Gespräch mit dem Verleger KD Wolff

»Ich habe nicht mehr so viel Angst wie früher«

23. Juli 2015
von Börsenblatt
Der Verleger KD Wolff über Wutanfälle, die Wirkung von Beta-Blockern und den Nutzen der Psychoanalyse, über Helmut Kohl, Kafka und die Lottofee. Mehr zur Buchbranche in Krisenzeiten lesen Sie im morgigen BÖRSENBLATT unter der Überschrift Krise & Chance.
Sie wirken entspannt, gut gelaunt.
KD Wolff: Darf ich das nicht sein?

Doch, das ist wunderbar. Drückt die prekäre Finanzlage Ihres Verlags nicht auf die Stimmung?
KD Wolff: Ich habe nicht mehr so viel Angst wie früher. Vor 30 Jahren habe ich schon Angst bekommen, wenn ich nicht wusste, wie ich einen Wechsel von 5000 Mark bezahlen sollte. Jetzt nicht mehr. (lacht)

Hilft Ihnen die Erfahrung, dass es bislang irgendwie immer weiterging?
KD Wolff: Das kann ich gar nicht gut sagen. Die Betablocker machen auch Angst weg.

Welche Betablocker?
KD Wolff: Die gegen hohen Blutdruck. (lacht)

Die nehmen Sie?
KD Wolff: Ich bekomme sie von meiner Ärztin.

Ist der hohe Blutdruck auch eine Folge, früherer Krisen, der Aufregung, der Angst?
KD Wolff: Jedenfalls hat mein Arzt vor 40 Jahren gesagt, Sie dürfen sich nicht so aufregen. Da habe ich gelacht. Darauf er: Ich merke schon, es hat keinen Zweck.

Weil Sie sich doch immer aufregen?
KD Wolff: Ja. So wie Flaubert gesagt hat, der Ärger ist der Stock, der mich zusammenhält wie die Puppe.

Sie waren als junger Mann ein Rebell, Bundesvorsitzender des SDS, es gab haufenweise Strafeinzeigen gegen Sie, vor allem wegen Landfriedensbruch. Hat das Alter Sie müder oder milder gemacht?
KD Wolff: Meine Rolle im Verlag ist die, systematisch Mut zu machen. Ich bin ein Hoffnungsmaschinchen. Aber es gibt schon Momente, wo ich denke, es soll mal ein bisschen leichter werden.

Also geht es auch darum, sich das Bedrücktsein weniger anmerken zu lassen?
KD Wolff: So würde ich das nicht sagen. Wir werfen unsere Hoffnung voraus, wenn wir nicht eine Phantasie hätte davon, wie eine Kafka-Ausgabe aussehen könnte, wenn sie fertig ist, dann würde man sich die Mühe mit den Bibliotheken, den Ärger mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft nicht antun.

Ist es auch eine Arbeit in sich, mit sich selbst?
KD Wolff: Ja. Ich habe relativ spät, als ich schon fast 50 war, eine Analyse gemacht. Das hat mir gut getan.

Warum haben Sie die Analyse gemacht?
KD Wolff: Ich habe immer Wutanfälle gekriegt. Das wusste zum Glück öffentlich niemand (lacht), aber ich wusste es.

Sind dann Sachen durch die Gegend geflogen?
KD Wolff: Ja.

Dagegen sind Sie jetzt gefeit?
KD Wolff: Vollkommen. Alles weg.

Sie haben eine Pleite hinter sich...
KD Wolff: Ja, eine nur. Ernst Rowohlt hatte drei.

Diese Erfahrung, hilft das, gelassener zu sein.
KD Wolff: Na ja, wenn man nicht ganz doof ist, lernt man ja auch was. Wir haben den ganzen Verlag, mit Hilfe von Freunden, mit KPMG, durchleuchtet. Die Analyse – Welche Bücher haben welchen Umsatz gemacht? Wie hoch waren die Herstellungskosten? – das ist einfach in Fleisch und Blut übergegangen, seitdem rechnen wir anders.

