Frühjahrstreffen der Ratgeberverlage

Lieber keine Zahlen als diese?

2. Juni 2016
von Börsenblatt
Über die Schieflage in der Marktforschung wollten die Ratgeberverlage bei ihrem diesjährigen Frühjahrstreffen laut Agenda eigentlich gar nicht reden – auf den Tisch kam das Thema in Berlin trotzdem. Welche Pläne sie schmieden, auch mit Blick auf das Sortiment: ein Bericht.          

Marktforschung: "Die Daten sind nichts mehr wert"

Der Auftakt des Frühlingstreffens versprach Business as usual – doch daraus wurde nichts. GU-Verlagsleiter Christof Klocker (GU), der wie immer ein Bündel an Zahlen für den Ratgebermarkt dabei hatte, kam nicht weit. Kaum hatte er die 2015er-Bilanz vorgestellt (Klocker: „Da war die Welt der Marktforschung noch in Ordnung.“), wurde er auch schon von seinen Kollegen gebremst. Besonders Doris Giesemann, Vertriebs- und Marketingleiterin bei Dorling Kindersley, setzte sich vehement dafür ein, dem Treiben zwischen den Marktforschern Media Control und GfK Entertainment nicht mehr zuzuschauen.

"Die Daten, die sie uns liefern, sind nichts mehr wert", betonte sie – das sei für alle gefährlich, könne die Branche in eine falsche Richtung ziehen. "Immerhin nutzen Buchhändler die Zahlen, um ihre Flächen danach auszurichten."

In kleinerer Runde zeigte sich später, dass sich auch andere über den zähen Kampf um Exklusivvereinbarungen ärgern. Einige gaben auch zu, ihre Abos gekündigt zu haben – wohlwissend, dass sie der Lösung damit nur einen kleinen Schritt näher gekommen sind. In der Hoffnung, dass der Börsenverein Bewegung in die festgefahrene Situation bringen kann, einigten sich die rund 35 anwesenden IG-Mitglieder, kurzfristig noch einen Antrag für die Buchtage in Leipzig zu stellen. Konsens war: "Das Thema Marktforschung muss in Leipzig auf die Agenda."  

Stabile Nachfrage, höhere Preise

Doch noch einmal zurück ins Jahr 2015 und zu Christof Klocker – dessen Ratgeberbilanz wie erwartet gemischt ausfiel. Sie basiert auf Erhebungen der GfK; im Schnelldurchlauf:

  • Der Ratgebermarkt hat 2015 gegenüber dem Vorjahr 5 Prozent an Umsatz verloren, nach zwei starken Jahren, so Klocker. Über ein längeren Zeitraum betrachtet, relativiere sich die Lage: Verglichen mit 2011 bewegte sich das Segment ins Plus (2011/2015: plus drei Prozent). Klockers Fazit: "Der Markt erlebte eine Konsolidierung."
  • In absoluten Zahlen: 2015 wurden mit Ratgebern insgesamt 586 Mio. Euro umgesetzt – der Absatz sank auf 41 Millionen Exemplare (minus 6 %). Dafür stieg der Durchschnittspreis weiter; 2015 lag er laut GfK bei 14,20 Euro (Vorjahr 13,95 Euro). "Kunden akzeptieren höhere Preise", so Klocker – und da sei auch noch Luft nach oben.   

Digitale Vorschau: Was Verlage erleben, auf was Buchhändler achten

Zweites großes Thema gestern: das neue Vertriebswerkzeug digitale Vorschau. Bekannt ist, dass viele Verlage Edelweiss+ und VLB-TIX, die beiden maßgeblichen Systeme am Markt, intern bereits nutzen – während die Anbieter weiterhin um Marktanteile ringen. Bevor ihre Vertreter, ausgestattet mit dem neuen Instrument, jetzt zum ersten Mal ausschwärmen, suchten die Ratgeberverlage noch einmal Kontakt zueinander.

Wie seid ihr es angegangen? Wie schwierig war die Umstellung? Wie habt ihr eure Vertreter vorbereitet? – Das war klassischer Erfahrungsaustausch. Als Pioniere holten die Verlage Doris Giesemann (Dorling Kindersley) und Bettina Schultes (Kosmos) aufs Podium, mit der Bitte, über ihre Erfahrungen zu sprechen. Giesemann setzt VLB-TIX ein, Schultes Edelweiss+.

