Die Sonntagsfrage

"Welche Rolle spielen Buchhandlungen in der Stadt von Morgen?"

14. August 2015
von Börsenblatt
Eine aktuelle Studie des Kölner Instituts für Handelsforschung (IFH) geht in einem Szenario davon aus, dass bis 2020 an die 45.000 stationäre Geschäfte in Städten geschlossen werden könnten. Muss es so drastisch kommen? Der Berliner Architekt und Stadtforscher Hans-Hermann Albers erläutert, welche wichtige Rolle gerade der Buchhandel auch künftig in der Innenstadt spielen kann.

Dem innerstädtischen Einzelhandel wird eine düstere Zukunft prognostiziert, so etwa jüngst durch die IFH-Studie "Stadt, Land, Handel 2020". Onlinehandel und demografischer Wandel werden für den Verlust lokaler Einzelhandelsstrukturen verantwortlich gemacht und vielerorts sind bereits markante Ladenleerstände die Zeichen einer innerstädtischen Verödung. Sieht es für die Zukunft der Innenstädte wirklich so dunkel aus oder bedeuten die Veränderungen (im Handel) einen Aufbruch zu neuen Stadt-Konzepten? Welche Rolle nimmt der Buchhandel in der künftigen (Innen-)Stadt ein? Welche Maßnahmen sind erforderlich für einen zukunftsfähigen Sortimentsbuchhandel in der Stadt von Morgen?

Ohne Zweifel: Die Digitalisierung und der demografische Wandel prägen zunehmend das urbane Leben. Nahezu alle gesellschaftlichen und ökonomischen Prozesse werden von digitalen Technologien durchdrungen − neue Geschäftsmodelle kommen auf oder bestehende Unternehmen werden transformiert. Entwicklungsprozesse, die vor allem in Städten sichtbar werden: Besonders markant wirkt der Wandel im Einzelhandel etwa auf die Innenstädte – viele stationäre Läden mussten oder müssen aufgeben. Der Buchhandel ist hier doppelt betroffen, durch die Digitalisierung des Buches und des Handels. In diesem Kontext wird das Internet bzw. der Onlinehandel gern als stadtzerstörende Ursache ausgemacht. Ein weiterer Aspekt ist die Abwanderung aus strukturschwachen Regionen, während wirtschaftlich starke und attraktive Städte, vor allem Großstädte, weiter wachsen. Vor allem in Mittelstädten sind Shoppingcenter ein Problem aufgrund ihrer Dominanz an Verkaufsflächen. Aber Städte zeichnen sich schon immer durch ihre große Anpassungsfähigkeit aus. Der digital-ökonomische Wandel stellt einige Strukturen der Stadt infrage, gleichzeitig ist er aber der Motor für viele neue urbane Struktur- und Geschäftsmodelle.

Manche Einzelhandelsentwickler empfehlen beispielsweise, die Innenstadt als eine Art "Shoppingcenter" zu sehen und zu managen − Attraktionen, Unterhaltungsangebote oder aufwendige Gestaltung zu fördern. Nicht unbedingt meine Sicht. Das kann an vielen Standorten funktionieren, ist aber meist keine Lösung für mittlere, kleinere und strukturschwache Städte. Viele Städte haben vergessen, dass die Innenstadt nicht nur der Ort des Einkaufens und ergänzender Unterhaltungsangebote ist – die Vielfalt muss sich wieder hinsichtlich verschiedener Funktionen zeigen: Innenstadt als Ort für Wohnen, Arbeiten, Freizeit und Einkaufen, als Ort aktiver Stadtgesellschaft und Nachbarschaft. Eine neue Vielfalt und verbesserte Lebensbedingungen (mehr Grün, Radwege etc.) können den integrierten, stationären Einzelhandel stärken und die Stadt beleben.

Der prognostizierte Verlust von Einzelhändlern ist vor allem dort folgenreich, wo kleine Städte ihre Grundversorgungsstruktur verlieren. Dort kann der Verlust von nur wenigen Geschäften das gesamte Einzelhandelsangebot gefährden und letztlich das Aus für die Innenstadt bedeuten. Hier ist Handlungsbedarf notwendig. Andernorts gibt es sicherlich auch Überkapazitäten beim Einzelhandel und veraltete Strukturen. Deshalb ist teilweise auch eine Marktbereinigung nicht nur negativ zu sehen. Für beide Fälle gilt: Die Lücken können evtl. durch die bereits genannten anderen Funktionen besetzt werden. Zu beachten ist auch, dass vermehrt Onlinehändler wieder stationäre Geschäfte eröffnen, gerade um eine Kundenbindung und Kundenservice zu ermöglichen (z.B. Cyberport, Zalando, MyMüsli, etc.) − es bilden sich also durchaus auch neue Einzelhandelsformen, die Online und stationären Handel verbinden.

Innerhalb dieser Entwicklung nimmt der stationäre Buchhandel wichtige Positionen ein: Zum einen ist er noch immer Bestandteil einer funktionierenden Einkaufslandschaft mit einem vollständigen Warenangebot. Aber die weitere Stärke des Buchhandels ist, dass er eben nicht nur Handel ist, sondern auch ein Ort für Bildung, Kultur ist und zum gesellschaftlichen Austausch beiträgt. Mit diesen Qualitäten kann das Sortiment gerade auf lokaler Ebene punkten – etwa als Stadtteil- oder Kiezbuchhandlung. Der nachbarschaftliche Treffpunkt Buchhandlung kann so zu einem wichtigen Teil der sozialen Infrastruktur der Städte werden. Internet und Digitalisierung können diese Funktion sogar unterstützen und den Buchladen als urbanen Erlebnisraum sichtbar machen. Buchhändler könnten urbane Themen oder Trends (z.B. Urban Gardening) durch ihr Angebot aktiv vermitteln.

Wünschenswert ist daher auch, dass auf kommunaler Seite der Buchhandel nicht nur als Händler unter vielen wahrgenommen wird, sondern sein Beitrag für die Stadtgesellschaft und den öffentlichen Stadtraum erkannt wird. Meiner Überzeugung nach wird der Buchhandel in der Innenstadt der Zukunft eine neue Rolle einnehmen, als vernetzter Teil einer lebendigen und vielschichtigen Mischung aus Arbeiten, Wohnen, Freizeit und Einkaufen.

Dr. Hans-Hermann Albers ist selbstständiger Architekt, Urbanist und Unternehmensberater aus Berlin. Arbeits- und Forschungsschwerpunkte: (digitale) Stadtökonomie, nachhaltige Stadtentwicklung, Tourismus, urbane Großereignisse. Blogger bei www.urbanophil.net