Die vielen Facetten des Werks von Hieronymus Bosch

Höllisch gut

9. Juni 2016
von Stefan Hauck
So nah kann man die Details selbst im Original nicht sehen: Opulente Novitäten spüren dem im August vor 500 Jahren verstorbenen Hieronymus Bosch und den Geheimnissen seiner Bilder nach. Machen Sie den Büchertisch zur Ausstellung!

Vielleicht wäre er heute ein begeisterter ­Fantasyleser gewesen: Wer je Bilder von ­Hieronymus Bosch gesehen hat, wird die unzähligen Fabelwesen, Actionszenen und Höllenqualen so schnell nicht vergessen. Der Popstar unter den mittelalterlichen Meis­tern hat im Frühjahr 421 000 Kunstbegeisterte in eine Ausstellung in seiner Heimatstadt 's-Hertogenbosch gelockt; die meisten Gemälde sind nach Madrid weitergereist, wo vergangene Woche im Prado eine noch größere Schau eröffnet worden ist: 75 Prozent aller Bosch-Werke sind dort zu sehen.

So nah allerdings kann man im Museum gar nicht an die kleinteiligen und von lauter Miniaturfiguren bevölkerten Bilder herangehen, ohne dass die Alarmanlage losgeht, aber opulente Kunstbücher in hervorragender Qualität bringen selbst kleinste Details vor das Auge des Betrachters. Vor allem werden sie höchst sachkundig erläutert. Wer den ganzen Bosch will, braucht den von Matthijs Ilsink und Jos Koldeweij herausgegebenen Catalogue Raisonée: "Hieronymus Bosch. Maler und Zeichner" (Belser, 594 S., 99 Euro) wird zum Standardwerk werden. Hier hat ein Forschungsprojekt zehn Jahre die Werke mit modernsten Techniken unter die Lupe genommen, Archivrecherche betrieben und Zusammenhänge in seinem Œuvre erschlossen. Wenn auf einer Seite 20 unterschiedliche Ohren zu sehen sind, ist das ebenso faszinierend wie erhellend für die Malweise des Niederländers; Materialien und Techniken des Rechtshänders (auch das weiß man nun), die Kompositionen, Bildträger, Farbschichten sind für Laien luzide und nachvollziehbar dargestellt. Nutzwertig sind aber vor allem die auch im Layout klug gesetzten, ­erläuternden Texte zu den einzelnen Gemälden und Zeichnungen: Man sieht nur, was man weiß.

Als kleinformatige Lightversion haben Ilsink und Koldeweij "Hieronymus Bosch. Visionen eines Genies" (Belser, 192 S., 24,99 Euro) destilliert, in dem lobenswerterweise das zeichnerische Werk nicht zu kurz kommt. Es zeigt sich jedoch, dass die so wichtigen Details des Malers einfach der Ausschnittvergrößerungen bedürfen.

Diese Lust am Blättern, Schauen und Entdecken von Figuren, die man vor dem Original stehend vermutlich nie wahrgenommen hätte, hat der Betrachter wieder in "Hieronymus Bosch. Das vollständige Werk" (Taschen, 300 S., 29,99 Euro). Angesichts des Klischees von Bosch als Maler der Höllenfratzen staunt der Betrachter des "Gartens der Lüste", wie liebevoll, scheu und behutsam sich hier die Geschlechter begegnen. Kompakt berichtet Kunsthistoriker Stefan Fischer in dem großformatigen Band über Boschs sozialen und künstlerischen Aufstieg und stellt die Werke in ihren Zusammenhang.

Eingeleitet mit einer Beschreibung der Herkunft und der politischen Situation um 1500 geht Fischer auch "Im Irrgarten der Bilder. Die Welt des Hieronymus Bosch" (Reclam, 240 S., 34,95 Euro) detailliert auf die Werke ein. Anhand der Beschreibungen der Gemälde und Skizzen wird auch für Laien verständlich erklärt, welche Bedeutung der Malerei auf der Schwelle vom Mittel­alter zur Renaissance zukam, und somit werden ordnende Erklärungen in die bizarren Werke gebracht, die bis heute nichts von ihrer geheimnisvollen Faszination verloren haben.

Um auf die Frage der Inspira­tionsquellen zurückzukommen: Den heutigen Lesern doch sehr fremden mittelalterlichen Alltag bringt Marcel Ruijters in "Hieronymus Bosch" (Avant, 160 S., 24,95 Euro) in allen Facetten nahe – Boschs Bettler, Mönche, Ratsherren, Strauchdiebe finden sich in der spannenden Graphic Novel als handelnde Figuren. Präzise zeichnet Ruijters das Leben des Niederländers nach, für den der verheerende Brand seiner Heimatstadt prägend war. 

Die Figuren finden sich auch in dem Band "Hieronymus. Ein Abenteuer in der Welt des Hieronymus Bosch" (Moritz, 48 S., 14,95 Euro, ab 8), in dem Thé Tjong-Khing ganz ohne Worte eine aufregende Jagd nach zwei Gegenständen erzählt. Nach dem Sprung von einer Klippe taucht ein Junge in die Bosch'sche Welt bizarrer Fabelwesen ein, von denen einige seinen Ball und Rucksack mopsen. Bei der Jagd danach helfen ihm wiederum andere. 

Die damalige Kultur und Lebenswirklichkeit verknüpft auch der Stuttgarter Kunsthistoriker Nils Büttner in dem Taschenbuch "Hieronymus Bosch" (C. H. Beck, 128 S., 8,95 Euro) und führt so in die Welt der mittelalterlichen Symbolik und allegorischen Lesarten ein – ein Extrakt für die Jackentasche.

Sehr persönlich nähert sich Cees Nooteboom an sieben Bilder Boschs an: Der Prado hatte den niederländischen Schriftsteller darum gebeten, und Nooteboom, der als Student bereits sehr vertraut mit Boschs Werk war, mischt in dem Lese- und Bilderbuch "Reisen zu Hieronymus Bosch. Eine düstere Vorahnung" (Schirmer Mosel, 80 S., 29,80 Eu­ro) kunsthistorische Exegese und eigene Reflexionen.

Im Bucerius Kunstforum in Hamburg wurde am Samstag die Ausstellung "Verkehrte Welt. Das Jahrhundert von Hieronymus Bosch" eröffnet; zu sehen sind Kupferstiche und Gemälde späterer Künstler, die Boschs Bildsprache fortführten und verbreiteten. Hirmer veröffentlicht dazu in Kürze den Band "Verkehrte Welt" (240 S., 39,90 Euro), der die Reichweite Jeroen van Akens (aus Aachen), wie der Maler mit bürgerlichem Namen hieß, deutlich macht.