Interview mit Börsenvereinsjustiziar Christian Sprang

Neue Regeln für die Preisbindung

14. April 2016
von Börsenblatt
Wenn der Bundestag seinen Zeitplan einhält, tritt im September das novellierte Gesetz über die Buchpreisbindung in Kraft. Börsenvereinsjustiziar Christian Sprang über die wesentlichen Änderungen: Preisbindung für E-Books und Neuregelung des grenzüberschreitenden Handels.

Anfang Februar hat das Bundeskabinett den Regierungsentwurf für die Novelle des Buchpreisbindungsgesetzes verabschiedet. Wie geht es mit diesem Gesetzgebungs­verfahren jetzt weiter?Die erste Lesung der Novelle steht am 14. April auf der Tagesordnung des Bundestags. Danach wird das Gesetz an die Ausschüsse zur weiteren Behandlung überwiesen. Die Federführung hat dabei der Bundestagsausschuss für Wirtschaft und Energie, mitberatend ist der Kulturausschuss des Bundestags. Im Rahmen der Befassung der Parlamentsausschüsse haben auch die sogenannten interessierten Kreise noch einmal Gelegenheit zur Stellungnahme. Wenn der Anhörungs- und Überarbeitungs­prozess des Gesetzentwurfs in den Ausschüssen abgeschlossen ist, stehen die zweite und dritte Lesung an. Der Zeitplan sieht vor, dass diese noch vor der Parlamentarischen Sommerpause abgehalten werden. Wird er eingehalten, kann die Veröffentlichung der Gesetzesänderungen im Bundesgesetzblatt rechtzeitig vor deren geplantem Inkrafttreten am 1. September dieses Jahres erfolgen.

Wie beurteilt der Börsenverein den vorliegenden Gesetzentwurf?Es ist wichtig für die gesamte Buchbranche, dass der Regierungsentwurf jetzt mit diesen Inhalten in den Bundestag eingebracht wird – vor allem im Hinblick auf die wachsende Markt­bedeutung von E-Books. Die Bundes­regierung hat dafür einen guten und praktikablen Vorschlag vorgelegt. Es ist für den fairen Wettbewerb im Onlinebuchhandel wichtig, dass durch die ausdrückliche Festschreibung der Preisbindung für E-Books die bisherige Rechtsprechung bestätigt wird. Mit der Neuregelung der Preisbindung bei grenzüberschreitenden Verkäufen von gedruckten Büchern und E-Books kommt ein weiterer Baustein hinzu, der gerade dem kleinen und unabhängigen Sortiment helfen wird.

Welche Ziele verfolgt der Börsenverein im Rahmen des Gesetzgebungsver­fahrens?Der Vorstand des Börsenvereins hat sich schon früh eindeutig darauf festgelegt, dass für ihn die jetzigen Regelungs­vorschläge – also die Preisbindung für ­E-Books und die Neuregelung des grenzüberschreitenden Handels – Priorität haben. Gleichwohl werden wir im Rahmen des parlamentarischen Verfahrens versuchen, zwei weitere Änderungen im Text des Buchpreisbindungsgesetzes zu erreichen. Beide gehen auf Wünsche aus der Mitgliedschaft zurück. Einerseits geht es dabei um eine eindeutige Regelung hinsichtlich von Absatzfördermaßnahmen wie Gutschein­systemen oder Affiliate-Provisionen, andererseits um die Wiedergewinnung der Preisbindung für Kalender.

Wie schätzen Sie die Chancen ein, die der Börsenverein mit diesen beiden Vorstößen hat?Es hat uns ermutigt, dass sich auch der Bundesrat in seiner Stellungnahme zum Gesetzentwurf der Bundesregierung dafür ausgesprochen hat, dass der Gesetzgeber die Absatzfördermaßnahmen im Buchhandel regeln soll. In diesem Bereich haben wir seit Inkrafttreten des Buchpreisbindungsgesetzes mit Abstand die meisten streitigen Gerichtsverfahren gehabt. Obwohl die Rechtsprechung in dieser Sache begrüßenswerte Urteile hervorgebracht hat, ist von diesen offensichtlich keine klärende und befriedende Wirkung auf die Gesamtproblematik ausgegangen. Vielmehr hat man immer noch das Gefühl, dass gerade große Player im Buchhandel versuchen, den gesetzlich untersagten Preiswettbewerb zum Endkunden durch einen Wettkampf mit Gutscheinen, Provisionen und anderen Absatzförderungssystemen zu ersetzen, auch um den Markt für kleinere und mittlere Buchhandlungen zu schmälern. Deswegen hoffen wir, dass die verantwortlichen Abgeordneten im Deutschen Bundestag hier während der parlamentarischen Befassung mit der Novelle noch gestalterisch aktiv werden. Wir setzen darauf, dass sie dabei von Sigmar Gabriel und Monika Grütters sowie deren Teams unterstützt werden. Dabei geht es insbesondere um ein Verbot von Aktionen, die zwar keine direkte Nachlassgewährung beinhalten, dem Kunden aber doch wirtschaftliche Vergünstigungen versprechen, die seine Kaufentscheidung beeinflussen.

