Interview

»Klassiker sind Bücher, die jeder kennt, aber niemand liest«

2. August 2007
von Börsenblatt
Nur fürs Renommee oder auch für den Geldbeutel – Wie wichtig ist die Pflege der Klassiker für einen Verlag wie Diogenes? Und wer liest überhaupt Balzac & Co.? Fragen an Daniel Kampa, Marketinggeschäftsführer beim Zürcher Verlag.
»Überwinden Sie Ihre Indolenz«, hat Daniel Keel die Buchhändler und Leser mit Blick auf den neu aufgelegten Balzac, acht Bände im Schuber, aufgefordert. Ist es so schlimm? Kampa: Diesen Satz von Herrn Keel darf man nicht allzu ernst nehmen. Mit dem Brief und dem erwähnten Satz wollte Herr Keel auffallen und auf die neue Balzac-Ausgabe aufmerksam machen– was ihm gelungen zu sein scheint. Aber es stimmt, dass Herr Keel schon zweimal versucht hat, Balzacs vollständige Comédie Humaine unter die Leser zu bringen, und beide Ausgaben waren nur als Remittenden erfolgreich. Die erste inzwischen legendäre 40-bändige Taschenbuchausgabe in der Bordeaux-Holzkiste wird heute antiquarisch zu Höchstpreisen gehandelt, das ist der Lauf der Welt. Diese Ausgabe erschien 1977 zum 25. Verlagsjubiläum. Wie hat sich das Geschäft mit Klassikern in den letzten Jahren für Diogenes entwickelt? Kampa: In den Anfangsjahren der Diogenes Taschenbücher wurde Diogenes als Kassetten-Verlag bekannt: der blaue Faulkner-Koffer in 29 Bänden, die schon erwähnte Balzac-Bordeaux-Kiste, Taschenbuch-Werkausgaben von Flaubert, Stendhal, Stevenson, Cechov, Tolstoi, Chandler, Orwell und und und. Taschenbuch-Kassetten sind heute eher out – und wenn überhaupt nur über fast nicht mehr kalkulierbare Billigstpreise zu verkaufen. Allgemein sind Klassiker-Ausgaben im Taschenbuch unter Druck geraten durch das moderne Antiquariat und gebundene Billigausgaben. Wir konzentrieren uns bei Diogenes also immer mehr auf schön und aufwendig gemachte Ausgaben im Hardcover. Eine saloppe Definition lautet: »Klassiker sind Bücher, die jeder kennt, aber niemand liest« – heute kauft sie auch niemand mehr, wenn man nicht etwas Einmaliges bietet. Dienen also Ihre Klassiker-Ausgaben vor allem dem Renommee, während sie finanziell nur selten einträglich sind? Kampa: Mit Büchern Geld zu verdienen ist schon schwer genug, und dann noch mit Klassikern? In Balzacs »Verlorenen Illusionen« gibt es eine wunderschöne Szene, in der der gerissene Verleger Lousteau sagt: »Sobald jemand mit einem (Lyrik-)Manuskript kommt, so gebt ihm sofort den Laufpass, Verse sind die Würmer des Buchhandels.« Wahrscheinlich würde Lousteau heute das gleiche von Klassikern sagen. Aber Spaß beiseite, auch mit Klassiker-Neuausgaben haben wir schöne Erfolge erzielt, wobei wir die Investitionen nicht unbedingt durch die Taschenbuchausgabe zurückholen, sondern zuerst durch gebundene Ausgaben. Wie verführt man zum Klassiker-Kaufen und -Lesen? Kampa: Bei F. Scott Fitzgerald kamen mehrere Faktoren zusammen: Vor allem ein Autor, dessen Sprache unglaublich modern ist, und dessen Themen aktueller sind denn je: die Sehnsucht nach der großen Liebe, bei immer mehr Single-Haushalten und Scheidungen, die Sehnsucht nach dem großen Geld bei Arbeitslosigkeit und schlecht bezahlten »Mc-Jobs«, das Streben nach Ruhm und Glamour, in Zeiten, wo jeder Fernsehsender