Interview

Thorsten Schäfer-Gümbel über das Urheberrecht, die politische Bedeutung der Verlage – und seine Lieblingsbücher

17. Dezember 2015
von Börsenblatt
Diesen Herbst trat Thorsten Schäfer-Gümbel die Nachfolge Wolfgang Thierses als Vorsitzender des SPD-Kulturforums an. Im Interview mit Börsenblatt-Chefredakteur Torsten Casimir sprach er über das Verhältnis von Politik und Kultur.

Nach mehreren Gerichtsurteilen und Gesetzesvorhaben mit sehr ungünstigen Folgen für Buchverlage spricht man in der Branche schon vom Annus horribilis 2015. Die Verlage fühlen sich von der Politik nicht gesehen. ­Verstehen Sie das?
Es muss uns zu denken geben, dass die Verlage sich von der Politik nicht verstanden fühlen. Wir sehen sehr wohl, unter welch schwierigen Rahmenbedingungen Buchverlage arbeiten. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs zu den Verwertungsgesellschaften ist in der Tat eine harte Nuss. Gleiches gilt für die Frage, wie man die digitale Verbreitung von Verlagswerken an Uni-Bibliotheken vernünftig regelt. Aber das sind Entscheidungen, die durch Gerichte auf den Tisch gekommen sind, nicht durch die Politik.

Na ja, die Richter des EuGH haben nur in die einschlägige EU-Richtlinie geschaut. Die besagt, dass an Verlage nicht ausgeschüttet werden darf.
Deshalb wird man sich auf europäischer Ebene die aktuelle Gesetzesgrundlage sehr genau anschauen müssen. Das gilt national auch für das Urhebervertragsrecht, für das ein Referentenentwurf aus dem Justizministerium vorliegt. Da sind wir derzeit in der Anhörungsphase. Ob die Novelle in ihrer jetzigen Form dann in den Bundestag eingebracht wird, wissen wir noch nicht. Im Übrigen gilt sicherlich auch hier das Strucksche Gesetz: "Kein Gesetz kommt aus dem Parlament so heraus, wie es reinkam."

Glauben Sie, dass der Entwurf noch Verbesserungen erfährt?
Ich glaube, dass die zum Teil sehr kritischen Stellungnahmen zu der geplanten Novelle beachtet werden. Da müssen wir noch diskutieren, wie man die unterschiedlichen Interessen­lagen vielleicht etwas besser ausbalanciert. Von den Verlagen und Verlegern wird etwa die umstrittene Fünfjahresfrist kritisiert, nach der laut Entwurf ein Urheber das von ihm eingeräumte Nutzungsrecht zurückrufen kann.

Gerade in kulturell besonders relevante, aber eben auch riskante Bücher investieren Verlage mit einer wesentlich längeren Verwertungsperspektive.
Die Sorge der Verlage verstehe ich gut. Man darf allerdings das Ziel der Novelle nicht vergessen: nämlich die existenzielle Grundlage für Autorinnen und Autoren zu verbessern. Die Frage ist jetzt, ob das Ziel mit diesem Vorschlag am besten erreicht würde. Die Verlagsbranche hat, zum Teil im Verbund mit den Autoren, ihre Einwände vorgetragen. Die haben durchaus Gewicht.

Was können Verlage tun, damit die Politik besser versteht, wie sie arbeiten?
Die wachsende Distanz zwischen Kulturbetrieb und Politik­betrieb macht mir wirklich Sorge. Die Frage, ob fortschrittliche Politik in diesem Land gemacht wurde, hatte immer etwas damit zu tun, wie sich der Kulturbetrieb in gesellschaftspolitische Fragen eingemischt hat. Da ist etwas auseinandergelaufen. Ich möchte mich als Vorsitzender des Kulturforums der Sozialdemokratie auch bemühen, das zu ändern. Nach meinem Eindruck ist da einiges in Bewegung gekommen. Auch die Buchmesse ist wieder politischer.

