Diskussion zum Digitalen Binnenmarkt in Brüssel

"Die Lage ist lebensgefährlich. Punkt!"

13. Mai 2015
von Christina Schulte
Gleiche Regeln für alle in einem digitalen Buchmarkt, die konkrete Ausgestaltung der Strategie für den Digitalen Binnenmarkt und die Forderungen an die europäische Politik − darüber wurde am Dienstagabend lebhaft in der Hessischen Landesvertretung in Brüssel diskutiert. Mit dabei: EU-Kommissar Günther Oettinger. Eingeladen hatten der Börsenverein, die Europäische und Internationale Buchhändlervereinigung EIBF sowie das Land Hessen.

"Die Luft für gedruckte Medien, für Bücher im digitalen Zeitalter wird dünn", meint Oettinger, "die Digitalisierung ist bitter-süß", findet die Schriftstellerin Nina George, "wir brauchen eine wirkungsvolle Marktkontrolle", fordert Alexander Skipis, Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins. Viele Facetten rund um die Digitalisierung des Buchmarkts wurden in Brüssel aufgezeigt, Standpunkte vermittelt, Lösungsmöglichkeiten ausgelotet.

Die Digitalisierung des Buchmarkts und die Rolle, die der Buchhandel dabei spielen kann, interessierte die Brüsseler Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft offenbar sehr. Rund 200 Gäste aus EU-Kommission, Verbänden und Vereinigungen waren in die Hessische Landesvertretung gekommen. Geladen hatten der Börsenverein, die Europäische und Internationale Buchhändlervereinigung EIBF sowie das Land Hessen. Auf der Agenda stand das Thema "Den digitalen Binnenmarkt gestalten – Kulturelle Vielfalt stärken. Was kann der europäische Buchhandel beitragen?"

"Wir arbeiten an der Europäisierung der digitalen Politik", betonte Günther Oettinger, EU-Kommissar für Digitale Wirtschaft und Gesellschaft, mit Blick auf die Strategie für den Digitalen Binnenmarkt, die es nun mit Leben zu füllen gelte. Die Luft für viele Medien, Zeitungen etwa, aber auch für Bücher, würde dünn, da brauche es eine "kluge Ordnungspolitik", sagte der Kommissar. "Die Lage ist lebensgefährlich. Punkt!" Eine gemeinsame Strategie der 28 Mitgliedstaaten sei etwa beim Urheberrecht notwendig. "Auf der einen Seite haben wir eine lebendige europäische Kreativwirtschaft, auf der anderen Seite steht die Netzgemeinde, die am liebsten alles umsonst haben möchte."

Die Wertschöpfungskette müsse nun so stabilisiert werden, dass es eine faire Balance gebe sowie Regeln, die sich nicht umgehen ließen. Dazu zählt Oettinger etwa auch, dass wissenschaftliche Bücher einen Preis haben, der von allen gezahlt wird − und verwies dabei auf Bibliotheken, die Forschung sowie die Industrie, die diese Werke am liebsten kostenlos nutzen würden. "Ich glaube, der Börsenverein hat gute Argumente an der Hand, das zu vermitteln." Im November werde die europäische Urheberrechtsregelung vorgestellt, dann werde die Branche die Möglichkeit erhalten, sich bei der Ausgestaltung einzubringen.

Europa müsse aufpassen, nicht noch weiter an den Rand der digitalen Wertschöpfungskette gedrängt zu werden und zu einem reinen Datenlieferanten zu verkommen. Die fünf großen Konzerne Google, Apple, Facebook, Microsoft und Amazon wollten ihre digitale Überlegenheit weiter ausbauen und nach ihren eigenen Regeln spielen. "Wer die Daten hat, hat die Macht und die digitale Souveränität", warnte Oettinger.

