Eröffnung der Leipziger Buchmesse im Gewandhaus

Grundpfeiler der Demokratie

17. März 2016
von Börsenblatt
Vertreter aus Politik, Buchbranche und Bürgergesellschaft waren gekommen, um gestern Abend im Leipziger Gewandhaus die Eröffnung der Leipziger Buchmesse mitzuerleben. Der Abend war zugleich eine Manifestation der Freiheit und Vielfalt, für die ganz wesentlich auch Verlage und Buchhandel stehen.   

Heinrich August Winkler, dem der Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung verliehen wurde, hielt eine "europäische" Rede, die zugleich Denkanstöße für den politischen Umgang mit der Flüchtlingsfrage gab. Zunächst aber sorgte das Gewandhausorchester unter der musikalischen Leitung von Anthony Bramall für einen musikalischen Auftakt: mit der Ouvertüre zu Mozarts "Zauberflöte", deren Protagonisten bekanntlich eine Reihe von Prüfungen durchlaufen müssen, bevor am Ende die guten Kräfte siegen.

Prüfungen sind in diesen Tagen viele Politiker ausgesetzt, auch Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung und Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich, die in ihren Begrüßungsreden auf die aktuellen Verwerfungen, die die Flüchtlingsfrage ausgelöst hat, eingingen. Jungs Rede gipfelte in dem Satz: "Wir haben keine Flüchtlingskrise, sondern Fremdenfeindlichkeit und Hass." Nun sei Menschlichkeit gefragt.

Ministerpräsident Tillich appellierte an die zivile Mehrheitsgesellschaft, die vernehmlicher werden müsse, wenn sie nicht von einer hasserfüllten Minderheit überschrieen werden wolle und mahnte: "Die Demokratie ist nicht die Einführung eines dauerhaften Betriebssystems, hinter das man einen Haken machen kann." Die Welle des Hasses, die besonders durch die sozialen Netzwerke woge, zeige, wie schnell "die Axt an die Wurzel der Demokratie gelegt" werden kann. 

Ein Plädoyer für die Meinungsfreiheit hielt Heinrich Riethmüller, der Vorsteher des Börsenvereins, in seiner Rede. Man erlebe in diesen Tagen ein "konzeptloses Europa", dessen "Werte von innen bedroht seien". Umso wichtiger sei es, für die Werte, die nicht nur Europa miteinander verbinden, einzutreten. Eine gut funktionierende Verlags- und Buchhandelsstruktur sei Grundlage für die Meinungsbildung und somit einer der Garanten für Meinungsfreiheit und -vielfalt. Die Verlagslandschaft sei ein "Grundpfeiler der Demokratie", den es gegen Angriffe von innen und außen zu schützen gelte. Zu den Gefährdungsfaktoren gehörten auch gesetzgeberische Initiativen und gerichtliche Entscheidungen, die die Buchkultur unter Druck setzten. Riethmüller forderte ein starkes Urheberrecht und verlässliche Vergütungsregeln, die dem Miteinander von Autoren und Verlagen gerecht werden.

Ein starkes Zeichen für die Meinungsfreiheit wurde gesetzt, als Riethmüller alle Zuhörer dazu aufforderte, vorbereitete Plakate mit dem Text "Für das Wort und die Freiheit" hochzuhalten. Ein medienwirksames Bild, das an die Botschaft erinnerte, wie sie im vergangenen Jahr etwa mit "Je suis Charlie" ausgesendet wurde. Die Rede von Heinrich Riethmüller zur Eröffnung finden Sie hier.

Der Publizist und Historiker Volker Ullrich, zuletzt durch den ersten Teil einer umfangreichen Hitler-Biographie hervorgetreten, würdigte den Preisträger des Abends: den Historiker Heinrich August Winkler, der für sein Opus magnum "Die Geschichte des Westens" mit dem Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung ausgezeichnet wurde. Ullrich pries Winklers Kunst, "präzise Analyse und anschauliche Erzählung miteinander zu verbinden". Der Historiker schreibe eine "elegante, menschenfreundliche Prosa". Winkler leiste zugleich einen unersetzlichen Beitrag zur Steitkultur, er sei ein "politischer Professor im liberaldemokratischen Sinne der 1848er-Bewegung".  

In seiner Dankesrede ging Heinrich August Winkler zunächst auf Leipzig ein, die Stadt, die in der friedlichen Revolution von 1989 eine zentrale Rolle gespielt hatte. Es sei eine der europäischsten Revolutionen seit 1848 gewesen. Dann nahm Winkler zur gegenwärtigen Flüchtlingsfrage Stellung, wobei er das Wort „Krise“ bewusst vermied: „Die westlichen Demokratien können die Asyl- und Flüchtlingsfrage nicht auf ihrem Territorium lösen.“ Die deutsche Forderung nach einer europäischen Lösung sei begründet, dürfe aber nicht anmaßend vorgetragen werden. Winkler formulierte die Frage, ob die junge Bundesrepublik 1949 mit der Einführung des individuellen Grundrechts auf Asyl nicht mehr versprochen habe, als sie halten kann. Ob es nicht ehrlicher sei, wenn die Bundesrepublik Verfolgten „nach Maßgabe ihrer Aufnahme- und Integrationsfähigkeit Asylrecht“ gewähre? Deutschland solle Flüchlingen auch dann nach besten Kräften helfen, wenn es damit in der Europäischen Union in der Minderheit bleibt. Doch eine nachhaltige Asylpolitik könne nur gelingen, wenn man die „Grenzen der Aufnahme- und Integrationsfähigkeit“ sowie den „politischen Rückhalt in der Bevölkerung“ beachte. Winkler erinnerte in diesem Zusammenhang an Max Webers Unterscheidung von Verantwortungs- und Gesinnungsethik. Wer Verantwortung übernehme, habe auch „für die (voraussehbaren) Folgen seines Handelns aufzukommen“.

Wer wollte, konnte aus Winklers Äußerungen auch einen Kommentar zu den aktuellen Landtagswahlen heraushören – oder sie so auffassen, dass sie in Richtung Kanzleramt gesprochen wurden. Der „politische Professor“ vermied es aber, konkrete Handlungsempfehlungen zu geben. Es sollten Denkanstöße bleiben, Denkanstöße jedoch, die jeden Besucher der Messeeröffnung unmittelbar in seinem Leben und Alltag berühren. Das unterschied diesen Abend von vielen zuvor.

Mit den Klängen von Carl Maria von Webers Ouvertüre zum „Freischütz“, in dem es wie in der "Zauberflöte" um die Überwindung böser Mächte geht, schloss das Gewandhausorchester den Festakt. Angeregte Gespräche auf allen Etagen des Konzerthauses folgten.