gut sortierten Laden zu tun hat, einem, in dem man stöbern kann, und das auch in ­entlegenen literarischen und verlegerischen Winkeln.

Ich bin immer neugierig, ob und wie viel Lyrik vorhanden ist, in meinen Augen ein zentrales Kriterium für die Qualität einer Buchhandlung, und Land in Sicht bietet eine für deutsche Verhältnisse (das Lyrik-­Paradies war für mich stets England) ansehnliche Auswahl. Neben Belletristik und Kinderbuch gibt es einen umfangreichen Sachbuchbereich, ­unter anderem zu den Themen ­Ethnologie, Kulturanthropologie und Psychoanalyse. Als gelegentlicher Leser von Graphic Novels war ich erfreut, auch dieses Genre vorzufinden, ebenso Die Andere Bibliothek, die Friedenauer Presse und Literaturzeitschriften – all das und noch viel mehr, 15 000 Titel insgesamt, fügt sich in Land in Sicht bei aller Vielfalt zu einer literarischen Einheit zusammen, die sich den im Laden tätigen Buchhändlerinnen und Buchhändlern ­verdankt, allem Anschein nach ein harmonisches Team.
Der Laden befindet sich im Erdgeschoss eines Nachkriegsbaus, und sowohl dieser als auch die schlichte Mercatorstraße passen gut zum Gründungsgeist des Buchladens, der 1978, zu einer Zeit, als sich die Alternativszene des Nordends im Kielwasser der Studentenbewegung entfaltete, von einem Kollektiv ins Leben gerufen wurde. Das erste Logo zeichnete F. K. Waechter, ebenfalls ein bezeichnendes Detail, das die Einbettung in die damalige politische, intellektuelle und künstlerische Szene Frankfurts bezeugt. Der Geist jener Zeit, nach vorn gewandt, ja aufklärerisch, ist in diesem Buchladen bis heute zu spüren, er spricht aus dem breiten, niveauvollen Angebot und dem Engagement, mit dem man Lesungen sowie Ausstellungen organisiert, für die eine große Wand im Laden reserviert ist.
Die Gegenwart ist natürlich längst in Land in Sicht angekommen, aber von Verzagtheit ist nichts zu spüren, im Gegenteil. Man sucht zwar neue Wege, auch über das Internet, konzentriert sich jedoch vor allem auf das, "was man kann", wie die Buchhändlerin Susanne Petzel sagt. Und sie fügt hinzu: "Wir sind kein Algorithmus, wir sind Buchhändlerinnen." Dementsprechend setzt man auf den persönlichen Kontakt zu Kunden und Kundinnen, denen durch die im Laden vorrätigen Titel eine Orientierungshilfe an die Hand gegeben werden soll. Die Kooperation mit anderen Frankfurter Buchläden, ob im Nordend, Westend oder in Bockenheim, sowie die Mitarbeit bei den Buchempfehlungen von kommbuch.com, tragen ebenso zur Konsolidierung bei wie das Glück, durch die Lage im Nordend die passende Leserschaft an der Hand zu haben. Frau Petzel bietet mir noch einen Kaffee an, den ich ablehne, weil ich schon genug Bohnensud intus habe, und als ich davonradele, bleibt ein gutes Gefühl – dies ist eine Buchhandlung, wie ich sie mir wünsche, ob als Leser oder Autor. Möge das Land noch lange in Sicht bleiben!