Interview: Scholl-Preisträgerin Garance Le Caisne über ihr Buch "Codename Caesar"

"Der Aufschrei nach der Veröffentlichung war heftig, aber kurz"

25. November 2016
von Börsenblatt
Die französische Journalistin Garance Le Caisne berichtet seit 1990 aus dem Nahen Osten - und hat die erschreckende Geschichte eines syrischen Fotografen aufgeschrieben. Für ihr Buch "Codename Caesar" ist sie in dieser Woche mit dem Geschwister-Scholl-Preis geehrt worden. Im Interview mit boersenblatt.net spricht sie über den weiten Weg der Recherche und aufkeimende Hoffnung in der Trostlosigkeit des Krieges.

"Caesar" hat bei der syrischen Militärpolizei Folteropfer fotografiert und die Aufnahmen aus dem Land geschmuggelt. Am Ende Ihres Buches klagt er über die Tatenlosigkeit der internationalen Gemeinschaft. Aber eines Tages wird die Kriegsmüdigkeit groß sein in Syrien und die Gewalt enden. Wie schätzen Sie dann die Bedeutung von Caesars Leistung ein? Welche Rolle können seine Fotografien und Aussagen vor dem Internationalen Gerichtshof spielen?

Das Buch endet in der Tat mit einer pessimistischen Note. Caesar war enttäuscht von der geringen Wirkung seiner Bilder. Der Aufschrei nach der Veröffentlichung war heftig, aber kurz. Die internationale Gemeinschaft hatte in Caesars Augen versagt. Inzwischen haben sich die Dinge etwas verändert. Es gibt Anwälte auf der ganzen Welt, die sich mit seinen Dossiers beschäftigen und Anklagen vorbereiten. Caesar bemerkt, dass seine Aussagen und Bilder inzwischen vieles in Bewegung setzen. Er hat am Anfang vielleicht gehofft, dass der Krieg dank seiner Beweise sofort beendet wird. Das ist leider nicht geschehen. Aber die Arbeit geht weiter. Es gibt wieder Hoffnung.

Sie schildern, wie aus der Revolution ein immer komplizierterer Krieg wurde, wie Russland und der Iran das Regime unterstützen und wie vor allem Katar die Opposition unterstützt. Syrien hat sich zu einem Schlachtfeld anderer entwickelt. Wie soll man die Ursachen für diesen Krieg definieren, wie die Schuld verteilen?

Die ursächliche Schuld liegt bei Assad und seinem Regime. Assads brutales Vorgehen gegen das Volk, das für Freiheit und Demokratie auf die Straße ging, ist der Beginn dieser katastrophalen Entwicklung. Die Lage in Syrien wurde auch deshalb sehr rasch sehr kompliziert, weil sich der Widerstand der Bevölkerung in vielen weit verstreuten Städten und Ortschaften des Landes formierte. Es war schwierig, die Opposition militärisch zu einen. Dazu fehlten auch sichere Kommunikationsmittel. Und von der Diktatur wurde erfolgreich Misstrauen zwischen den lokalen Widerstandsgruppen geschürt.

Der Westen hat es versäumt, rechtzeitig demokratische und moderate Rebellen zu unterstützen. In diese Situation hinein begaben sich die Nachbarstaaten und viele andere Länder mit ihren Machtinteressen. In Syrien befinden sich inzwischen erschreckend viele ausländische Kampftruppen. Darüber vergisst man, woher die ursprüngliche Gewalt kam. Assads Regime befreite schon sehr früh irakische Dschihadisten, rückte die friedliche Revolution so in die Nähe des Terrors und sorgte damit erfolgreich für Verwirrung. Die Syrer fliehen heute nicht vor dem IS, sondern vor Assads Diktatur und dem Krieg. Diese Völkerwanderung ist die größte seit dem Zweiten Weltkrieg.

Frankreich exportiert Waffen nach Ägypten, Deutschland war im vergangenen Jahr hinter den USA und Russland der drittgrößte Waffenexporteur weltweit und beliefert neben Ägypten auch Saudi-Arabien, Algerien, Katar und in die Türkei. Wie wirkt sich das auf den Krieg in Syrien aus?

Die demokratischen Rebellen bekamen zu Beginn Telekommunikationsgeräte und baten Frankreich zu Beginn des Konflikts leider erfolglos um Flugabwehrwaffen, um sich vor Assads Bombardements zu schützen. Hätte man mehr Waffen geliefert, stünde es heute vielleicht besser um Syrien. Gefoltert wird ohnehin weiter und dafür braucht man keine Waffen. Aber natürlich: Politik existiert nicht ohne Wirtschaftsinteressen. Zurzeit verschwinden in Ägypten sehr viele Menschen, auch kritische Journalisten und kaum jemand spricht darüber. In Ägypten wird derzeit kritiklos eine Diktatur gestärkt. Unsere Staaten exportieren Waffen und die Folgen sind unabsehbar.

Welche Bücher anderer Autoren haben Sie bei der Arbeit an "Codename Caesar" beeinflusst?

Mich hat besonders das Buch "Porteur de mémoires" von Père Patrick Desbois beeindruckt (auf deutsch: "Der vergessene Holocaust: Die Ermordung der ukrainischen Juden. Eine Spurensuche", Berlin Verlag, 2009). Die Suche nach Indizien und Zeugen, nach Tatorten und Massengräbern wird mit kriminalistischer Akribie durchgeführt. Desbois führt zahlreiche Interviews, schildert die Menschen und die Gegend und schreibt in der Ich-Perspektive. So gelingt ihm die Dokumentation eines verdrängten Teils des Holocaust. Desbois erinnert an eineinhalb Millionen ukrainische Juden, die bis heute keine würdige Grabstätten bekommen haben. Die Ausdauer bei der Recherche und die Schilderung der Ergebnisse haben mich stark beeinflusst. Gerade als 2015 in allen Medien an die Befreiung der Konzentrationslager erinnert wurde, brach mein noch indirekter Kontakt zu Caesar ab. Es war plötzlich unklar, ob ich jemals mit ihm sprechen würde. Da kehrte ich immer wieder zu Desbois zurück und zu seiner Hartnäckigkeit und zu seinen Fragestellungen. Ohne ihn gäbe es mein Buch vielleicht nicht.

Das Buch von Garance Le Caisne, "Codename Caesar. Im Herzen der syrischen Todesmaschinerie", ist bei C.H. Beck erschienen und jetzt mit dem Geschwister-Scholl-Preis ausgezeichnet worden, der vom bayerischen Landesverband des Börsenvereins gemeinsam mit der Landeshauptstadt München vergeben wird. Mehr über die Preisverleihung lesen Sie hier.