Die Sonntagsfrage

Werden deutsche Comics wieder politischer?

10. Juni 2012
von Börsenblatt
Heute geht der Comic-Salon in Erlangen zu Ende. Der "Arabische Frühling" ist einer der Schwerpunkte der Messe. Bernd Dolle-Weinkauff, Professor am Institut für Jugendbuchforschung der Goethe-Universität Frankfurt und Comic-Experte, über das steigende Interesse an politischen Comics in Deutschland.
Erstaunlich: Ein gutes Dutzend der im Lauf der vergangenen Jahre in deutscher Sprache publizierten Graphic Novels beschäftigt sich mit den Konflikten im Nahen Osten und mit den in diesen verwickelten Völkern, Personen, politischen Gruppierungen. Von Marjane Satrapis persischen Lebensbildern (zuletzt "Huhn mit Pflaumen", 2006) über Joe Saccos "Palästina" (2010) und "Gaza" (2011), Sarah Gliddens "Israel verstehen" (2011) bis hin zu Guy de Lisles "Aufzeichnungen aus Jerusalem" (2012) und Maximilien Le Roys "Die Mauer" (2012) spannt sich der Bogen einer wirklichkeits- und konfliktbesessenen Literatur, die sich vom Einsatz des Bildes ein höheres Maß an Authentizität und Wirksamkeit verspricht.

Wann hat je eine solch vergleichsweise kleine, wenn auch gewichtige Konfliktzone in solch kurzer Zeit so viele Comic-Autoren veranlasst, sich damit auseinanderzusetzen? Wann war je ein solches Spektrum unterschiedlicher Wahrnehmungen, Meinungen und Einschätzungen in nur einem Themenbereich des politisch-zeitgeschichtlichen Comic versammelt?

Die politische Reportage in Comicform, der Reisebericht aus Gefahrenzonen als Bildgeschichte, die biographische Erzählung als "Sequential Art" hat Hochkonjunktur - was sich nicht zuletzt im Schwerpunktthema "Nordafrika und Nahost" des 15. Internationalen Comic-Salons in Erlangen niederschlägt. Es zeichnet sich wohl ab, dass neben die seit Art Spiegemans "Maus. A Survivors Tale" immer wieder aufgegriffene Thematik des Holocaust und der NS-Verbrechen zunehmend neue Stoffe und aktuelle Konfliktherde treten und in Graphic Novels verhandelt werden. Denn der Comic muss sich längst nicht mehr dafür rechtfertigen, solch heisse Eisen anzupacken - er hat seine hervorragende Eignung dazu längst in eindrucksvoller Weise unter Beweis gestellt.

Ob tatsächlich der Anteil an Comics mit politischer oder zeitgeschichtlicher Thematik insgesamt gewachsen ist, lässt sich nur schwer sagen. Ohne Zweifel werden diese aber aufmerksamer wahrgenommen - vielleicht ist es das Interesse des Publikums und der Medien, das größer geworden ist.