Hilfsaktion für Flüchtlinge: Interview mit LitCam-Direktorin Karin Plötz

"Bildung gehört zur Integration dazu"

7. September 2015
von Sabine Cronau
Zum Weltbildungstag, der heute gefeiert wird, hat der Börsenverein die Initiative "Bücher sagen Willkommen" ins Leben gerufen. Das Ziel: Ein bundesweites Netz mit Lese- und Lernecken für Flüchtlinge einzurichten. Ein Interview mit Karin Plötz von der LitCam, die das Spendenprojekt der Branche koordiniert.

Warum engagiert sich die LitCam für Flüchtlinge – und warum sollte es der Buchhandel auch tun?

Karin Plötz: Wir alle sollten das tun. Es geht darum, die Flüchtlinge willkommen zu heißen, sie ernst zu nehmen, ihnen auf Augenhöhe zu begegnen. Die LitCam wurde ja 2006 aus der Frankfurter Buchmesse heraus gegründet und engagiert sich für Alphabetisierung, Bildungsgerechtigkeit und Leseförderung. Bei unseren Projekten, etwa bei dem Bildungsprojekt "Fußball trifft Kultur", arbeiten wir oft mit Kindern mit Migrationshintergrund, jetzt kommen aber auch immer mehr Flüchtlingskinder dazu. Da lag es einfach nahe, in der aktuellen Situation eine gemeinsame Hilfsinitiative mit dem Börsenverein und der Frankfurter Buchmesse zu starten, bei der wir unsere Erfahrung einbringen können.

Die meisten Flüchtlinge, die nach Deutschland kommen, besitzen nur die Kleider, die sie am Leib tragen. Sind Bücher wirklich das, was sie jetzt brauchen?

Karin Plötz: Die Integration der Flüchtlinge wird eine wichtige Rolle spielen. Bildung gehört zur Integration dazu – und Bücher bilden, Lesen bildet. Unsere Initiative ist wichtig, weil sie über die ersten Tage nach der Ankunft hinausdenkt. Und eines darf man nicht vergessen: Viele Flüchtlinge, die aus Syrien oder Afghanistan zu uns kommen, gehören bürgerlichen, bildungsnahen Schichten an, sind Ärzte, Professoren oder Lehrer. Wenn wir ihnen die Möglichkeit geben, Deutsch zu lernen, können sie Wartezeiten sinnvoll nutzen. Darüber hinaus wollen wir ihnen aber auch Literatur in ihrer Heimatsprache an die Hand geben, damit sie den Alltag in der Flüchtlingsunterkunft, die Ungewissheit in der Fremde für ein paar Stunden vergessen können. Wir möchten den Flüchtlingen helfen, sich weiterzubilden – aber auch, sich abzulenken und zu unterhalten.

Nach welchen Kriterien wählen Sie die Einrichtungen aus, in denen diese Handbibliotheken für Flüchtlinge und ehrenamtliche Helfer stehen werden?

Karin Plötz: Entscheidend ist, dass wir für unsere Lese- und Lernecken einen vorhandenen Raum mitnutzen können – und dass es vor Ort ehrenamtliche Ansprechpartner gibt. Ein Pilotprojekt, das diese Kriterien bestens erfüllt, haben wir schon im Blick: ein Lernzentrum im Frankfurter Gallusviertel. Dort können wir mit den Büchern 30 jugendliche, unbegleitete Flüchtlinge unterstützen, die in dieser Unterkunft leben, aber auch 40 bis 50 weitere junge Asylsuchende, die zum Deutschunterricht in das Lernzentrum kommen. Die vorhandene Bibliothek möchten wir mit unseren Materialien weiter ausbauen. Gleichzeitig steht ein Leseraum mit ehrenamtlichen Helfern zur Verfügung, die Flüchtlinge bei der Nutzung des Materials unterstützen können.

Soll die Idee dann von Frankfurt aus Kreise ziehen?

Karin Plötz: Ja, nach und nach wollen wir ein Netzwerk aus Lern- und Leseräumen knüpfen und außerdem ehrenamtlichen Helfern bundesweit eine Liste mit Materialien an die Hand geben, auf sie bei ihrer Arbeit mit Flüchtlingen zurückgreifen können. Aber noch ist das Ganze natürlich work in progress. Das Projekt "Bücher sagen Willkommen" wurde ja erst vor zwei, drei Wochen geboren. Es muss und wird sich weiterentwickeln, damit die Flüchtlinge auch wirklich das bekommen, was sie brauchen. Künftig sollen dann auch digitale Medien hinzukommen, etwa für Online-Sprachkurse.

Wie können Sie dafür sorgen, dass überall die Bücher und Materialien stehen, die auch tatsächlich gebraucht werden?

Karin Plötz: Genau deshalb war es uns wichtig, dass wir Gelder sammeln und keine Sachspenden. Denn gut gemeint ist nicht immer gut gemacht. Wir werden versuchen, sehr individuelle Angebote zu machen, die auf die Flüchtlingsgruppen der jeweiligen Einrichtung zugeschnitten sind – je nachdem ob die Einrichtungen eher Menschen aus Eritrea, aus Afghanistan oder Syrien betreuen. Verlage, Institutionen wie der Didacta-Verband und Leseförderexperten unterstützen uns mit Empfehlungslisten für die verschiedenen Sprachen und Altersgruppen. Zum Experten-Team gehört zum Beispiel Wassilios E. Fthenakis, ein renommierter Professor im Bereich frühkindliche Bildung..

Vorbild der geplanten Lese- und Lernecken ist der "Reading and Learning Room", der von der LitCam im Township Mfuleni in Kapstadt betrieben wird. Lässt sich das Modell eins zu eins übertragen?

Karin Plötz: Natürlich dient uns Kapstadt als Blaupause. Aber in Mfuleni stellen wir inzwischen nicht nur Bücher zur Verfügung, sondern beschäftigen auch einen Lehrer, der zweimal in der Woche Nachhilfestunden gibt. Von daher hat sich die Idee in Südafrika bereits weiter entwickelt.