War die Situation damals schwieriger als heute?
KD Wolff: Viel schwieriger. Wir hatten damals zwei Millionen Mark Schulden. Wir wussten nicht, welches die Bücher waren, mit denen wir Verluste gemacht haben. Das klingt vielleicht lächerlich, aber so war es.

Das heißt, es war schwieriger, weil Sie naiver waren?
KD Wolff: Nein, wir hatten einfach diesen Berg Schulden und nicht genug Grundkapital. Das haben wir jetzt auch noch nicht, aber es ist besser. Es gab immer Glücksfälle, die uns daran gehindert haben, früher Pleite zu gehen und stattdessen dazu geführt haben, noch mehr Schulden zu machen.

Sie sagen, Sie haben grundsätzlich weniger Angst als früher. In diesen Tagen haben aber plötzlich Leute Angst, die sich das davor überhaupt nicht vorstellen konnten. Empfinden Sie die Finanzkrise nicht als bedrohlich für Ihren Verlag?
KD Wolff: Nein. Dass gespart wird, das merkt man schon seit Jahren. Die Subskription großer Werkausgaben ist zurückgegangen. Das hat aber auch damit zu tun, dass die Bibliotheken ihre Einkaufsetats gekürzt haben oder ihre Geld für elektronische Medien verschleudern.

Ihnen ist immerhin die Kreditlinie gekündigt worden.
KD Wolff: Das hat dazu geführt, dass eine Gruppe von Freunden über die Bildung eines Beteiligungspools diskutiert. Wenn wir das zustande kriegen, können wir den Überziehungskredit der Sparkasse ablösen und es geht uns noch ein bisschen besser. Wir haben noch nicht viele feste Zusagen, aber die Gespräche laufen gut. Ich hoffe, dass wir es schaffen. Die Sparkasse hat erst einmal auf Ende März verlängert und wenn wir zeigen können, wir sind in Verhandlungen mit potenziellen Kommanditisten, dann verlängern die hoffentlich auch nochmal.

Sie haben zu Spenden, Darlehen und anderer Unterstützung aufgerufen. Wieviel ist zusammengekommen?
KD Wolff: Das war ganz gut. Wir haben sicher allein Verkäufe von 100’000 Euro extra gehabt.

Haben Sie denn mit Ihren großen Editionen, wie der Hölderlin-Ausgabe, letztlich auch Geld verdient?
KD Wolff: Ja. Ohne die Editionen hätten wir den Verlag auf keinen Fall durchgebracht.

Ihr Verlag funktioniert nur, weil Sie Fördergelder eintreiben.
KD Wolff: Bei uns weiß man das wenigstens, im Gegensatz zu manch anderen Verlagen.

Das heißt: Betteln gehen. Eine demütigende Erfahrung immer wieder?
KD Wolff: Nein, erstens lernt man interessante Leute kennen. Ich bin ja auch ein gesellschaftlich neugieriger Mensch. Es hat mich interessiert, mit Helmut Kohl über Hölderlin zu sprechen. Es ist doch spannend, von Leuten mit denen ich spreche, zu hören: Hölderlin finden wir toll, aber Kafka macht uns Angst.

Aber ein bisschen zu plaudern und Geld zu wollen, das ist doch zweierlei.
KD Wolff: Aber wie soll man Geld kriegen, wenn man nicht fragt. Ich habe das angesichts der Bedeutung unserer Projekte nie als demütigend empfunden. Ich halte ja nicht die Hand auf für nichts, sondern für etwas Notwendiges.

Dass Sie ausgerechnet bei Kohl um Unterstützung geworben haben, das muss Ihren Freunden von früher wie Verrat erschienen sein.
KD Wolff: Das war unterschiedlich: Es gibt Leute, die das gefreut hat, und andere, die sagten, so was macht man nicht. Wenn Kohl den Kontakt zu einer Stiftung vermittelt, die für 200’000 Mark Hölderlin-Bände kauft und diese dann an Goethe-Institute im Osten verschenkt, dann muss ich mich nicht dafür schämen.

Gibt es Einnahmen, die Sie für Investitionen zurücklegen können, oder bezahlen Sie immer nur Schulden ab?
KD Wolff: Wir haben kein nennenswertes Spiel. Wenn das mit der Kommanditgesellschaft klappt, können wir Investitionstöpfe bilden, so dass wir mit Druckereien über Skonti reden können. Das wäre gut.