Als neuer Vorsitzender des Kulturforums der SPD treten Sie ein großes Erbe an. Willy Brandt, Peter Glotz, Gerhard Schröder und zuletzt Wolfgang Thierse hatten das Amt vor Ihnen inne. Welche Idee haben Sie für das Forum?
Zu den Traditionen des Kulturforums gehört das Gespräch zwischen Politik und Kultur über Fragen der gesellschaftlichen Modernisierung. Das will ich bewahren und ausbauen. Da hat sich in den letzten Jahren eine wechselseitige Distanz entwickelt. Das mag damit zu tun haben, dass es – auch in der SPD – nicht immer die richtigen Schwerpunkte gegeben hat. "Kultur für alle", der von Hilmar Hoffmann formulierte Leitsatz, ist nach wie vor ein hehrer Anspruch. Mein Ziel ist es, die Frage der kulturellen Bildung zu einem Schwerpunkt unserer Arbeit zu machen – auch unter Einbeziehung der vielfältigen kulturellen Erfahrungen in einem bunter ­werdenden Deutschland.

Auf Ihrer Homepage nennen Sie die drei politischen Arbeitsfelder, die Ihnen am wichtigsten sind: Arbeit, Bildung, Gerechtigkeit. Und die Kultur?
Gehört dringend dazu, übrigens auch in die anderen Arbeitsfelder. Ich habe meinen Zugang zu Kunst und Kultur tatsächlich erst relativ spät gefunden. Ich komme aus familiären Verhältnissen, in denen das Thema keine große Rolle gespielt hat. Als ich das erste Mal freiwillig und nicht durch schulischen Zwang ein Buch in die Hand genommen habe, war ich 14 oder 15. Ich habe daher tatsächlich für einen Moment überlegt, ob ich der Richtige für den Vorsitz des Kulturforums bin.

Wissen Sie noch, welches Buch das damals war?
Es war ein Krimi und ging um einen Flugzeugabsturz in Mittelamerika. Bücher spielen seither für mich eine große Rolle. Hinzu kamen persönliche Begegnungen mit inspirierenden Menschen. Gerade weil ich kein Kulturpolitiker im ganz engen Sinne bin, ist meine Nähe zu den Themen vor allem durch Begegnungen, durch Menschen vermittelt. Mit einem Frankfurter Verleger tausche ich mich regelmäßig aus, auch von Journalisten erhalte ich viele Impulse. Aber ich habe die anderthalb Jahre als Stellvertreter von Wolfgang Thierse im Vorstand des Kulturforums auch genutzt, um zu sehen, ob ich politisch zu den Themen der Kultur etwas zur Weiterentwicklung beitragen kann.

Lesen Sie aktuell etwas Empfehlenswertes?
Ja. Ich lese gerade Timothy Brooks "Wie China nach Europa kam", ein historisches Buch, bei dem es um den Fund einer alten China-Karte aus dem 17. Jahrhundert geht, die viele Rätsel aufgibt. Ein tolles Buch! Ansonsten, mein Lieblingsbuch der letzten Jahre: "Last Lecture" von Randy Pausch, das wunderbar lebensbejahende Zeugnis eines Todkranken, wie ich kein anderes kenne. Ich habe meine intensiven Lesephasen immer im Sommer und im Winter, dazwischen komme ich kaum dazu. Diesen Sommer habe ich von Jörg Bong, allerdings unter anderem Namen, seine Bretonischen Kriminalfälle gelesen.

Jean-Luc Bannalec. Verleger können eben auch Urheber sein.
Sehr gute sogar.

Zur Person Thorsten Schäfer-Gümbels:

  • Politische Ämter: stellvertretender Parteivorsitzender der SPD, Landes- und Fraktionsvorsitzender in Hessen, Vorsitzender des Kulturforums der Sozialdemokratie
  • Persönliches: geboren am 1. Oktober 1969 in Oberstdorf im Allgäu, aufgewachsen in Gießen, Studium zunächst der Agrar-, später der Politikwissenschaft, verheiratet, Vater von drei Kindern, lebt mit seiner Familie in Lich in seinem Landtagswahlkreis Gießen-Land
  • Programmatisches: als politische Themen, die ihm besonders am Herzen liegen, nennt er Gerechtigkeit, Arbeit, Bildung und Kultur
  • Publikation (als Herausgeber): "Eigentum verpflichtet. 14 mal Artikel 14 Grundgesetz"  /  Dielmann Verlag