den »Superstar« sucht. Wir haben alle fünf Romane neu übersetzen lassen, und Manfred Papst, Paul Ingendaay, Verena Lueken, Heinrich Detering haben spannende Nachworte geschrieben. Die fünf Leinenbände konnte man zusammen in einem schönen Schmuckschuber kaufen, aber auch, für’s kleine Budget, einzeln. Daneben gab es, sozusagen als Einstieg, ein Band mit den besten Erzählungen, und für ganz Lesefaule, auch eine Hörbuchfassung. Seit Jahren begleiten wir Neueditionen im Klassikerbereich mit aufwendig gestalteten Gratis-Booklets, die auf bis zu 20 vierfarbigen Seiten Leben und Werk des Autors vorstellen; bei Fitzgerald haben wir über 50 000 Exemplare gedruckt. Und dann gab es normale Werbemaßnahmen wie Plakate, Buchpremieren etc. Welche Rolle spielen Neu-Übersetzungen? Kampa: Es sollte nicht wie bei »l’art pour l’art« eine »Neuübersetzung um der Neuübersetzung« sein, sie muss notwendig sein. Bei den Romanen und Erzählungen von F. Scott Fitzgerald fanden wir es sinnvoll, bei den Erzählungen von W. Somerset Maugham reichte eine Überarbeitung, wie auch bei Balzac. Insbesondere Klassiker scheinen geradezu zu immer neuen Ausstattungen und Vermarktungsaktionen herauszufordern. Mit Erfolg, oder gibt es auch ein Zuviel des Guten für den Buchmarkt? Kampa: Von guten Büchern kann es nie zu viel des Guten im Buchmarkt geben, aber natürlich streuen wir unsere Klassiker-Neuausgaben vorsichtig. Wir wollen die Buchhändler (und auch unser Lektorat und unsere Herstellung) nicht überfordern. Und wir machen auch nicht bei jedem Jubiläum mit, sondern haben fast mehr Spaß daran, ohne kalendarischen Grund, W. Somerset Maugham, F. Scott Fitzgerald oder jetzt Balzac und D.H.Lawrence neu aufzulegen. Diese Autoren sind so gut, die Bücher so spannend, dass wir nicht auf ein Jubiläum warten wollten. Sie selbst haben zusammen mit Daniel Keel Erzählungen von D.H. Lawrence ausgewählt und herausgegeben. Inwieweit spiegeln Klassiker-Ausgaben vor allem die Vorliebe des Verlegers, eines Marketinggeschäftsführers für bestimmte Autoren wider? Kampa: Der Diogenes Verlag hat einen großen Fundus an Hausautoren, von denen das Gesamtwerk bei Diogenes erschienen ist, mit vielen Klassikern und modernen Klassikern. Darunter sind Schätze, die in den Auslieferungen und Regalen verstauben, was jedem Verleger weh tut. Es ist eine der schönsten Herausforderungen, diese vergessenen Schätze wieder zum Funkeln zu bringen. Welches sind die bestverkauften, neu aufgelegten Klassiker-Titel im letzten Jahr bei Diogenes? Kampa: Von den Gesammelten Erzählungen von W. Somerset Maugham (immerhin über 2500 Seiten für 49 Euro) haben wir mehr als 6000 Exemplare verkauft, von den fünf Romanen von F. Scott Fitzgerald zusammen über 20 000 Exemplare, vom Erzählband »Drei Stunden zwischen zwei Flügen« über 5000 Exemplare – und all das im Hardcover! Das hätten wir natürlich nie ohne die Unterstützung der Buchhändlerinnen und Buchhändler geschafft. Von Indolenz war keine Spur, eher von Begeisterung, für die wir dem Handel sehr dankbar sind. Bei Balzac und D.H. Lawrence hoffen wir natürlich auch, dass der Funke überspringt. Im aktuellen BÖRSENBLATT lesen Sie, wie Verleger und Buchhändler das Geschäft mit den Klassikern bewerten.