Was verdienen Sie und die Mitarbeiter?
KD Wolff: Wir zahlen uns Gehälter, aber das sind Existenzlöhne.

Sie haben mit sehr wohlhabenden Leuten zu tun. Sie selbst, sind Sie arm oder reich?
KD Wolff: Arm.

Ist das nie schwierig für Sie, dieser Gegensatz?
KD Wolff: Leute, die wirklich reich sind, denen macht das nichts. Und mir auch nicht, da kann ich so erfolgreich sein, wie ich will, da komme ich noch nicht einmal in die Nähe. Leute, die zehn Millionen haben, die haben meist Angst, dass sie die verlieren, aber wer 200 Millionen hat, der hat keine Angst, dass er verarmt. Das eigentliche Problem beim Betteln – das habe ich nach und nach gelernt – ist, dass man rüberbringen muss, wenn jemand etwas geben will, wunderbar, wenn nicht, auch gut. Der andere muss wissen, dass er nein sagen darf. Ich war ja mal Politiker. Ich konnte immer gut mit Leuten. Wenn Gespräche gescheitert sind, dann, weil die Leute dachten, man könnte neidisch sein auf sie. Aber das war ich nie.

Es gibt Freunde, Bekannte aus früheren Zeiten, Daniel Cohn-Bendit, Joschka Fischer, die Karriere gemacht haben in der Politik. Ärgern Sie sich manchmal, dass Sie diesen Weg nicht auch weiter gegangen sind?
KD Wolff: Nein, als ich gefragt wurde, ob ich für die Grünen kandidieren wolle, da waren wir mit Hölderlin schon voll im Gang und die »Männerphantasien« waren gerade erschienen. Das fand ich doch viel toller. Es gab ja Gründe, dass ich nach der Studentenrevolte, nicht versucht habe, Gruppen aufzubauen, bei mir war es anders.

Warum war das anders?
KD Wolff: Weil ich literarische, künstlerische Interessen habe. Vielleicht auch, weil ich selbstreflexiver bin.

Aber politische Interessen hatten Sie ja auch, sonst wären Sie kaum Vorsitzender des SDS geworden.
KD Wolff: Ich war ja befriedigt. Es ging mir nicht um die Macht. Ich war schon ehrgeizig. Aber wenn man eine bestimmte Prominenz erreicht hat, dann hat man das, was einen auch angetrieben hat, befriedigt. Wenn Sie fast jeder in der Straßenbahn erkennt, das ist nicht so toll.

Ihr Autor Peter Kurzeck hat gefragt: »Und wenn es den Verlag nicht mehr gibt, was wird dann aus KD?« Was wird aus KD? Und was aus dem Verlag, wenn Sie sich zurückziehen?
KD Wolff: Ich bin ja schon Rentner, 700 Euro. Ich wundere mich immer, dass ein Verlag, der so berühmt ist wie unserer mittlerweile, keine Leute anzieht, die müssten uns doch die Tür einrennen. Und genauso wenig verstehe ich, dass große Wissenschaftsverlage nicht denken, so ein Häuschen, das wäre doch ein schöner Stern.

Wieviel müssten die Ihnen geben für den schönen Stern?
KD Wolff: (lacht) Naja, da gibt’s ja Richtlinien, man sagt so ca. drei Jahresumsätze.

Also ungefähr eine Million?
KD Wolff: Mindestens, ja.

Solch ein Angebot würden Sie annehmen?
KD Wolff: Naja, es kommt auch darauf an, was ein Käufer vorhat. Natürlich müssen unsere Ausgaben fortgesetzt werden: Kafka, Walser – davon will ich noch einen Großteil sehen. An Leute, die einfach nur den Namen haben wollen und den Verlag ausschlachten, verkaufe ich nicht.

Wie geht’s weiter, wenn es dieses Angebot nicht gibt?
KD Wolff: Mal sehen. Sie wissen ja wie »Hyperion« endet: »Nächstens mehr.«

Was ist der Verlag für Sie?
KD Wolff: Ich habe schon viel von meiner Lebensenergie da reingesteckt.

