Interview

"Wir agieren wie ein eigenständiges Unternehmen“

24. Juli 2015
von Börsenblatt
Jürgen Seidel, Filialleiter von Lehmanns in Leipzig, über die ersten beiden Jahre und die künftige Ausrichtung des Vollsortiments in der Sachsen-Metropole. Eine Reportage über die Leipziger Buchhandelslandschaft, in der kleine Sortimente und Filialisten ihr Terrain abstecken, lesen Sie im aktuellen BÖRSENBLATT.
Was hat sich bei Lehmanns in den ersten beiden Jahren getan? Jürgen Seidel: Wir haben knapp über ein Drittel Fachbuch, rund zwei Drittel allgemeines Sortiment, wobei die Grenzen eher fließend sind. An der groben Sortiments-Struktur hat sich nichts geändert, dennoch gab es eine Reihe von Feinjustierungen: So haben wir die Literatur für junge Erwachsene, die anfangs in der Nähe des Kinderbuchs angesiedelt war, zu einer komplett neuen Themenwelt „Junge Bücher“ zusammengefasst: Hier finden sich neben Romanen und Sachbüchern für die junge Zielgruppe auch Mangas, Comics, Rock- und Popliteratur. Die Fläche für Regionalia haben wir aufgrund des starken Interesses der Leipziger schlicht verdoppelt. Sie machen auffällig viele Veranstaltungen und leisten sich eine PR-Stelle. Warum? Seidel: Wir haben eine dezentrale Philosophie, zu der – neben dem eigenen Einkauf – auch eine Kollegin gehört, die sich um Standort-Marketing kümmert. Man kann, gerade wenn man sich auf eine Stadt zubewegt, Leipzig nicht mit Berlin oder Hannover über einen Kamm scheren. Letztlich agieren wir hier wie ein eigenständiges Unternehmen – wir müssen nur unsere Zielvorgaben erfüllen. Wo stehen Sie heute? Seidel: Umsatzmäßig sind wir da, wo wir hin wollten; was die ersten beiden Jahre betrifft, sind unsere Erwartungen sogar übertroffen worden. Für 2009 erwarten wir uns noch einmal einen kräftigen Schub. Dann soll der neue Universitäts-Campus fertig sein, auch die Grimmaische Straße wird eine hochattraktive Einkaufsmeile werden. Im letzten Jahr, als die alten Uni-Gebäude abgebrochen wurden, war es hier allerdings sehr heftig ... Die Universitätsbuchhandlung liegt nur wenige Schritte entfernt... Seidel: Das belastet uns eigentlich nicht so sehr. Wir haben die bessere Lage und ein Mehrfaches an Fläche. Dazu mit vielen Arbeitsplätzen und Sitzmöglichkeiten bis hin zur Terrasse, kostenlosem Internet-Zugang und Kaffeeautomaten auf jeder Etage ein Ambiente, das besonders die Studenten anzieht. Im Leipziger Buchhandel rechnet man damit, dass mit der geplanten Fertigstellung des innerstädischen Einkaufszentrums „Höfe am Brühl“ auch Thalia stärker Präsenz zeigen wird. Wie bereiten Sie sich auf die mögliche Wettbewerbs-Verschärfung vor? Seidel: Wir machen weiter wie bisher: Wir versuchen, uns als agile, Leipzig-orientierte Buchhandlung zu positionieren. Und nicht als die Filiale xy. Dazu gehören unsere Veranstaltungen, von der klassischen Lesung bis hin zu ganzen Themenwochen, ebenso eine Leipziger Homepage mit auf die Stadt abgestimmten Angeboten oder die kürzlich eingeführte Kundenkarte. Und wir pflegen weiter unser Netzwerk zu lokalen Institutionen und Vereinen – von der Stadtbibliothek und der Musikschule bis zu den Leipziger Buchkindern. Wie gefällt Ihnen selbst die Stadt? Seidel: Ich habe die längste Zeit meines Lebens in und um Stuttgart verbracht, witziger Weise ist mein Vater aber gebürtiger Leipziger. Nun bin ich selbst „gelernter Sachse“ – und fühle mich ausgesprochen wohl: Leipzig ist eine lebendige, tolle Stadt, in der sich Tradition und Moderne aufs Schönste verbinden. HINTERGRUND: Die größte gespürte Buchhandels-Bewegung im Leipziger Zentrum ging zuletzt nicht von den Expansions-Schrittmachern Thalia oder DBH, sondern von der Fachbuchkette Lehmanns aus. Nach dem Muster des Berliner Hardenberg-Hauses eröffnete Lehmanns am 9. März 2006 ein Vollsortiment auf 2000 Quadratmetern – direkt neben dem neu entstehenden Uni-Campus. Seit dem Ausscheiden von Peter Jakobeit im Juli 2006 wird das Haus von der Doppelspitze Dagmar Strubl (Fachbuch, Sprachen) und Jürgen Seidel geführt.