Die Diskussion zwischen beiden, moderiert von Julia Graff (Hädecke; IG-Sprecherkreis), glich streckenweise einem Tauziehen, überwogen haben dann aber doch die sachlichen Argumente – und am Ende hatte jeder Recht. Kreisverkehr.

Buchhändler scheinen solche Debatten kaum zu interessieren. Weder Christiane Schulz-Rother, die neben der Tegeler Bücherstube noch zwei weitere Buchhandlungen in Berlin betreibt, noch Marie Birkert von Dussmann in Berlin mochten viel über verlagsinterne Fragen reden – sie konzentrierten sich auf ihre eigenen. Eine Auswahl:

  • Wie die Einkäufer VLB-TIX miteinander kommunizieren können, ohne in der Hektik des Alltags etwas zu übersehen (Alert-Funktion).
  • Wann die Vertreter VLB-TIX als Instrument wie selbstverständlich einsetzen. Schulz-Rother empfahl den Ratgeberverlagen, die auf mehr Nutzer aus dem Sortiment warten: "Motivieren Sie Ihre Vertreter, mit Buchhändlern zu reden." 
  • Wann Ratgeberverlage ihre aktuellen Vorschauen ins System einbinden. Insbesondere Birkert wünschte sich, dass das alle tun - und so schnell wie möglich. Perfektionisten beruhigte sie: "Es muss ja nicht gleich alles ideal sein." 
  • Wie es sich gewährleisten lässt, Buchhändler über Aktualisierungen der Verlage im System zu informieren, ohne deshalb eine Flut von E-Mails auszulösen.
  • Welche Wege es gibt, Spitzentitel in jedem Fall und zweifelsfrei zu erkennen, so wie in einer gedruckten Vorschau. 

Mehrwertsteuer, ISBN: Sind Ausmalbücher Bücher?

Ausmalbücher haben Erfolg am Markt – sind für die Branche aber noch in anderer Hinsicht sehr speziell: Nach wie vor gibt es keine klare Regelung, wie die Titel steuerrechtlich zu behandeln sind. Schon vor Monaten hatte eine Steuerprüfung bei einem großen Händler moniert, dass Ausmalbücher für Erwachsene, aber auch Sticker-, Puzzle- und Sudoku-Bücher mit dem reduzierten Mehrwertsteuersatz von 7 Prozent belegt wurden.

Das Problem trifft insbesondere Ratgeberverlage – und lässt sich aktuell nicht lösen. Rolf Nüthen, Geschäftsführer des Verleger-Ausschusses, berichtete bei der Jahrestagung vom Status quo: Davon, dass Steuerbehörden die Frage der Mehrwertsteuer nicht einheitlich handhaben, erinnerte dabei auch noch einmal an die Empfehlungen von Steuerberatern: „Bildet Rückstellungen!“ Die Vertreter der betroffenen Verlage, etwa Mareike Kreß (Edition Michael Fischer) und Michael Zirn (Frech Verlag), nickten.

Ob Ausmalbücher Bücher sind: Dafür interessieren sich aber nicht nur die Steuerbehörden. Auch die nationale ISBN-Agentur hat in dem Punkt (ganz unabhängig von steuerlichen Folgen) ihre Regeln – und sagt Nein. Ausmalbücher seien keine monografischen Werke, heißt es, sie würden erst durch den Nutzer gestaltet, nicht vom Verlag, eine ISBN zu vergeben, widerspreche den international vereinbarten Grundsätzen. Da hilft aktuell auch nicht, dass, wie ein Verleger anmerkte, „ohne uns das Blatt weiß bleiben“ würde. 
Bücher bekommen also eine ISBN und Ausmalbücher nicht. Vorerst zumindest. Sandra Schüssel, die für die MVB an der Tagung teilnahm, versprach, die Bitte um Korrekturen mit zurück nach Frankfurt zu nehmen: Ronald Schild, Geschäftsführer der MVB, ist seit 2013 zugleich Chairman der Internationalen ISBN-Agentur.

