Französische Literatur

Gangster mit Herz, Bräute mit Köpfchen

20. Juli 2015
von Börsenblatt
Was ist das Typische am französischen Roman – und wie kommt das bei deutschen Lesern an? dtv-Lektor Günther Opitz und Blessing-Lektor Edgar Bracht werfen im Gespräch einen Blick auf Erzähltechniken und Buchmärkte.
Schreiben die Franzosen anders über Sex?

Opitz: Ja, weil sie auch anders über Liebe und Pornographie schreiben.

Bracht: Sie schreiben philosophischer, weniger naturalistisch als zum Beispiel deutschsprachige Autoren; und in den Dialogen spürt man, dass Franzosen häufiger und lieber über Sex reden als in anderen Ländern üblich.

 

Gibt es denn im Liebesroman bei den französischen Autoren weniger happy endings?

Bracht: Die Franzosen bevorzugen eindeutig das offene Ende: Alles ist möglich.

Opitz: Ich würde sagen, es gibt mehr happy beginnings.

 

Ist im französischen Krimi der Schurke sympathischer?

Opitz: Natürlich – er ist und bleibt Franzose.

Und kommt der am Schluss besser davon?

Opitz: Nein, die Welt ist auch in Frankreich ungerecht ...

 

Was ist das Typische am französischen Roman erzähltechnisch - und wie kommt es in Deutschland an?

Bracht: Einerseits die Lust am Spekulativen, das Verspielte; andrerseits in den letzten Jahren deutlich zunehmend der Hang, das Leben zeitgeschichtlicher Personen romanhaft nachzuerzählen, von Stefan Zweig über Alan Turing, Einstein, Edgar Hoover bis zur Monroe. In Einzelfällen kommt es hierzulande sehr gut an, aber grundsätzlich scheint es deutschen Lesern durchaus fremd zu sein.

Opitz: Dass man sich sehr bewusst für eine Erzähltechnik entscheidet. Oft wird leider nicht beachtet, wie gut französische Autoren erzählen.

 

Nehmen die französischen Autoren auf dem deutschen Buchmarkt zu? Stehen sie in Konkurrenz zu amerikanischen Autoren?

Opitz: Nein, aber sie waren schon immer präsenter, als man gemeinhin denkt. Sie sind keine Konkurrenz füreinander,  da sie unterschiedliche Lesebedürfnisse ansprechen.

Bracht: Noch vor zwei Jahren haben französische Lizenzgeber über starke Rückläufe auf dem deutschen Markt geklagt, und gegenwärtig legen sie wieder leicht zu. Ihre unmittelbare Konkurrenz sind die anderen südeuropäischen Literaturen, zum Beispiel die italienische.

 

Welcher französische Roman hat Ihnen zuletzt besonders gefallen?

Bracht : Valentine Gobys « Kinderzimmer ». Die Autorin hat für ein mehr als schwieriges Thema – Schwangere im KZ Ravensbrück – eine ganz eigene, gleichermaßen schockierende wie berührende Sprache gefunden. Oder Pierre Lemaitres «Au revoir Là-Haut». Das ist ein Epos mit langem Spannungsbogen und rüttelt mutig an den in Frankreich immer noch wirksamen Mythen über den „La Grande Guerre“ genannten Ersten Weltkrieg.

Opitz: Mit hat jener Franzose gefallen, der über einen Iren schreibt: Sorj Chalandon und „Rückkehr nach Killybegs“.Er zeichnet in knappen, präzisen Sätzen eine ungeheuerliche Lebensgeschichte nach – die eines ranghohen IRA-Kämpfers, der zum Verräter wird.

 

Günther Opitz ist Lektor für deutsche und französische Literatur im dtv. Im dtv sind unter anderem Erstausgaben von Muriel Barbery, Philippe Besson und Sorj Chalandon erschienen. Sorj Chalandon ist mit seinem neuen Roman Le quatrième mur für den diesjährigen Prix Goncourt nominiert.

Edgar Bracht ist Lektor im Verlag Blessing und hat Laurent Seksik seit 2010 unter Vertrag. Auch Seksik ist dieses Jahr in der Vorauswahl des Goncourt, mit seinem Roman Le cas Edouard Einstein.

 

Französische Belletristik im Herbst, eine kleine Auswahl:

Patrick Deville : Pest & Cholera. Bilger, 240 Seiten, 24 Euro

Sorj Chalandon : Rückkehr nach Killybegs. dtv, 320 Seiten, 16,90 Euro

Jérôme Ferrari : Balco Atlantico. Secession, 174 Seiten, 19,95 Euro

Eric-Emmanuel Schmitt : Die Frau im Spiegel. Fischer, 432 Seiten, 19,99 Euro

Guillaume Musso : Ein Engel im Winter. Piper, 416 Seiten, 9,99 Euro