Interview mit den neuen Leiterinnen des Berliner Literaturhauses

"Ein weltoffenes Haus für ganz Berlin"

9. Januar 2018
von Börsenblatt
Janika Gelinek und Sonja Longolius über klassische Lesungen, neue Reihen und Diskussionen zu Branchenthemen am Berliner Literaturhaus.

Was können Besucher vom Literaturhaus künftig erwarten? Was wird anders?
Gelinek: Das Haus hat eine sehr rege, lebendige Geschichte. Es war Tanzstudio, Lazarett, Bordell, Clubhaus und noch manches andere. Diese Geschichte hat uns dazu inspiriert, fünf beziehungsweise sechs Schwerpunkte zu setzen. Wir wollen, erstens, dass sich Berlin im Programm spiegelt. Zweitens soll Europa präsent sein, der ganze Reichtum des Kontinents. Unser Ziel ist es auch, die Studenten wieder mehr ins Haus zu holen, stärker mit Forschungseinrichtungen zu kooperieren und Forschung sichtbar zu machen. Wir planen, viertens, eine Spielwiese, um verschiedene Dinge auszuprobieren, allerlei branchenspezifische Themen können hier ihren Platz haben. Deutlich in den Vordergrund bringen wollen wir zudem die neuen Literaturen, die mit den Migranten und Migrantinnen in die Stadt kommen. Schließlich planen wir ein Kinderprogramm, das wollen wir auf- und ausbauen. Alles in allem soll das neue Literaturhaus ein weltoffenes Haus für ganz Berlin sein.

Wie gelingt es, das Stammpublikum nicht zu verprellen und zugleich Neues auszuprobieren?
Longolius: Diesen Spagat zu meistern, wird unsere Aufgabe sein. Das Stammpublikum soll sich weiterhin willkommen fühlen, aber es sollen andere Menschen hinzukommen. Das ist ein sehr beeindruckendes Haus, und manchmal kann man auch davor stehen und denken: „Bin ich hier willkommen?“ Wir wollen die Schranken senken.
Gelinek: Das Berliner Literaturhaus war nicht nur das erste in Deutschland, man schaut von anderswo immer noch, was in Berlin passiert. Aber innerhalb der Stadt ist es eine sehr westlich geprägte Einrichtung. Es scheint da eine unsichtbare Mauer zu geben.

Ist es in Berlin besonders leicht oder besonders schwierig für ein Haus wie dieses?
Gelinek: Zum einen ist es in Berlin sicher eine große Herausforderung, solch ein Haus zu leiten, weil es an allen Ecken und Enden ein solch tolles Programm gibt. Gleichzeitig bietet Berlin aber auch grandiose Möglichkeiten. Es ist eine Stadt, die einen prägt und in der man sich beweisen muss.

Woher holen Sie sich Anregungen?
Gelinek: Die kommen von überall: Lesen, Gespräche. Wir haben gerade in den letzten Monaten viele Berliner Verlage besucht. Es gibt hier einen großen Reichtum gerade an kleinen Verlagen, die ganz eigene, sehr spannende Programme machen.

Mit einem eigenen Programm starten Sie erst am 20. März. Warum so spät?
Longolius: Dafür gibt es verschiedene Gründe. Bis zum 11. März  läuft die Hesse-Ausstellung mit verschiedenen Veranstaltungen. Für uns ist es zudem wichtig, hier im Haus anzukommen, ein Team zu werden und unser Programm sorgfältig zu entwickeln. Wir wollten nicht einfach so reinrutschen mit ein paar neuen Veranstaltungen. Aber: Wir sind hier, wir sind ansprechbar, und wir planen natürlich schon seit Monaten das neue Programm. Wenn es an einem Theater einen Intendanz-Wechsel gibt, dann ist eine Umbaupause durchaus üblich. Der Vorhang geht dann eben erst nach mehreren Monaten wieder auf. Bei uns sind es gerade einmal zweieinhalb Monate, das ist nicht zu viel. Wir werden in dieser Zeit übrigens auch das Erscheinungsbild des Hauses nach außen verändern. Am 20. und 21. März möchten wir mit einem Frühjahrsfest einen echten Neustart hinlegen.
Gelinek: Diese Pause ist auch ein Tribut an die besondere Geschichte dieses Hauses. Ernest Wichner war sehr lange Da, Herbert Wiesner zuvor ebenfalls. Es ist ein Neustart und der soll auch als solcher wahrgenommen werden. Wir wollen dann ja auch an unserem Programm gemessen werden.

Was steht nach dem Frühjahrsfest auf dem Programm?
Longolius: Wir wollen noch nicht alles verraten. Jetzt nur so viel: Am 20. März starten wir eine Reihe „Berlin als Schaffensort“. Jeweils zwei Autoren werden mit dem Moderator darüber reden, welche Auswirkung Berlin auf ihr Schreiben hat, was die Stadt mit Schriftstellern, die hierherkommen, macht. In einer weiteren Reihe „Scheibe meines Lebens“ werden Schriftsteller über ihre Musikerfahrungen sprechen, den Anfang macht Helene Hegemann mit Patti Smith. Am 24. und 25. März wird sich das Literaturhaus in Shandy Hall verwandeln. Wir planen zum Beispiel eine 24-Stunden-Lesung mit Sibylle Lewitscharoff, Durs Grünbein, Karen Duve und anderen aus „Tristram Shandy“.

Eine Bühne, ein Buch, ein Autor, ein Moderator – gibt es das künftig auch noch am Literaturhaus?
Gelinek: Ja, das klassische Format wollen wir natürlich weiterführen. Wir haben auch mit Autoren und Autorinnen geredet und sie gefragt, mit welchen Formaten fühlt ihr euch wohl. Auch diese Erfahrungen werden wir einfließen lassen.

Die Rezeptionsgewohnheiten verändern sich. Die Menschen schauen Serien bei Netflix, lesen elektronisch. Wird sich der Medienwandel am Literaturhaus widerspiegeln?
Longolius: Ja, natürlich. Wir werden uns etwa  mit Themen wie Lesen im digitalen Zeitalter beschäftigen. Wie verändern sich unsere Gewohnheiten, unsere Leseverhalten, wenn wir plötzlich auf einem elektronischen Gerät lesen und nicht mehr im Buch? Um das abzubilden und zu diskutieren muss man dann andere Formate finden, die klassische Lesung wird es in diesem Fall nicht sein.

Sie haben sich zu zweit für die Leitung des Hauses beworben und von Beginn an darauf bestanden, den Job nur im Duo zu machen. Warum?
Longolius: Wir ergänzen uns sehr gut. Ich bin Kunsthistorikerin und Kuratorin von Ausstellungen. Janika Gelinek hat als Lektorin und Journalistin gearbeitet. Man könnte auch sagen, wir sind verschiedene Modi: Old School und Digital Nerd. Davon abgesehen: Ich möchte das auch gar nicht alleine machen. Die Qualität, die sich aus einem Miteinander ergibt, die ist wirklich hoch. Wir sind im ständigen Dialog. Und das passt doch zur Literatur. Wir können uns aneinander abarbeiten. Auch der Dissens kann schließlich sehr produktiv sein, man muss argumentieren, sich mit anderen Ansichten auseinandersetzen.