Die Sonntagsfrage

Buch kaputt. In welchen Fällen haften die Eltern der Kinder?

9. Juni 2016
von Börsenblatt
Eltern stöbern in den Regalen oder entspannen beim Capuccino, währenddessen zerpflückt der Nachwuchs mit heiligem Ernst die teuerste Sonderausgabe, die mit den kleinen Fingern gerade noch aus dem Regal zu ziehen war. Wer zahlt nun? Rechtsanwältin Birgit Menche gibt juristischen und praktischen Rat. 

Das kommt darauf an!

Wie so oft sind auch in diesem Fall die  Umstände des Einzelfalls entscheidend: Wie alt ist das kleine Mädchen, das Bücher aus dem Regal reißt und beschädigt, wie steht es um den Jungen, der Schutzumschläge von Büchern mit einem spitzen Gegenstand malträtiert, während die Mutter in der Leseecke Kaffee trinkt?  

Juristisch gesehen ist zwischen der Haftung des Kindes und der Einstandspflicht  der Eltern zu unterscheiden.

  • Kinder, die das siebte Lebensjahr noch nicht vollendet haben, sind für Schäden, die sie anderen zufügen, nicht verantwortlich (§ 828 Abs. 1 BGB). Diese Regelung korrespondiert mit § 105 BGB, wonach Kinder bis zur Vollendung des 7. Lebensjahres keine wirksamen Verträge schließen können. z.B. über Bücher oder Telespiele.
  • Dagegen können Kinder und Jugendliche, die das siebte Lebensjahr vollendet haben, selbst auf Schadensersatz haften - vorausgesetzt sie waren zur Tatzeit einsichtsfähig und handelten vorsätzlich oder fahrlässig (§ 828 Abs. 3 BGB).
  • Entscheidend ist, ob der Minderjährige das Gefährliche seines Tuns nach seiner individuellen Verstandsentwicklung erkennen konnte; für die Frage des Verschuldens ist maßgeblich, ob Kinder und Jugendliche der gleichen Altersstufe den Schaden vorhersehen  und nach dieser Erkenntnis  handeln konnten. So wird man von einem normal entwickelten Acht-, oder Neunjährigen die Einsicht erwarten können, dass Bücher weder durch Spielzeugschwerter noch durch sonstige Gegenstände bearbeitet werden dürfen.

Keine Rolle spielt, dass der Minderjährige den Schaden ggf. nicht gleich ersetzen kann: Existiert ein Urteil, wonach das Kind den Schaden begleichen muss, kann es dafür auch Jahre später herangezogen werden, zum Beispiel, wenn es sein eigenes Geld verdient.

„Eltern haften für ihre Kinder“: Dieser beliebte Warnhinweis gibt nur die Hälfte der Wahrheit wieder.

Davon zu unterscheiden ist eine etwaige Einstandspflicht der Eltern. „Eltern haften für ihre Kinder“: Dieser beliebte Warnhinweis gibt nur die Hälfte der Wahrheit wieder. Grundsätzlich haften Eltern für Sachschäden nur, wenn  Aufsichtspflichten verletzt wurden (§ 832 BGB). Wie diese aussehen, richtet sich danach, was verständige Eltern vernünftigerweise tun müssen, um eine Schädigung Dritter zu verhindern; von Bedeutung sind neben Alter, Eigenart und Vorverhalten des Kindes die konkrete Situation: Je jünger und unvernünftiger das Kind und je risikobehafteter die Begleitumstände, desto mehr müssen Eltern ihr Kind beaufsichtigen. So darf eine Mutter unter normalen Umständen Kaffee trinken, während der acht oder neunjährige Nachwuchs nach Büchern stöbert; nicht aber, wenn der Sprössling schon zuvor als kleiner Randalierer aufgefallen ist.

Was aber, wenn das Kind das siebte Lebensjahr noch nicht vollendet hat oder einem älteren Minderjährigen die erforderliche Einsicht fehlt – und die Eltern trotzdem keine Aufsichtspflichten verletzt haben? Etwa, weil der Vater seinen vierjährigen Knirps fest an der Hand hält, als beide durch den Non- Book – Bereich einer Buchhandlung schlendern und der sonst eher bedächtige Sohn in einem unbeobachteten Moment blitzschnell einen kleinen Papierengel zerdrückt. Dann haften weder Kind noch Eltern, und es kann passieren, dass der Geschäftsinhaber, wenn kein Versicherungsschutz greift, den Schaden selber tragen muss.

Häufig indes wird der Buchhändler einen haftungsrechtlichen Ansatz finden - und Eltern, die eine Haftung kategorisch ablehnen, eines Besseren belehren können. Ob der Buchhändler im Ergebnis nicht doch ein Auge zudrückt und die Sache auf sich beruhen lässt, steht auf einem anderen Blatt.