Friedenspreis des Deutschen Buchhandels

"Dieses Imperium muss auseinanderbrechen"

26. Februar 2015
von Börsenblatt
Wie sieht die Zukunft Chinas aus? Auf diese Frage gab Friedenspreisträger Liao Yiwu heute in der Paulskirche eine Antwort ohne Interpretationsspielraum. Eindrücke von einer bewegenden Preisverleihung, die deutlich machte, was den chinesischen Dichter antreibt – mit Worten und einem Lied.
"Dieses Imperium muss auseinanderbrechen": Dieser Satz war das wiederkehrende Motiv in Liao Yiwus Dankesrede, die er mit einem sehr anrührenden Lied an "Die Mütter von Tian`anmen" schloss. Zwei Klangschalen und Gesang - ungewohnte Töne in der Paulskirche, die zu Ehren Liao Yiwus diesmal nicht mit normalen Blumenbuketts geschmückt war, sondern mit zwei Ikebana-Skulpturen, gefangen hinter Gitterdraht.
Das Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens 1989 stand im Mittelpunkt seiner Dankesrede - und ein neunjähriger Junge, Lü Peng, der damals von einer Kugel getötet wurde. "Noch viele andere starben in diesem Augenblick im Kugelhagel. Doch er war der Jünste", so Liao Yiwu. "Heute möchte ich allerdings eine andere Todesnachricht verkünden, die Nachricht vom Tode des chinesischen Großreichs. Ein Land, das kleine Kinder massakriert, muss auseinanderbrechen."
Deutliche Worte fand Liao Yiwu auch für den Westen: Weltweit sei man der Ansicht, der wirtschaftliche Aufschwung Chinas werde zwangsläufig politische Reformen nach sich ziehen und aus einer Diktatur eine Demokratie machen. "Deshalb wollen jetzt all die Staaten, die dereinst wegen des Tian`anmen-Massakers Sanktionen gegen China verhängten, die ersten sein, die den Henkern die Hand schütteln und mit ihnen Geschäfte machen. Obwohl dieselben Henker noch immer Menschen inhaftieren und umbringen, immer neue Blutflecken zu den alten hinzukommen und neue Gräueltaten die alten armselig aussehen lassen."
Unter den Zuhörern waren auch Bundespräsident Joachim Gauck und Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller, die mit Liao Yiwu befreundet ist und ihm mit einer herzlichen Umarmung gratulierte. Die Laudatio hielt Felicitas von Lovenberg, Journalistin und Literaturkritikerin der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung".
Es sei eine Poetik der Wahrhaftigkeit, zu der sich Liao Yiwu verpflichtet fühle, eine zu Literatur verdichtete "oral history Chinas", so von Lovenberg. Dass dieser Dichter noch mehr sei als ein genauer Zuhörer mit einem phänomenalen Gedächtnis beweise sein Hauptwerk "Für ein Lied und hundert Lieder" - "der gewaltige Abenteuerroman von einem, den man einsperrte, das Fürchten zu lernen. Und der, seit er das Gefängnis verließ, den Spieß umgedreht hat und mit seinen Büchern die chinesischen Behörden herausfordert."
Indem er in seinen Büchern Einzelschicksale sammle, stellte Liao Yiwu Würde wieder her, die Würde der Unzähligen, die Chinas Machthaber auf der "Müllhalde" der Geschichte unbemerkt entsorgen wollten: "Sehr verehrter Liao Yiwu, ich verneige mich vor Ihrem Mut, Ihrer Entschlossenheit, Ihrem Durchhaltevermögen".
Vorsteher Gottfried Honnefelder machte in seinem Grußwort deutlich, dass es für den Börsenverein eine besondere Freude sei, mit Liao Yiwu einen im wahrsten Sinn des Wortes "Volksschriftsteller" ehren zu können, der unerschrocken und sprachmächtig den unter Repression und Unterdrückung leidenden Menschen seines Volkes zu einer Stimme verholfen habe.
"Es verstärkt unsere Freude, dass er die Ehrung durch den Friedenspreis im Rahmen seines Aufenthaltes in Deutschland entgegennehmen kann", sagte Honnefelder. "Denn damit wird die Stimme Chinas auf eine Weise hörbar, die wir uns so gern schon bei der dem Gastland China gewidmeten Frankfurter Buchmesse 2009 gewünscht hätten."
Damals durfte Liao Yiwu der Einladung der Frankfurter Buchmesse nicht folgen. 2011 flüchtete er nach Deutschland, um einer erneuten Verhaftung zu entgehen. Er lebt heute in Berlin.
Friedenspreis für Liao Yiwu - Frankfurts Oberbürgermeister Peter Feldmann betonte in seiner Ansprache, dass er sich keine glücklichere Wahl vorstellen könne: "Lieber Preisträger, dass Ihnen der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels verliehen wird, belegt eindrucksvoll, dass Worte die Welt verändern können."