Diskussion zur Zukunft des Sortiments

Buchhandlung als sozialer Ort

15. September 2011
von Börsenblatt
Abwanderung der Kunden ins Internet und Verlagerung aufs E-Book-Lesen, eine Renaissance der Buchkunst und Finanzierung über Kleinkredite – gestern Abend wurde in der Hannoveraner Buchhandlung Litera über die rasanten Veränderungen im Buchhandel diskutiert.

Werden die Buchhandlungen schließen? Hildegard George ist skeptisch, ob ihre kleine, aber feine Stadtteilbuchhandlung Litera in Hannover in ein paar Jahren noch gebraucht wird. „Ich hatte vor, die Amazon-Kartons zu zählen, die sich kurz vor der Altpapier-Abholung in unserer Straße finden“, sagte sie gestern ihren mehr als 60 Gästen, „aber das hätte mich zu sehr deprimiert.“ Auslöser der Diskussionsveranstaltung, zu der Hildegard George in ihre Buchhandlung geladen hatte, war die Sorge um die wachsende Zahl der Buchkäufer, die ins Internet abwandern. Das Ziel der Buchhändlerin: die rasanten Veränderungen im Buchhandel, die in den 55 Thesen und auf der Seckbacher Zukunftskonferenz branchenintern zur Sprache kamen, auch ihren Kunden bewusst zu machen. Und das auch für jedermann sichtbar: George hat ihre großen Schaufensterfronten radikal von Büchern befreit und stattdessen Plakate mit dem Motto der Veranstaltung, „Werden die Buchhandlungen schließen?“, aufgehängt.

Aufs Podium hatte sie eine kluge Auswahl von Experten gebeten: Bert te Wildt, Psychotherapeut mit Schwerpunkt Medienabhängigkeit, Alexander Rudnick, Politologe und Marktforscher im Bereich Stadtentwicklung, und den Germanisten Rainer Marwedel. Nicht der Internet-Vertrieb, sondern die E-Books werden, so te Wildt, den stationären Buchhandel empfindlich treffen. „Das gedruckte Buch hat seinen Zenit als Leitmedium schon lange überschritten“, stellte er ernüchternd fest. Allerdings komme es in solchen Stadien, wie das zuvor bei den Medien Theater und Oper zu beobachten gewesen sei, zu Veredelungseffekten: „Buchdruck und Buchkunst werden eine Renaissance erleben“, lautete seine These. Ein wenig mehr Hoffnung für das stationäre Sortiment machte Alexander Rudnick: „Für die Attraktivität eines Stadtteils spielen Buchhandlungen eine große Rolle“, sagte er, schränkte aber sogleich ein: „wenn dort Leser wohnen.“

Aber was ist eine Buchhandlung ihren Kunden, Kulturförderen, Stadtplanern wert? Wer wäre bereit, für ihren Erhalt zu zahlen? Einen Vorschlag dafür zitierte Rainer Marwedel aus einem Essay der New Yorker Buchhändlerin Madge Jenison aus dem Jahr 1923: „Vielleicht sind Buchhandlungen ja großartige gemeinnützige Dienstleistungszentren und erhalten demnächst staatliche Zuschüsse.“ Neben der Öffentlichen Hand  könnten auch andere Geldgeber einspringen. So würden auch Immobilienfirmen möglicherweise Finanzmittel bereitstellen, die der Aufwertung ihrer Quartiere dienen, sagte Rudnick. Ein anderer Weg sei die Finanzierung über Kleinkredite der Buchhandelskunden, so ein Vorschlag aus dem Publikum, das engagiert und lange mitdiskutierte. So schnell müssen Stadtteilbuchhandlungen also nicht aufgeben, zeigte die Veranstaltung, doch könnte sich ihr Status drastisch ändern: vom Wirtschaftsunternehmen zum schützenswerten, subventionierten sozialen Ort.