Und wie sieht es mit den Kalendern aus?Hinsichtlich der Vorteile einer Er­streckung der Buchpreisbindung auf Wandkalender haben wir erkennbar einen höheren Argumentationsaufwand, sodass die Chancen, an dieser Stelle im parlamentarischen Verfahren etwas bewegen zu können, offen sind. Die meisten Buch­käufer können sich schlichtweg nicht mehr erinnern, dass bis zum Inkrafttreten des Buchpreisbindungsgesetzes im Jahre 2002 auch für Wandkalender regelmäßig die Preisbindung galt. Offensichtlich ist aber, dass der Kunde den stationären Buchhandel, wenn dieser sich bei Kalendern engagiert, mehr und mehr zum Showrooming missbraucht, und dass dies aufseiten der Verlage zu einem Rückgang von Titelvielfalt und kultureller Wertigkeit des Kalender­angebots führt. Insofern hoffen wir, dass bei den Beratungen im Deutschen Bundestag auch über eine Erweiterung der Buchpreis­bindung auf die Kalender ernsthaft nachgedacht wird.

Wie beurteilen Sie die aktuelle Lage der Buchpreisbindung im Allgemeinen?Seit Inkrafttreten des Buchpreisbindungsgesetzes haben wir eine stabile Situation, die dem deutschen Buchmarkt ganz wesentlich hilft. Das sieht man im internationalen Vergleich sehr deutlich, wenn man die Zahl der stationären Buchhandlungen in Rela­tion zu den Bevölkerungszahlen eines Landes setzt. Trotz eines geringfügigen Rückgangs der absoluten Menge von Buchhandlungen, der mit einer allgemeinen Verlagerung hin zum Online-einkauf korreliert, ist Deutschland in puncto Buchhandelsdichte sowie Titelvielfalt und -qualität nach wie vor eine der führende Buchnatio­nen – wenn nicht die weltweit führende. Wir gehen davon aus, dass die bevorstehende Novellierung des Buchpreisbindungs­gesetzes die Rahmenbedingungen für unseren nationalen Buchmarkt weiter festigen wird. Es ist sehr erfreulich, dass die deutsche Politik die Buchpreisbindung stützt. Deshalb würden wir uns wünschen, dass der von der Bundesregierung vorgelegte Gesetzentwurf auch bei den Oppositionsparteien Unterstützung findet. Bisher sind sämtliche Beschlussfassungen zur deutschen Buchpreisbindung im Bundestag einstimmig gefallen. So waren sich die Abgeordneten aller Parteien bei der Novellierung des Gesetzes 2006 rückblickend darin einig, dass sie mit dem seit 2002 geltenden Gesetz dem deutschen Buchmarkt und der Verbreitung des Kulturgutes Buch eine stabile und unverzichtbare Basis geschaffen hatten.

Gibt es für die Branche bei der Buchpreisbindung also keinen Grund zur Besorgnis?Nach wie vor gilt die Mahnung, die Bundestagspräsident Lammert bei den Buchtagen 2011 ausgesprochen hat: Die Unternehmen der Branche müssen mit der Buchpreisbindung verantwortungsbewusst umgehen. Wir dürfen die Buchpreisbindung nicht von innen heraus gefährden oder gar zersetzen. Deshalb sollten sich Verlage bei ihrer Konditionengestaltung, aber auch große Buchhandlungsketten und Zwischenbuchhandelsunternehmen bei ihren Konditionenforderungen immer auch ihrer Verpflichtung gegenüber kleineren Marktpartnern bewusst bleiben, was leider nicht überall der Fall ist. Problematisch ist nach wie vor auch der Missbrauch beim Umgang mit tatsächlichen oder sogenannten Mängel­exemplaren. Hier ist keine Sparte des Buchhandels frei von Schuld. Eine gewisse Besorgnis um die Buchpreisbindung empfinde ich schließlich in letzter Zeit auch mit Blick auf gewisse Radikalisierungstendenzen bei der Verfolgung von echten oder vermeintlichen Buchpreisbindungsverstößen.