Heimat?
KD Wolff: So spreche ich nicht. Das wäre ein bisschen eine kleine Heimat. (lacht)

Mit Hölderlin und Kafka aber auch eine große.
KD Wolff: Die sind keine Heimat. Das ist ja das erstaunliche an großer Dichtung, dass sie die Welt begreifen lässt, ohne zu verheimatlichen.

Ihre Antwort auf Kurzecks Frage steht noch aus: Was machen Sie ohne den Verlag?
KD Wolff: Spanisch und besser Geige spielen lernen, es vielleicht auch noch einmal mit dem Klavier probieren – und ich arbeite ja an einem autobiografischen Buch.

Das Haus, in dem Sie leben und arbeiten soll zu 110 Prozent beliehen sein.
KD Wolff: So haben wirs vor über 30 Jahren gekauft. Aber davon ist jetzt mehr als die Hälfte abgetragen.

Stimmt es, dass Sie sich häufiger die Krankenkassenbeiträge von Ihren Mitarbeitern stunden lassen müssen?
KD Wolff: Nein. Aber es kann passieren, dass Krankenkassenbeiträge gepfändet werden. Wir haben öfters mal Außenstände, die dann eingetrieben werden. Da kommt das Zollamt aus Gießen und erledigt das. Wenn man länger als einen Monat die Krankenkassenbeiträge nicht bezahlt hat, werden die eingezogen.

Das passiert Ihnen häufiger, auch heute noch?
KD Wolff: Das kommt schon noch vor, ja. Im Herbst weniger, aber mitten im Sommer öfter.

Weil dann überhaupt kein Geld mehr da ist...
KD Wolff: Ja (lacht)

Das betrübt Sie nicht weiter...
KD Wolff: Naja, es wäre mir lieber, es wäre nicht so, aber es ist doch besser, man arrangiert sich mit dem Pfändungsbeamten, dass er nicht gleich die Konten sperrt, sondern sich mit Abschlägen zufrieden gibt.

Sie werden in wenigen Tagen 66 Jahre alt. Sie können zurückblicken auf einen Verlag, der einzigartige Werkausgaben macht. Aber gehört zu einem geglückten Leben nicht mehr, ausreichend Geld zum Beispiel?
KD Wolff: Darum bemühe ich mich ja. Wenn es uns gelingt, Kommanditgeld aufzutreiben, mindesten 300’000 Euro, dann geht es uns viel besser. Aber in hundert Jahren kümmert doch niemanden mehr, ob wir auf Krankenkassenbeiträge gepfändet worden sind.

Aber Erfolg in unserer Gesellschaft bemisst sich nun mal auch am Materiellen.
KD Wolff: Aber nicht nur. Bei meinen Klassentreffen in Biedenkopf an der Lahn, da gibt es eigentlich nur eine einzige Konkurrentin für mich. Das ist die frühere Lottofee. Die ist berühmter als ich, da kann ich nichts machen, dagegen komm ich nicht an. (lacht)

Ihnen ging es immer schon mehr um die Berühmtheit, weniger um Wohlhabenheit?
KD Wolff: Der Reichste aus unserer Klasse, der hat, glaube ich, 17 Friseursalons in Berlin.

Aber ein gewisser Lebensstandard gehört schon zum Wohlfühlen dazu, oder?
KD Wolff: Wir haben immer genug. Spaghetti. Theaterkarten. Reisen. Freunde.

Auch ein Auto?
KD Wolff: Ja, da drüben steht er, ein kleiner Alfa.

Der gehört Ihnen?
KD Wolff: Der gehört der Firma.

Und ein Haus im Süden, wäre das nichts?
KD Wolff: Da muss man ja hinfahren. Ich weiß schon, welches Haus in Valencia ich gern kaufen würde. Momentan sind die Immobilienpreise unten, das wäre sicher für 200’000 Euro zu haben. Aber erst muss oben das Dach repariert werden, es regnet bisschen durch!

Oder ein Segelboot?
KD Wolff: Ach, meine Frau Cristina segelt. Ich nicht. Ich kann ja schwimmen.