IG Ratgeber öffnet sich für Buchhändler
Die Mitglieder der IG Ratgeber versuchen schon länger, Kontakte zu Buchhändlern aufzubauen – um ihnen zu zeigen, wie vielfältig das Segment ist, wie stabil sich die Umsätze mit Ratgebern entwickeln, und wie gefragt die Themen bei Buchkäufern sind. In Berlin besprachen sie jetzt die nächsten Schritte: 

  • Die Roadshow der Ratgeberverlage, im vergangenen Jahr durchgeführt bei den Landesverbänden und der Regionalgeschäftsstelle NRW, soll weitergehen (siehe Archiv). 
  • Zusätzlich will die IG ihre Kontakte zu Erfa-Gruppen ausweiten und auch in den Berufsschulen sichtbarer werden. Letzteres soll über Vorträge gelingen: Den Auftakt machen Wolfgang Starke (Verbraucherzentrale NRW) und Folkert Roggenkamp (Delius Klasing) in der kommenden Woche in Osnabrück.   
  • Einen Schritt weiter, wenn auch noch längst nicht am Ziel, sind die Verlage auch bei einem anderen Projekt: Sie planen ein Kompendium, das die komplette, bunte Ratgeber-Vielfalt zeigen soll – aus Imagegründen. Innerhalb der Arbeitsgruppe (AG) Sortiment entstand während der vergangenen Monate ein erstes Konzept für einen solchen Ratgeber-Reader, vorgestellt wurde es gestern von Volker Hühn (Ulmer). Fazit des Pro & Contra im Anschluss: Einige mochten die Ideen, andere waren sich unschlüssig – und wieder andere lehnten sie ab. Das Konzept soll bis zur Herbsttagung noch einmal auf den Prüfstand.
  • Zur Debatte stand gestern zudem die Frage, wie sich Buchhändler in die IG am besten einbinden lassen und welches Gewicht sie bekommen sollen. Lange wurde darüber allerdings nicht diskutiert, weil schnell Einigkeit herrschte. Das Fazit hier: Die Tore stehen weit offen. Lieber heute als morgen möchten die Verlage Sortimenter in ihren Reihen sehen – und das möglichst auch auf Sprecherkreis-Ebene. Bis zur Herbsttagung wollen sie nun auf die Suche nach Kandidaten gehen. Der Sprecherkreis – bestehend aus Julia Graff (Hädecke), Monika Schlitzer (Dorling Kindersley) und Christof Klocker (GU) – wurde zuletzt, bei der Herbsttagung 2015, in seinem Amt bestätigt.

Damit sich Inhalte nicht bloß versenden: Content Marketing für Special Interest-Verlage

Content Marketing ist ein Buzzword – manche mögen es schon nicht mehr hören. Strategisch angepackt und von A bis Z durchgeplant, kann daraus jedoch einiges werden, auch neues Geschäft: Das war der Part von Simon Geisler, dem Gast- und Impulsredner der Jahrestagung 2016.   

Geisler hat in den vergangenen Jahren den Ebner Verlag umgekrempelt. Er ist Chief Marketing Officer – und trug in dieser Funktion entscheidend dazu bei, dass ein neues Denken im Haus Einzug hielt, heute keiner mehr so arbeitet wie früher. Drei (von vielen) Lektionen:

  • “Wir müssen wegkommen von unserer Produktzentrierung und mehr über unsere Zielgruppen reden.“ Die Leute interessierten sich nun mal nicht für ein Buch oder eine Zeitschrift, sondern für ein Thema. Special Interest-Anbieter, und damit auch Ratgeberverlage, sollten sich nützlich machen – so ließe sich bei der Zielgruppe das nötige Vertrauen schaffen, und damit letztlich auch die Basis für neues Geschäft.
  • “Die weiße Zielgruppe war das Horrorgespenst in unserem Haus.“ Unter dem Stichwort „weiße Zielgruppe“ fasste Ebner alle Leser zusammen, die mit den Standardangeboten Printmagazin und Onlineauftritt nicht mehr zu erreichen waren. Mittlerweile schickt der Verlag seinen Content – portioniert - auf unzähligen Kanälen an seine Zielgruppe raus. Geisler nennt sie Touchpoints; auf diese Weise entstünden neue Dauerbeziehungen zu den Kunden. 
  • “Klassische Redakteure gibt es bei uns nicht mehr.“ Bei Ebner arbeiten heute stattdessen Transaction Editors – was schon zeigt, wo ihr Arbeitsschwerpunkt liegt: auf der Analyse dessen, für was sich die Zielgruppe gerade interessiert, wie gefragt die eigenen Inhalte in den relevanten Kanälen jeweils sind und mit der Planung.    

Gastgeber der Tagung, die vom 31. Mai bis 1. Juni stattfand, war erneut die Stiftung Warentest.