Interview

„Kultur im öffentlich-rechtlichen Rundfunk? – Verschenkt!“

24. Juli 2015
von Börsenblatt
Immer mehr Hörspiele stehen zum kostenlosen Download in den Mediatheken der ARD-Sender. Die Hörbuchverleger sind irritiert, Michael Loeb, Geschäftsführer der WDR-Mediathek sieht dafür keinen Grund. Jetzt hat der Marktführer, der Münchner Hörverlag, die Marschrichtung für seinen Umgang mit dem freigiebigen Angebot der Öffentlich-Rechtlichen festgelegt. Ein Interview mit Heike Völker-Sieber, Unternehmenssprecherin des Hörverlags.
Mit den Mediatheken setzen ARD und ZDF auf den zeitsouveränen Nutzer. Der Content der Öffentlich-Rechtlichen zieht ins Internet ein, inklusive Hörspielproduktionen. Das ist doch nur zeitgemäß, oder? Völker-Sieber: Absolut. Kein Unternehmen, keine Institution kann den digitalen Fortschritt, der unsere Welt in allen Lebensbereichen radikal verändert, ausblenden. Natürlich muss sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk auch im Internet auf potenzielle Hörer zubewegen. Ich fürchte aber, Ihrem grundsätzlichen Problem, nämlich dass ihnen die 14- bis 49-Jährigen massiv den Rücken kehren (und doch treu Gebühren überweisen), werden ARD und ZDF schwer beikommen, indem sie mit dem selben Programm von einem Kanal auf den anderen wechseln. Wie sagte der Comedian Bastian Pastewka kürzlich im Interview: „...inzwischen stören mich die Werbepausen des Privatfernsehens weniger als die peinlichen Versuche von ARD und ZDF, die Privaten zu imitieren.“ Statt kurzsichtigem Online-Aktionismus sind inhaltliche Konzepte gefragt und von den Hörern und Zuschauern ja auch jährlich mit über 7 Milliarden Euro bezahlt. Immer mehr Produktionen gibt es aber auch zum kostenlosen Download. Mit wenigen Mausklicks kann das Hörspiel heruntergeladen werden, selbstverständlich in perfekter Qualität. Völker-Sieber: Mit Streamingangeboten, also dem Hören im Netz können wir gut leben. Private Mitschnitte – in den 70ern mit wackeligem Cassettenrecorder – gab es schon immer. Die entscheidende Frage ist, wie umfangreich, wie vorbehaltlos, für welche Dauer und wie offensiv Lesungen und Hörspiele zum Download offeriert werden. Die Sender freuen sich natürlich auf hohe Zugriffszahlen. Schließlich müssen sie den Gebührenzahlern etwas bieten. Völker-Sieber: Dass hohe Zugriffszahlen zu leuchtenden Augen führen, ist erst einmal verständlich. Man sollte sich jedoch mit dem heutigen User-Verhalten beschäftigen: Angesichts der explodierenden Speicherkapazitäten der heimischen PCs und der immer schneller werdenden Internetverbindungen wird fast manisch alles „mitgenommen“, sprich heruntergeladen, was gratis zu bekommen ist. Unmengen von Filmen, Songs, Fotos, Texte und Hörbuchinhalten – viel zu viele für die Dauer eines Menschenlebens – verschwinden ungelesen, ungesehen und ungehört auf Nimmerwiedersehen in den Untiefen der Festplatte. Imposante Gratis-Downloadzahlen sagen nichts über die wirklichen Hörerzahlen sondern signalisieren den Usern lediglich, dass die Sender ihren eigenen Inhalten – im wahrsten Sinn des Wortes – keinen „Wert“ beimessen. Wie kann der Misston in der Partnerschaft zwischen Verlagen und Rundfunkanstalten ausgeräumt werden? Völker-Sieber: Wir sind alle Kommunikationsprofis, alle „Diplomaten“ und an Kompromissen interessiert – also reden, reden, reden. Wir arbeiten seit 15 Jahren sehr erfolgreich zusammen und möchten diese Partnerschaft unbelastet weiterführen. In unserem Programm finden sich viele wunderbare ARD-Produktionen. Umgekehrt haben wir den akustischen Inhalten und den Leistungen der Sender eine neue Bühne, neue Hörer, neue Aufmerksamkeit verschafft. Auch wenn 70 Prozent unserer Titel glücklicherweise Eigenproduktionen sind, werden wir uns im Rahmen der Diskussion um den 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrag, der das zukünftige Engagement der ARD im Internet regeln soll, für unsere Interessen einsetzen. Wir stehen damit an der Seite der Regisseure, Autoren, Komponisten, Künstler, Produzenten, und der Zeitungs- und Zeitschriftenverleger, die für eine Begrenzung der Online-Aktivitäten der Öffentlich-Rechtlichen, z.B. für ein auf maximal sieben Tage befristetes Download-Angebot, kämpfen. Werden Sie Konsequenzen aus den kostenlosen Hörspiel-Angeboten der Sender ziehen, z.B. bei der Gestaltung der Verträge? Völker-Sieber: Selbstverständlich. Bei anstehenden Projekten werden wir das Thema Download schon im Vorfeld ansprechen und gegebenenfalls auf eine Veröffentlichung verzichten. Das betrifft v.a. populärere Stoffe. Um am Hörbuchmarkt konkurrenzfähig zu sein, dürfen sie ein bestimmtes Preisniveau nicht überschreiten. Sie rechnen sich also nur in hohen Auflagen und mit „abgespeckter“ Ausstattung. Wie sollte ein extrem knapp kalkulierte 9,99 Euro-Hörbuch gegen die Null-Euro-Download-Alternative bestehen? Noch stecken die Mediatheken in den Anfängen. Können sie sich zu einer Gefahr für den Hörbuchmarkt entwickeln? Völker-Sieber: Es geht nicht nur um die Hörbuchverlage sondern um ein klares Bekenntnis zum wichtigsten Schatz den wir in Deutschland haben, nämlich – in Ermangelung von Erdöl-Vorkommen – Geist, Kreativität und Kultur. Die Dynamik des Internets eröffnet unglaubliche Möglichkeiten, revolutioniert aber auch im negativen Sinn den Umgang mit Inhalten. Die Kulturschaffenden und ihre Vertreter, wie z.B. Verlage können weder auf das Unrechtsbewusstsein der User noch auf den Schutz der Urheberrechte durch die Politik zählen. Dass eine Institution wie der öffentlich-rechtliche Rundfunk – vom Auftrag her Kulturförderer und in seiner Historie Entwickler wichtiger Autoren, Werke und Formate – diese nun „verschenkt“, entzieht mittelfristig natürlich Umsätze und Einkommen, langfristig Existenzgrundlagen. Fatal ist das Signal: Dem Piratenschiff im Netz wird ordentlich Wind in die Segel geblasen. Auf, auf zu neuen Ufern, an denen Gold wie Blech aussieht!