In seiner Begrüßungsrede hatte Börsenvereinsvorsteher Heinrich Riethmüller zuvor ebenfalls betont, "dass das Internet Monopole schafft". Die "Herrscherfirmen" müssten als Gefahr erkannt werden. "Das digitale Zeitalter stellt neue Aufgaben an die Politik". Entsprechend erwarte sich die Branche viel von der Strategie für den digitalen Binnenmarkt. "Einige Kapitel aus der Agenda klingen vielversprechend, andere hinterlassen eher Sorgenfalten, die noch geglättet werden müssen", meinte Riethmüller. Lösungen müssten vor allem beim Urheberrecht, der Mehrwertsteuer und der Interoperabilität gefunden werden.

Buchhändler und Verleger könnten jedoch mit Selbstbewusstsein sagen, dass sie die Herausforderungen der Digitalisierung schon vor Jahren angenommen habe und den Wandel als Chance begreifen. "Der neue Buchhandel ist stationär und im Internet, analog und digital. Für uns ist Multichannel kein Modewort, sondern längst gelebt", so der Tübinger Buchhändler. Amazon habe die Branche erschüttert, hohe Standards gesetzt und den Buchhandel zu besseren Leistungen angetrieben.

Die Schriftstellerin und Journalistin Nina George bezeichnete die Digitalisierung aus Sicht der Autoren als "bitter-süß". Süß, weil sie neue Chance biete, etwa mit dem Selfpublishing oder weil neue Formate ausprobiert werden könnten. Bitter, weil Autoren durch die Digitalisierung viel Geld auch nicht verdienen würden. "Alles, was im Netz landet, wird weniger wert." Flatrates, Piraterie, die hohen Rabattforderungen von Amazon – das seien Geschäftsfelder, bei denen andere als die Autoren das Geld verdienen.

Bildlich gesprochen sieht sie den Wettbewerb als eine Wasserleitung, die mit Inhalten gespeist wird. "Lasst hier die Quelle, die Inhalte, die wir Urheber liefern nicht versiegen", so ihr Appell. "Seid nett zu uns Urhebern, denn von uns geht alles aus. Die Bücher, die ich schreibe, sind das Rückgrat der Branche."

Alexander Skipis, Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins, sieht in der Digitalisierung in erster Linie eine Chance für die deutsche Buchbranche. "Wir entwickeln unsere Produkte weiter, reichern sie an und vergrößern Genuss und Nutzen für die Leser." Diese Inhalte an die Menschen zu bringen, sei auch für die Buchhandlungen eine Herausforderung.

Soweit die süße Seite, blieb Skipis im Bild von Nina George. Die bittere sei die, dass das Internet zu Konzentrationsprozessen führe, "die dem filigranen Buchhandel in Deutschland diametral entgegenstehen. Dem Kleinteiligen steht die Konzentration gegenüber". Auch die Steuerdiskriminierung der E-Books schmecke bitter, man werde hier auf schnelle Veränderung drängen. Für ihn ist es wichtig, dass die Strategie für den Digitalen Binnenmarkt, die derzeit noch auf einem sehr hohen Abstraktionsniveau sei, in die jeder etwas hineininterpretieren könne, konkreter werde. "Hierzu erwarten wir Informationen."

Als "sehr gesund" bezeichnete Fabian Paagman, Co-Präsident der Europäischen und Internationalen Buchhändlervereinigung, den Buchmarkt in Europa. Man habe kein Problem mit dem Wettbewerb, nur müssten dieselben Regeln für alle gelten, sonst komme es zu Wettbewerbsverzerrungen. Wichtig ist für ihn die Interoperabilität, damit die Interessen der Leser gewahrt sind und jeder alle Bücher auf allen Lesegeräten nutzen kann.

Virgenie Rozière, Mitglied des Europäischen Parlaments, lobte die große Kreativität, die es in Europa gibt. Um sie zu schützen, "müssen wir als Markt, als Gesellschaft neue Modelle erfinden gegen die Internet-Giganten". Das unterstrich auch Alexander Skipis. Im Internetzeitalter müsse das Kartellrecht neu definiert werden. "Wir brauchen eine wirkungsvolle Marktmachtkontrolle, denn Marktkonzentration ist Gift für die Qualität."

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