Meinen Sie damit den erfolglosen Versuch der Einkaufsgenossenschaft ebuch, eine einstweilige Verfügung gegen Amazon und Bastei Lübbe wegen des Angebots eines kostenlosen E-Book-Titels zu erreichen?Ich meine nicht einen konkreten Fall. Die Reaktion des Sortiments auf die „Illuminati"-Aktion von Bastei Lübbe und Amazon halte ich für absolut berechtigt und notwendig. Zu kritisieren ist nicht, dass von verschiedenen Buchhändlern gegen diese diskriminierende Vorgehensweise Widerstand geleistet wurde, auf den der Verlag ja dann auch durchaus rasch und sensibel reagiert hat. Ungeeignet war aus meiner Sicht aber das von der Einkaufsgenossenschaft ebuch gewählte juristische Mittel – das zum Glück bisher und vermutlich auch zukünftig erfolglos ist. Was mich aber allgemein besorgt sind Tendenzen, die Einhaltung der Buchpreisbindung zum Gegenstand eines sich selbst finanzierenden Abmahnwesens von Anwälten zu machen.

Aber anwaltliche Abmahnungen sprechen doch auch der Börsenverein und die Buchpreisbindungstreuhänder aus?Ja, hunderte von Abmahnungen im Jahr - und das muss auch so sein und wird auch so bleiben, ohne Rücksicht auf klein oder groß, Mitglied oder Nichtmitglied. Schließlich ist die Verletzung der Buchpreisbindung ausschließlich zivilrechtlich sanktioniert, nicht durch Bußgelder oder gar durch strafrechtliche Vorschriften. Rechtliche Normen leben aber nun einmal davon, dass derjenige, der sie verletzt, nicht ohne eine angemessen scharfe Sanktion davonkommt – sonst werden sie eines Tages nicht mehr eingehalten. Börsenverein und Buchpreisbindungstreuhänder müssen aber nicht von den Abmahngebühren und Vertragsstrafen leben, die bei der Verfolgung von Preisbindungsverstößen anfallen. Sie handeln als von der Branche bezahlte Organe der Rechtspflege, arbeiten – vergleichbar etwa der Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs – mit geringen Abmahngebühren und verhängen ausschließlich Vertragsstrafen, die über das Sozialwerk des Deutschen Buchhandels unverschuldet in Not geratenen Angehörigen des Berufsstandes zufließen. Das macht sie unabhängig davon, aus solchen Abmahnungen ein Geschäft machen zu müssen.

Wo liegt die Gefahr, wenn buchhändlerische Organisationen Anwälte beauftragen, die bei ihren Abmahnungen ein Kosteninteresse verfolgen?Was Abmahnungen auslösen können, bei denen auch die Kosteninteressen von Anwälten ein Faktor sind, hat man in den letzten zehn Jahren im Urheberrecht gesehen. Dass das Urheberrecht inzwischen bei großen Teilen der Bevölkerung und leider auch bei vielen Politikern sein früher gutes Image verloren hat, hängt sehr eng mit der Art und Weise zusammen, wie Urheberrechtsverletzungen verfolgt worden sind. Deswegen sollte die Branche darauf achten, dass dies nicht auch bei der Preisbindung passiert. Wenn die Betreiberin einer kleinen Buchverkaufsstelle, die auf ihrer Website eine geringfügige Preisanhebung eines Verlags verpasst hat, für solch einen Erstverstoß im Auftrag einer buchhändlerischen Genossenschaft eine anwaltliche Abmahnung mit einer Kostennote von 1.000 Euro bekommt, dann ist das schlicht unverhältnismäßig. Je häufiger solche Fälle vorkommen, desto größer wird die Gefahr, dass wir die Zustimmung zur Buchpreisbindung verlieren – und zwar nicht nur bei Buchkäufern, Medien und Politikern, sondern auch innerhalb der Branche.

Was schlagen Sie vor?
Wir sollten zwei Dinge unterscheiden: Dass es gut und wichtig ist, dass Preisbindungsverletzungen umfassend, rasch und effektiv bekämpft werden müssen, ist das Eine. Das Andere ist, dass damit Aufklärung, das Wecken von Verständnis und nicht zuletzt Fingerspitzengefühl einhergehen sollte. Dabei helfen Strukturen, in denen der schnelle Euro für den Anwalt oder der billige Beifall für die buchhändlerische Organisation keine Rolle spielt, sondern die Sache der Buchpreisbindung selbst. Deswegen belassen es Preisbindungstreuhänder und Börsenverein nicht selten bei aufklärenden Hinweisen und verzichten auf die Geltendmachung von Kosten, wenn sich der sichere Eindruck ergibt, dass ein Branchenmitglied aus Unkenntnis und ohne böse Absicht eine Vorschrift nicht beachtet hat. Insgesamt gilt: Dass wir die Buchpreisbindung auch noch die nächsten 128 Jahre behalten, dazu kann jeder einzelne seinen Beitrag leisten.